Warum für Maria Egger das Osterfest für immer eine besondere Bedeutung haben wird.
Als ich diesen Artikel plante, wollte ich über Osterbräuche schreiben und suchte jemanden, der die österlichen Traditionen mit Liebe hegt und pflegt. Ein Tipp führte mich zu Maria Egger auf den Kellnernhof in St. Johann. Maria ist Bäuerin und Mutter von drei Kindern: Michael, 18, Anna, 17, und Simon, sieben Jahre alt. Sie hat Tischlerin gelernt, auch einige Jahre als solche gearbeitet und sich am Hof eine kleine Werkstatt eingerichtet. Holzbasteleien und Dekos für die Bastelrunde fertigt sie heute noch gerne. Die 44-Jährige stammt von einem Bergbauernhof auf dem Mittleren Sonnberg in Kirchberg. Erst als sie die erste Klasse der Hauptschule besuchte, wurde die Straße zum Hof gebaut. Eine gute Dreiviertelstunde brauchten sie und ihr Bruder zu Fuß vom Bauernhaus hinunter zum Sammeltaxi (laufend oder mit der Rodel ging es schneller), und nach der Schule mindestens genauso lange wieder hinauf. „Aber das hat mich nicht gestört, das war halt so.“ Die viele Bewegung an der frischen Luft schadete nicht. Später war sie bei der Landjugend aktiv und lernte so ihren Mann Markus kennen und lieben.
Gründonnerstag ist Eierfärbe-Tag
Marias Mutter übernahm die alten Traditionen, das Jahr am Bergbauernhof beging man im Einklang mit den kirchlichen Festen und Traditionen. Maria erinnert sich noch daran, mit welcher Freude sie am Gründonnerstag frühmorgens aufstand, um nach dem ersten, zarten Grün oder gar den ersten Gänseblümchen zu suchen für das Färben der Ostereier. Sie hält es noch heute so: Am Gründonnerstag werden die Eier der hofeigenen Hennen gefärbt – einige mit Zwiebelschale, wie sie es von der Mutter lernte, andere den Kindern zuliebe mit Eierfarbe aus dem Handel. Sie breitet dann ein Leintuch über den großen Küchentisch, und Simon und die Nachbarkinder dürfen sich austoben. Maria hat schon öfter davon gehört, dass Eier, die am Gründonnerstag gelegt werden, schon geweiht sind und keines weiteren Segens bedürfen. Aber darauf verlässt sie sich nicht. Sie werden gefärbt und beim Auferstehungs-Gottesdienst am Samstagabend mit Weihwasser besprengt. „Sicher ist sicher“, sie lacht herzlich.
Sie zelebriert mit Freude all die Bräuche rund um Ostern: das Binden der Palmbuschen, das Backen der Palmbrezen (wenn sie Zeit dafür findet), das Eierfärben, das Richten des Osterfrühstücks und so weiter. Besonders wichtig sind ihr aber die Kirchgänge in dieser Zeit, besonders in der Karwoche. Der Karfreitag ist ein bedrückender Tag für sie, denn er steht ja im Zeichen des Todes des Gottessohns. Umso beglückender erlebt sie die Auferstehungsmesse am Samstagabend.
„Das war nicht immer so“, sagt sie. Natürlich habe sie die Osterzeit immer schon gemocht, das Dekorieren, Eierfärben und mehr. Doch für Maria hat Ostern seit einigen Jahren noch viel mehr an Bedeutung gewonnen. Genau genommen seit neun Jahren.
Eine Schwangerschaft mit Komplikationen
In diesem Jahr 2012 ist Maria schwanger, zu Ostern zählt sie die 28. Woche. „Ich hatte schon einen ordentlich runden Bauch“, erinnert sie sich und beschreibt mit der Hand eine Rundung. Ganz normal im siebten Monat. Ganz normal aber ist die Schwangerschaft bis dahin nicht gelaufen: Es gab Komplikationen, Maria musste auch eine Zeitlang liegen. Sie spürt, dass etwas nicht stimmt, doch die Frauenärztin beruhigt sie und meint, es sei alles in bester Ordnung. In der Karwoche wird das ungute Gefühl immer stärker, doch nach Ostern ist ohnehin ein Kontrolltermin im Krankenhaus vereinbart. Bis dahin wird es, muss es gehen.
Der Karfreitag ist schlimm. In der Nachbarkapelle betet man den Kreuzweg; Maria sitzt in der Bank, und alles fühlt sich so beklemmend an. Sie hat keine Ahnung, was mit ihr los ist. In der Karwoche wird sie von Alpträumen geplagt, sie fühlt Unbehagen, eine innere Unruhe. Und Angst – aber wovor? Das weiß sie nicht. Sie weiß nur, dass es bei den beiden vorangegangenen Schwangerschaften nie so gewesen ist. Was kann, was soll sie nur tun? In ihrer Verzweiflung beschließt sie am Karsamstag, zur Beichte zu gehen. Seit ihrer Kindheit hat sie das nicht mehr getan, nie das Bedürfnis dazu verspürt. „Das ist ja eigentlich auch nichts Angenehmes, wenn man seine Schwächen und Fehler bekennt“, sagt sie lächelnd. In jenen Stunden aber erscheint es ihr als Ausweg, und kurz nach der Beichte fühlt sie sich wirklich erleichtert und ruhiger. Doch schon am Ostermontag fühlt sie sich wieder schlechter. Was ist nur los? Ungewissheit und diese undefinierbare Angst packen sie, treiben sie durch das Haus. Plötzlich die Erkenntnis: Sie muss einen Rosenkranz beten. Bis dahin hat sie das noch nie alleine getan, sondern immer nur bei Begräbnissen oder bei der Maiandacht. Sie weiß gar nicht, wie sie es anstellen soll und in welcher Reihenfolge die Gebete zu sprechen sind. Markus’ Oma hat einen Rosenkranz hinterlassen, sie sucht fieberhaft nach ihm. Als sie ihn in Händen hält, kommen die Gebete wie von allein von ihren Lippen. Sie umklammert die Perlen, ist völlig aufgelöst, schläft über den Sprechversen dann aber behütet und getröstet ein.
