Natalie Obwaller ist Wohn- und Freizeitbegleiterin bei der Lebenshilfe in St. Johann – über Herausforderungen und viele schöne Momente.
Das erste, was mir an Natalie auffällt, sind ihre gletscherblauen-Augen – ich kann meinen Blick gar nicht mehr abwenden. Was anderen vielleicht eher ins Auge springt, sind Natalies Piercings und die Tattoos. Eines davon reicht bis zum Handrücken, ich erkenne ein Edelweiß – Teil einer wunderschönen Arbeit, die mir Natalie nicht ohne Stolz zeigt, indem sie den Ärmel ihres Shirts zurückzieht. Wow!
Das Thema unseres Gesprächs ist aber ein ganz anderes, es dreht sich um Natalies Beruf. Sie ist nämlich seit gut zwei Jahren Wohn- und Freizeitbegleiterin bei der Lebenshilfe in St. Johann beschäftigt. „Viele wissen gar nicht, was wir machen, aber für mich ist es ein Traumberuf“, verrät die 31-Jährige. Sie wohnt in Schwoich und absolviert gerade ihre Ausbildung zur diplomierten Sozialbetreuerin, parallel dazu arbeitet sie bereits mit ihren Klientinnen und Klienten der Lebenshilfe St. Johann. Sie ist Quereinsteigerin – zuvor war sie als Kinderkrippenerzieherin angestellt. Selbst ist sie übrigens auch schon Mutter, ihre Kinder sind zwölf und neun Jahre alt. Dass sie bereits in so jungen Jahren eine Familie gründete, sei nicht geplant gewesen, gesteht sie lächelnd. Sie ist eine, die das Leben nimmt, wie es kommt. Diese Eigenschaft kommt ihr bei ihrem Job sehr zugute.
Hilfe daheim
Natalie betreut bei der Lebenshilfe Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Manche von ihnen wohnen daheim bei ihren Familien – Natalie und ihre KollegInnen von der „Mobe“, wie Natalie die mobile Begleitung kurz nennt, helfen ihnen bei der Freizeitgestaltung, sie gehen Skifahren, Rodeln oder Wandern mit ihnen, sie unternehmen Ausflüge oder sogar Urlaubsreisen – oder liefern sich einfach auch nur Matches in „Mensch-ärgere-dich-nicht“, wenn den KlientInnen der Sinn danach steht. Damit entlasten sie auch die Angehörigen. Doch Natalie und ihre KollegInnen teilen nicht nur die schönen Momente mit ihren KlientInnen. Sie stehen ihnen auch bei, wenn jene durch schwierige Lebensphasen gehen, zum Beispiel dann, wenn sie um Familienmitglieder oder verstorbene FreundInnen trauern.
Jene KlientInnen, die in einer eigenen Wohnung leben, unterstützt das Team der „Mobe“ bei der Haushaltsführung und begleitet sie zu Arzt- oder Behördenterminen oder beim Einkaufen – damit sie so lange wie möglich selbständig leben können. Auch hier gehört die Freizeitgestaltung dazu. Urlaubsreisen hat Natalie mit den Menschen, die sie betreut, bislang noch nicht unternommen – in den letzten beiden Jahren war das ja auch schwierig. „Aber das kommt bestimmt noch, und ich freue mich drauf“, sagt sie. Die meisten ihrer KlientInnen sind körperlich recht fit und mobil. Aber auch ein Trip mit einem Klienten/einer Klientin im Rollstuhl wäre für sie kein Problem: „Wir bekommen ja die Grundausbildung in der Pflege, das würde mich nicht schrecken.“
Geben und nehmen
