Andreas Lindner, einer der zwei „Schörgerer-Bauern“, über ein schockierendes Erlebnis in seiner Jugend und das, was ihn heute glücklich macht.
Dass der Herbst Einzug gehalten hat, merkt man in der Hofkäserei beim Schörgerer in Oberndorf daran, dass wieder mehr Reibkäse verkauft wird. Für Kasspatzln, Pressknödel und
andere, doch eher deftige Köstlichkeiten der Tiroler Hausmannkost – die haben jetzt wieder Saison. Und Butter? „Der geht sowieso immer weg wie die warmen Semmeln“, sagt Landwirt Andreas, „Andi“ Lindner. Beim freitäglichen Wochenmarkt in St. Johann ist das nicht anders. Butter, Joghurt, Käse und Co, am Schörgerer-Hof hergestellt und direkt vermarktet, erfreuen sich größter Beliebtheit. Eine tolle Erfolgsstory, oder? „Na ja, am Anfang war es schon schwierig“, gesteht der 32-Jährige. Da habe es schon Tage mit zehn oder zwanzig Euro Umsatz gegeben. „Aber wenn man etwas gerne tut und nicht aufgibt, dann funktioniert das schon!“
Dass die Direktvermarktung keinen Raketenstart hinlegte, sondern langsam wuchs, brachte auch Vorteile: „Man muss in die Branche hineinwachsen und lernen, mit den ganzen Vorgaben, Richtlinien und der Papierarbeit klarzukommen.“ Letztere würde zirka ein Drittel der gesamten Arbeitszeit beanspruchen, so Andi. „Das ist ganz schön knackig!“ Damit muss man leben können.
Das kann er, und mittlerweile kommen seine KundInnen sogar aus dem Pinzgau und Fieberbrunn. Sie wollen beim Schörgerer gute, ehrliche Lebensmittel einkaufen und „sie möchten auch wissen, wer sie herstellt, wer dahintersteht“, weiß Andi.
Unterwegs mit dem Viehhändler
Andreas Lindner besuchte die Hotelfachschule in Bad Hofgastein und war dann einige Zeit in der gehobenen Gastronomie als Koch beschäftigt. So lange, bis er die Philosophie in manchen Betrieben und ihren Umgang mit wertvollen Lebensmitteln nicht mehr mittragen konnte. Mehr will er an dieser Stelle dazu gar nicht sagen. Nur, dass er in diesem Bereich eben sensibel ist. Und das hängt mit einem Erlebnis in seiner Jugend zusammen:
Andi war 14 Jahr alt, als ihn ein Stammgast des elterlichen Hotels einlud, mit ihm eine Rundfahrt zu machen. Der Gast war Viehhändler, sammelte in Deutschland ausgediente Milchkühe ein und brachte sie zum Schlachtbetrieb. Andi, Spross einer kleinen Landwirtschaft mit zwanzig Kühen, begleitete ihn ein paar Tage lang. Und gewann dabei Einblicke in die erschreckende Welt der Massentierproduktion mit all ihren Begleiterscheinungen. Die schockierenden Bilder im Schlachthof, sollte er nicht mehr vergessen. „Wenn jede Sekunde eine tote Kuh am Fließband an dir vorbeifährt, lässt dich das nicht kalt.“ Der Viehhändler zeigte ihm auch ein „Schweinehochhaus“. „Brutal“, sagt Andi heute und schüttelt den Kopf. „Da geht es nur um Gewinnoptimierung, das Wohl der Tiere spielt überhaupt keine Rolle.“ Damals kämpfte er mit den Tränen und wusste, dass so etwas für ihn nie in Frage kommen würde. Bis zu dieser Tour hatte Andi sehr viel Fleisch gegessen, danach eine Zeit lang gar keines mehr. „Aber ich bin froh, dass ich das gesehen habe, es hat mich geprägt.“
Schicksalshafter Besuch bei der „Goti“