Maria fühlt sich aufgefangen
Am nächsten Tag nimmt Maria den Termin im Krankenhaus wahr. Das Baby ist am Ultraschall zu sehen, aber der Arzt kann keine Herztöne messen. Er kann es nicht, weil das kleine Herz nicht mehr schlägt. In jenem Augenblick, in dem Maria den Sinn der Worte des Arztes erfasst, scheint die ganze Welt stehen zu bleiben. In diesem Moment geschieht aber auch das Unfassbare: Im größten Schmerz, den eine Mutter erleiden kann, fühlt sich Maria aufgefangen. In einem Augenblick, in dem sie höchste Verzweiflung, tiefstes Leid und vielleicht sogar Wut empfinden könnte, weiß sie sich getragen und in Liebe eingehüllt – durch Gott. Sie kann seine Entscheidung hinnehmen, ohne daran zu zerbrechen. Auch wenn Trauer und Schmerz natürlich groß sind. Auch für die Geschwister und Markus.
Der kleine Matthias kommt am nächsten Tag per Kaiserschnitt zur Welt, seine Eltern halten ihn voller Liebe in ihren Armen. Die Familie trauert sehr, doch Maria bleibt stark in der Gewissheit: Gott hat Matthias zu sich gerufen, aus Gründen, die der Mensch nicht kennt. Der Tod ist nicht das Ende, er ist der Anfang von etwas Neuem. Diese Erkenntnis ist es, die Maria Trost gibt, Kraft und Zuversicht. Es ist die Botschaft des Osterfestes. Und deshalb wird dieses Fest für Maria immer ein ganz besonderes bleiben.
„Wenn ich nicht wüsste, dass es meinem Bub da oben gut geht, wozu sollte ich dann noch leben? Wozu stehe ich auf, warum ziehe ich mich an, gestalte meinen Tag, wenn mit dem Tod alles endet und alles umsonst war?“ Es sind die großen Fragen der Menschheit, auf die Maria ihre eigene Antwort gefunden hat.
Sie hat ihren Weg gefunden
Das Erlebnis, diese Gotteserfahrung, hat Maria verändert. Die Messen, an denen sie zuvor manchmal mit wenig Andacht teilnahm, sind für sie zu etwas Großem, Heiligem geworden. In der Fastenzeit versucht sie, ihr eigenes Ich in den Hintergrund zu stellen und sich auf Gott und seine Größe zu konzentrieren. In den Sakramenten der Kirche spürt sie seine Allmacht und Barmherzigkeit. Gott nimmt jetzt mehr Raum in ihrem Leben ein. „Der Glaube kann etwas so Kostbares sein, aber das muss jeder selber erfahren oder auch nicht. Es gibt keine Anleitung, man kann ihn nicht erzwingen, nur dankbar sein, wenn man ihn gefunden hat.“ Wie geht Markus mit der Veränderung seiner Frau um? „Er kann meine Erfahrung vielleicht nicht nachvollziehen, aber er geht den Weg mit mir“, sagt sie. Markus und sein Bruder haben Maria zum 40. Geburtstag ein Marterl gebaut, es ist vom Küchenfenster aus zu sehen. Sie freut sich sehr daran, es zeigt die Heilige Familie.
Die Gotteserfahrung habe sie nicht zu einem besseren Menschen gemacht, sagt sie. Sie kämpfe genauso mit ihren Schwächen, wie es alle anderen auch tun. Sie versteht es, wenn Freunde und Bekannte den Kopf schütteln, weil sie zur Beichte geht oder versucht, keine Sonntagsmesse auszulassen. Das alles war ihr vorher auch fremd – jetzt ist es, wie es ist. Sie erhebt keinen Anspruch darauf, dass ihr Glaube der einzig richtige ist. Gott lasse uns die Freiheit, selbst zu entscheiden und zu wählen. Aber für sie selbst ist er ganz klar, für sie führt er über die katholische Kirche. Sie erzählte mir ihre Geschichte auch deshalb, weil sie sich zu ihrem Glauben bekennen will. Er ist nichts, wofür sie sich schämen muss.
Gott steht uns allen bei, das ist für Maria tröstende Gewissheit. Ein Jahr, nachdem Matthias tot geboren wurde, kurz nach Ostern, erfuhr sie, dass sie wieder schwanger war. Simon ist jetzt sieben Jahre alt. Ich habe ihn kurz angetroffen, als mich Maria zur Tür hereinließ – ein „gschtiaschter Lauser“, Maria drückte ihn zärtlich an sich. Alles ist gut.
Doris Martinz