Warum es das Frauenberatungszentrum in St. Johann nach wie vor braucht. Und wie dringend man Unterstützung benötigt.
Man hört und liest in den Medien natürlich von häuslicher Gewalt gegen Frauen, von Annäherungs- und Betretungsverboten und manchmal auch von schrecklichen Dingen, die passieren. Aber das alles spielt sich in den großen Städten ab, wo die Menschen anonym sind und einander nicht kennen. Bei uns gibt es das nicht, das würden wir ja mitbekommen. Oder? „Das ist leider die landläufige Meinung vieler“, sagt Renate Magerle, Obfrau des Beratungszentrums für Mädchen und Frauen in St. Johann. Dass auch in unserer Region manche Frauen Hilfe in den verschiedensten Situationen und auch Schutz vor Gewalt brauchen, erleben sie und ihre Mitarbeiterinnen aber täglich. Unsere Welt ist nicht so heil, wie wir sie uns vorstellen (wollen).
Der Verein „Mädchen und Frauen Beratungszentrum Bezirk Kitzbühel“ wurde im Jahr 2009 von Soroptimist Kitzbühel gegründet. Die Damen des Vorstands wie Renate Magerle und Kassiererin Simone Kuhlkamp arbeiten ehrenamtlich, vier Mitarbeiterinnen sind in Teilzeit oder auf Honorarbasis beschäftigt. Bei der Gründung zweifelten viele Außenstehende die Notwendigkeit des Zentrums an. Es gebe ja auch andere, offizielle Stellen und Behörden, an die sich Betroffene wenden können, so der Tenor. „Aber es gibt keine andere Beratungsstelle im Bezirk, die auf die Anliegen und Problemstellungen von Frauen spezialisiert ist“, erklärt Magerle bei unserem Gespräch. Und das brauche es unbedingt. Denn: „Wie sollen Mitarbeiter einer Behörde, oft sind es Männer, verstehen, wie es einer Frau geht, die möglicherweise schon seit Jahrzehnten unter einer schwierigen Situation leidet?“ Zudem sei die Hemmschwelle, sich an eine offizielle Stelle zu wenden, sehr hoch. Frauen spazieren nicht in die Gemeinde, um dort zu eröffnen, dass sie Opfer von Gewalt sind. Weil sie sich schämen. Sie gehen meist nicht zur Bezirkshauptmannschaft oder zur Polizei, um über Missbrauch zu reden. Weil es ihnen peinlich ist. Für solche Themen braucht es einen geschützten Raum. Auch im Beratungszentrum kann es dauern, bis sich Frauen ganz öffnen können und sich den Beraterinnen anvertrauen, das passiert nicht von heute auf morgen. Für so heikle Themen braucht es den passenden Rahmen, Zeit und die Gewissheit, verstanden zu werden.
Der erste Schritt ist der schwerste
Nicht immer geht es um körperliche Gewalt oder Missbrauch. Auch Arbeit, Wohnung, Beziehung oder Finanzielles sind Themen in der Beratung. Es gibt junge Frauen mit schmerzvollen Verlusterlebnissen oder solche, die nicht von ihrem Partner, sondern aus ihrem Elternhaus fliehen, weil sie dort Traumatisches erlebt haben.
Oft jedoch wollen und müssen Frauen – auch ältere – raus aus ihren Beziehungen und brauchen dafür Hilfe. Irene und ihre Kolleginnen klären auf, sie schaffen Perspektiven. Nicht nur für die Frauen, sondern auch für ihre Kinder. Sie zeigen auf, was ihnen zusteht, und dass sie nicht um alles betteln müssen.
Einfach ist es trotzdem in vielen Fällen nicht. Wie soll zum Beispiel eine Frau mit kleinen Kindern ihren gewalttätigen Mann verlassen, wenn sie kein eigenes Einkommen hat? Sie braucht eine Wohnung, Kinderbetreuung, einen Job. Und Mut. Aus eigener Kraft, ohne Hilfe von außen, ist das kaum zu stemmen. „Wenn man selber nicht betroffen ist, kann man sich kaum vorstellen, welche Hürden Frauen zu bewältigen haben“, so Magerle. Das Beratungszentrum ist eine erste Anlaufstelle, hier finden sie Schutz und Hilfe, anonym und kostenlos. Wenn es „brennt“, sind Irene, Simone, Renate und ihre Kolleginnen auch am Wochenende oder an den Weihnachtsfeiertagen für Hilfesuchende da. Sie greifen beim Zusammenpacken unter die Arme, übernehmen die Kinder.
„Der erste Schritt ist immer der schwerste“, weiß Irene Schelkle. Sie ist seit dem ersten Tag Teammitglied, ist ausgebildete Krankenpflegerin mit Zusatzausbildungen in Mediation und systemischer Beratung. Haben ihre Klientinnen den ersten Schritt getan, ist der Weg frei für Veränderung zum Positiven. Dafür ist es nie zu spät. Manchmal melden sich Frauen im Zentrum, die seit Jahrzehnten unter prekären Lebensumständen leiden und sich dann, eines Tages, ein Herz fassen, um einen Schlussstrich zu ziehen. Sie springen – und werden im Zentrum aufgefangen.