Heute genießt Andi sehr wohl gern ein gutes Stück Rind, Schwein oder Huhn, wenn er weiß, woher es kommt. Aber wie kam es überhaupt dazu, dass er Bauer wurde? Nach dem Abschied aus der Gastronomie nimmt Andi einen Job bei der Bergbahn als Shaper an und hält, als Hobby, vier Geißen. Als er einmal bei seiner Patentante, der „Goti“, auf einen Kaffee vorbeischaut – sie hat damals auch Geißen –, beobachtet er, wie sie in einem Topf Frischkäse zubereitet. Das ist sein erster Bezug zur Milchverarbeitung, und er ist sofort brennend interessiert. Er probiert es auch, richtet sich einen hygienischen Raum ein, absolviert ein Praktikum in der Käserei Danzl und kann seinen Bruder Stefan davon überzeugen, dass die Milchverarbeitung Zukunft haben kann. Stefan hat im Alter von 21 Jahren den Hof übernommen. Er ist inzwischen für „Wald und Wiese“ zuständig, für die Erhaltung und Ernte der zirka 40 Hektar Wiesen und 40 Hektar Wald. Er ist zugleich ZAR Rinderzuchtobmann für ganz Österreich, Funktionär bei der Berglandmilch und deshalb meist einige Tage in der Woche unterwegs. „Das hat Vor- und Nachteile“, sagt Andi lächelnd. Er selbst ist „Herr“ über die Direktvermarktung, teilt sich mit dem Bruder und auch einem angestellten Knecht die Arbeit im Stall mit den aktuell 108 Rindern (inklusive Nachzucht) und hat gerade einen neuen Schweine- sowie einen neuen Hühnerstall gebaut. Das Zuhause der Schweine ist ein offener Tierwohlstall mit Strohhaltung und kann jederzeit besichtigt werden – Transparenz ist Teil der Philiophie beim Schörgerer.
Die Schweine werden mit Molke, Heu und Getreide gefüttert. Es soll ihnen gut gehen. Für Andreas ist wichtig, dass die Balance stimmt: „Ich möchte ruhig schlafen können. Wir sehen unsere Tiere als Mitarbeiter. Wenn man sie gut behandelt, bekommt man eine gute Leistung zurück. Und das kann ich nur, wenn ich weiß, dass es für die Tiere passt. Da bin ich schon mit Emotionen dabei.“
Die Schwester als Großabnehmer
Andi weiß, dass es sich nicht jeder Bauer leisten kann, in diesem Ausmaß auf das Tierwohl zu schauen. „Ich kann so reden, weil wir uns leichter tun, weil wir mit dem Hotel der Schwester, dem Penzinghof, einen großen Abnehmer gleich nebenan haben.“ Die Schwester zahle für das gelieferte Fleisch, so Andi, faire Preise, damit sich der Kreislauf schließen kann. Sie nimmt im Jahr zirka 30 Kälber ab, neun Rinder und künftig 50 Schweine. Und erhalte dafür ehrliche Qualität, die die Gäste zu schätzen wissen. Einmal in der Woche können sich die Hotelgäste einer Führung durch die Landwirtschaft anschließen und sich ein Bild davon machen, wie die Tiere gehalten werden, und was mit der Milch passiert. Das kommt gut an.
Das Mehr an Schweinefleisch, das zukünftig produziert wird, geht in die Veredelung und wird zu Würsten, Speck und so weiter verarbeitet. Auch hier landet ein Teil am Frühstücksbuffet des Hotels. Die Lehrlinge in der Hotelküche sollen zukünftig noch mehr in die Fleischzerlegung eingebunden werden, „damit die Wertschätzung für das Lebensmittel steigt.“ Und für das Tier, das sein Leben gelassen hat. Das GANZE Tier, nicht nur seine Edelteile. „Wenn wir uns nicht nur auf die Edelteile konzentrieren würden, sondern das ganze Tier verwerteten, müsste es vielleicht keine Massentierhaltung in solchem Ausmaß geben.“ Andreas Lindner hat mit seiner Arbeitsweise auf jeden Fall einen Weg eingeschlagen, der weg von der „Fleischproduktion“ und hin zum fairen Umgang mit den Lebewesen führt. Das tut nicht nur den Schweinen, Hühnern und Rindern gut, sondern macht auch uns selber glücklich und zufrieden. „Ich bin froh, dass ich Bauer bin!“, sagt er und strahlt über das ganze Gesicht.
Doris Martinz