Was macht für Natalie den Beruf so erfüllend? „Man gibt viel, aber man bekommt auch ganz viel zurück“, sagt sie. Es sei einfach ein wunderbares Gefühl, die ihr anvertrauten Menschen glücklich zu machen. Oft mit ganz kleinen Dingen: „Letztes Jahr ging ich zum Beispiel mit einer Klientin zum ersten Mal nach dem Lockdown wieder einmal Minigolfen. Sie hat sich so darüber gefreut, dass ich selbst ganz euphorisch wurde. Es tut gut, sich mit Menschen zu umgeben, die sich so freuen können, die ihre Emotionen so unmittelbar ausdrücken. In solchen Situationen denke ich mir dann: Genau deshalb mache ich den Job.“ Von ihren KlientInnen könne man sich vieles abschauen, meint Natalie. Nicht nur die Freude an kleinen Dingen, sondern das Mitgefühl, das sie aufbringen und ihre dankbare, wertschätzende Art. Jeder Tag erinnere sie daran, warum sie sich für die Ausbildung entschieden hat, so Natalie, jeder Tag bringe solche Situationen wie die oben beschriebene. „Es fühlt sich einfach gut an, gebraucht zu werden.“
Natalie sagt, sie habe längst alle ihre Klientinnen und Klienten ins Herz geschlossen, auch wenn ihr natürlich manche besonders nahestünden – das ist menschlich. Aber: „Sie sind alle super, jede und jeder auf seine Weise. Ein stückweit sind sie alle wie Familie für mich.“
Natalie hat inzwischen gelernt, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. „Am Anfang nimmt man alles mit heim und grübelt, wenn es zum Beispiel einem Klienten oder einer Klientin gesundheitlich schlecht geht. Aber das ist inzwischen viel besser geworden. Es gibt auch immer weniger Situationen, in denen ich selbst unsicher bin. Durch die Ausbildung und den täglichen Umgang mit den Menschen wächst man enorm.“
Erweiterte Grundkompetenzen
Was sollte man mitbringen, wenn man als mobile Begleitung im Einsatz sein will? „Viel Liebe zum Menschen, das ist klar“, sagt Natalie. Außerdem sollte man bereit sein, alleine zu arbeiten. Denn man bekommt zwar Unterstützung und Rückhalt vom Team, zu den KlientInnen geht man aber alleine. Spontanität sei ebenfalls vonnöten, sagt Natalie, um die manchmal recht rasch wechselnde Wünsche der Betreuten zu erfüllen. Da drängt sich mir die Frage auf: Was, wenn man selber grad überhaupt keine Lust auf das hat, was dem Klienten/der Klientin vorschwebt? „Man muss natürlich nicht alles machen. Meist tue ich es dann aber doch“, sagt Natalie mit einem Augenzwinkern. Sie gehe beispielsweise nicht so gern ins Hallenbad, gesteht sie. Aber wenn der oder die Betreute es sich wünscht, gehe sie halt doch mit. „Das hält man schon aus. Die Freude meiner Lieben macht das mehr als wett.“ Deshalb macht es ihr auch nichts aus, dass sie beim Mensch-ärgere-dich-Spiel meistens Pech hat.
„Ich verliere immer, das ist ein Phänomen. Meine Klienten sind aber auch knallhart und schmeißen mich bei jeder Gelegenheit raus, es gibt keine Gnade!“, erzählt Natalie und lacht herzlich. Ihre KlientInnen lieben nicht nur das klassische Brettspiel, zu ihren Favoriten zählen auch „Skippo“ und „Uno“. Deshalb ist Natalie nie ohne die beiden Kartenspiele in der Tasche unterwegs. Zur Grundkompetenz der Betreuenden gehört wohl auch das Beherrschen der beiden Spiele – und dass man prinzipiell gerne spielt. Genauso, wie es ohne Humor nicht geht und ohne die Fähigkeit, manches gelassen zu sehen und nicht alles persönlich zu nehmen. Für Natalie ist das kein Problem: „Ich könnte mir keinen anderen Beruf mehr vorstellen und habe für mich festgestellt, dass ich mich beruflich angekommen fühle.“
Nach langen Arbeitstagen entspannt sie sich am liebsten im Wald, mit einem Fernglas in der Hand. Sie hat die Jagdprüfung abgelegt und liebt es, das Wild zu beobachten. Stundenlang kann sie spähen, dem Gesang der Vögel lauschen und dabei an nichts denken. Zwei Hirsche hat sie sich tätowieren lassen – aber ich bekomme sie nicht zu sehen. Nicht alles im Leben ist offensichtlich …
Doris Martinz