Mit dem Täter in „Quarantäne“
Das Team hat sich in Zeiten der Krise auf mehr Kontakte von Frauen eingestellt. Die erwarteten Anfragen und Hilfeschreie blieben aber aus. Nicht, weil es Frauen in schwierigen Beziehungen gut ging in den letzten Monaten. Nein, sondern weil viele Männer daheim waren, ihre Frauen unter ständiger „Bewachung“ standen und sie oft nicht einmal ungestört telefonieren konnten. Jetzt aber verzeichnen die Beraterinnen einen deutlichen Anstieg in der Gewaltberatung. Jetzt kommen die Frauen, weil sie es nicht mehr aushalten. Und: Nein, kaum welche verfügen über einen Migrationshintergrund. „Es sind vor allem einheimische aus allen sozialen Schichten, sie kommen auch aus gut situierten Familien“, erklärt Irene Schelkle. Sie erlebt immer wieder die Verzweiflung und die Angst der Klientinnen, die sich an das Zentrum wenden. Sie und ihre Kolleginnen können helfen – mit Verständnis und Mitgefühl, mit persönlicher Beratung, was das Rechtliche und Praktische betrifft. Seit der Vereinsgründung und dem Beginn der Beratungstätigkeit im Oktober 2010 haben sich die Kontakte beziehungsweise die Anfragen betroffener Frauen übrigens von rund 300 jährlich auf 1.800 versechsfacht.
Das Zentrum kann acht Schutzsuchende und ihre Kinder in Notwohnungen unterbringen. Wo sich jene befinden, bleibt geheim. 2020 wurden diese von zwölf Frauen (mit insgesamt neun Kindern) in Anspruch genommen. Sie verbrachten hier 2.490 Nächtigungen (die Kinder nicht mitgezählt).
Für den Aufbau des Zentrums und die Wohnungen hat der Soroptimist Club Kitzbühel viel Geld in die Hand genommen. Hilfe kommt von privaten Unterstützern, von anderen Serviceclubs und den Gemeinden. Wobei das mit letzteren so eine Sache ist – manche sehen keine Notwendigkeit für das Zentrum und daher auch keine für eine Unterstützung. Das treffe freilich nicht für alle zu, und im Besonderen die Gemeinde St. Johann sei ein großzügiger Partner, so Magerle. Dafür sei man auch sehr dankbar. Doch sie wünscht sich natürlich, dass mehr Geld von den kommunalen Stellen kommt. „Wir nehmen den Gemeinden ja Arbeit ab, in dem wir uns um die Frauen kümmern und sie auffangen. Und doch sind wir ständig dabei, dem Geld nachzurennen.“
Dabei müsste eigentlich alles anders laufen. Theoretisch. Laut der „Istanbul-Konvention“, die 2011 im Europarat beschlossen und 2013 von der österreichischen Bundesregierung ratifiziert wurde, gilt Gewalt gegen Frauen nicht als Privatsache. In der Konvention ist festgelegt, dass pro 10.000 Einwohnern ein Notbett für eine Frau, die Gewalt erfährt, zur Verfügung stehen muss. Im Bezirk Kitzbühel sollte es demnach sechs solche vom Bund finanzierte Betten geben. In der Praxis sieht es anders aus: „Was wir bekommen vom Frauenministerium, sind 5.000 Euro im Jahr“, so Magerle.
Arme Frauen, böse Männer?
Das Zentrum ist eine Anlaufstelle für Frauen. Dass es sie in der heutigen Zeit überhaupt noch braucht, ist das eigentliche Drama. Ganz abgesehen davon, dass es natürlich auch Männer gibt, die Schutz und Hilfe benötigen. Das liegt auch für Magerle ganz klar auf der Hand. Die Frauen als arme Opfer, die Männer als Bösewichte – so einfach ist es nicht. „Es gibt Plattformen gegen Gewalt, auf denen Männer präventiv unterstützt werden, damit sie gar nicht erst zuschlagen müssen. Aber diese Stellen haben auch viel zu wenig Geld, um Berater zur Verfügung stellen zu können“, sagt sie. Das ist jedoch nicht das Thema des Zentrums in St. Johann. Hier konzentriert man sich darauf, Frauen zu helfen. Das ist immer wieder herausfordernd, dramatisch und alles andere als leicht. Aber es ist auch erfüllend, sinnstiftend und einfach wunderbar. Und zwar immer dann, wenn eine Frau es schafft, ein neues Leben zu beginnen, das frei ist von Angst und Gewalt. Wenn sie ihr Leben von Grund auf neu ordnet und mit Freude und Zuversicht in die Zukunft blickt.
Doris Martinz
www.frauenberatung-st.johann.at
Freiwillige Spenden gerne unter: Raiffeisenbank
Kitzbühel-St. Johann IBAN AT78 3626 3000 0511 1380.
Das Frauenberatungszentrum St. Johann steht auf der Liste der spenden-
begünstigten Einrichtungen des Finanzministeriums unter der Nummer SO-2531