Marina Egger de Natris und australian-shepHerd-rüde „Kijani“ helfen Menschen mit besonderen Bedürfnissen.
Eigentlich hatte Marina immer Angst vor Hunden. Aber dann schaffte sich ihr damaliger Freund einen vierbeinigen Begleiter an, und so kam es, dass auch die diplomierte Kinder- und Jugendlichen-(Palliativ-)Krankenschwester sich mit dem Tier anfreundete. Kijani brauchte nicht lange, um ihr Herz zu erobern. Heute sagt sie: „Abgesehen von meinem Sohn und meinem Mann ist er mein Ein und Alles.“ Längst sind Hund und Frauchen mehr als Freunde, sie sind Arbeitskollegen, Partner, beste Freunde. Marina streicht Kijani zärtlich über den Rücken. Wunderschön ist er, der Rüde. Sein Fell mit dem mittellangen Haarkleid ist seidenweich und braun-weiß gezeichnet, der Blick wach und aufmerksam. Mit seiner rosafarbenen Zunge leckt er seinem Frauchen über die Hand.
Sozialarbeit in vielen Facetten
In der Dezember-Ausgabe der St. Johanner Zeitung haben wir euch, liebe Leserinnen und Leser, Marina und ihre Arbeit als Palliativ-Kinderkrankenschwester vorgestellt und ihre berufliche Laufbahn vom Stockmädchen im Krankenhaus bis heute kurz nachgezeichnet. Zehn Jahre lang wohnte sie in St. Johann und arbeitet auch im Krankenhaus St. Johann (derzeit ist sie in Karenz), sie lebt nun aber mit ihrem Mann Philippe und Klein-Leo (ein Jahr alt) in Niederndorf. Viele ihrer KlientInnen sind im Raum St. Johann und Kitzbühel zuhause.
Bereits als Marina ihrem Kijani zum ersten Mal das Fell kraulte, keimte der Gedanke auf, ihn mitzunehmen zu ihren kleinen Schützlingen – als Therapiehund. Sie las sich in die Thematik ein und widmete seiner Ausbildung über den „Verein Therapiehunde Mensch und Tier“ viele Monate lang ihre gesamte Freizeit. Kijani zeigte sich geeignet und gelehrig: Er ist sanft und geduldig, so schnell bringt ihn nichts aus der Ruhe. Er begegnet allen Menschen ohne Argwohn oder Aggressionen, sein Wesen ist ausgeglichen und selbstbewusst, aber nie dominant oder aufdringlich. Besonders zu Kindern hat Kijani einen guten Draht: „Da ist er ganz eng, da gehen die Herzen auf“, sagt Marina.
Sie hat ihren Hund gelehrt, auch auf ihre Handzeichen zu reagieren. „Wenn ein Kind Angst hat, kommt es nicht gut an, wenn ich ihm lautstark befehle, sich hinzusetzen oder -legen“, erklärt sie.
Sie nimmt Kijani mit, wenn sie als Palliativ-Kinderkrankenschwester ihre kleinen PatientInnen zu Hause besucht, aber auch, wenn sie am Lilienhof in Schwoich mit den Kindern und Jugendlichen arbeitet, die dort vom Verein „Schritt für Schritt“ betreut werden. Und auch in Konzepten, die in Zusammenarbeit mit LogopädInnen oder PhysiotherapeutInnen erstellt werden, kommt Therapeut Kijani vor. Die Kinder sollen ihn nicht nur streicheln und sich über das Tier freuen, das ist Marina zu wenig. Kijani soll sie gezielt fördern. Wie das aussehen kann, erklärt sie an einem Beispiel: „Nora tut sich schwer damit, ihre Hände zielgerichtet einzusetzen. Für Kijani nimmt sie kleine Leckerlis auf und wirft sie in das Loch einer Box. Ein menschlicher Therapeut kann sie kaum zu dieser Anstrengung motivieren, für Kijani tut sie alles, was ihr irgendwie möglich ist.“ Wiederholungen bringen den gewünschten Effekt. Wenn Nora am Boden liegt, legt Kijani zuerst seine Pfoten auf ihre Beine, dann legt er sich vorsichtig ganz auf die junge Frau. Sein Körpergewicht fördert ihre Tiefenwahrnehmung. „Was ich mit Kijani mache, soll immer einen therapeutischen Nutzen haben.“
Feinfühliger Helfer
Gerade bei der Palliativ-Betreuung bewirkt Kijani oft kleine Wunder. Zum Beispiel im Falle jenes Mädchens, das sich aufgrund seiner fortgeschrittenen Erkrankung kaum mehr rühren kann. Aber wenn es Kijani sieht, greift es nach dem Tier. „Wie viel das der Mutter des Mädchens bedeutet, können manche vielleicht gar nicht nachvollziehen. Es sind sehr bewegende Momente.“
Ein anderer kleiner Patient strahlt, sobald er Kijanis gewahr wird. Er bezeichnet den Hund als seinen allerallerbesten Freund.
Auch einem Mädchen, das an epileptischen Anfällen leidet, ist Kijani eine große Hilfe: „Kijani spürt es, wenn ein Anfall kurz bevor steht, er stubst mich an. Wenn er sich dann auf das Mädchen legt, kommt es gar nicht in den Anfall hinein. Wenn es schon einen hat, kommt es schneller wieder heraus.“ Es sind ganz besondere Augenblicke, die sich zwischen Mensch und Tier abspielen. Das Tier öffnet die Herzen kleiner PatientInnen, viele von ihnen lassen dadurch auch den Menschen näher an sich heran.
Der Hund weiß nichts von Mängeln
Marina ist auch als Frühförderin im Einsatz und arbeitet mit entwicklungsverzögerten Mädchen und Buben. Die Sprachförderung mit Hund ist überaus erfolgreich: „Wenn das Kind mit dem Hund kommunizieren willen, fängt es viel schneller an, Wörter zu sprechen.“ Aber warum ist das so? „Weil sie die Zuneigung des Tieres spüren, das ohne Vorbehalte auf sie zugeht.“
Als menschlicher Therapeut komme man immer mit dem Bewusstsein des Defizits auf die PatientInnen zu – egal, ob sie ein schiefes Gesicht haben, stottern oder im Rollstuhl sitzen, erklärt Marina. Das könne man nicht abstellen, auch wenn man sich noch so sehr zusammennehme. „Das ist menschlich. Man geht hin und spürt oder sieht den Fehler, man schaut hin. Ein Hund macht das nicht. Der Hund sieht den Menschen als Mensch, aber nicht seine Fehler oder Mängel. Deshalb können sich Kinder, aber auch Erwachsene, eher auf diese Art von Therapie einlassen.“
Marina geht auf in dem, was sie tut, sie hat Arbeiten über Therapiehunde-Begleitung bei der Frühförderung und der Palliativ-Arbeit geschrieben.
Kijani ist jetzt neun Jahre alt. Marina hofft, dass er noch lange mit ihr gemeinsam PatientInnen besuchen kann. Inzwischen schult sie auch andere Hunde – und hat auch ihren eigenen tierischen Nachwuchs, die kleine Rose, Kijanis Tochter, zur Therapiehündin ausgebildet. Sie ähnelt ihrem Vater im Charakter sehr. „Rose liebt jede und jeden und ist total unkompliziert“, erzählt Marina nicht ohne Stolz in der Stimme. Ohne jeden Zweifel wird auch die quirlige Hundedame alle Herzen erobern …
Doris Martinz