Als Marktschreiber verbrachte Omar Khir Alanam den ganzen April über in St. Johann. Über den Unterschied zwischen Gott und einem Flüchtling, offene Fragen und mehr.

Omar. Das sind dunkle, wache Augen, ein strahlendes Lächeln und schwarze Locken, die beim gestenreichen Erzählen auf und ab wippen. Als wir uns auf einen Kaffee treffen, trägt er einen weißen, eng anliegenden Rollkragenpullover, darüber ein dunkelblaues Gilet und dazu die passende blaue Anzughose. Richtig gut sieht er aus – ein Latino-Typ, dem die Frauen verschämte oder ganz offen interessierte Blicke zuwerfen. Dieser Omar, der da heute vor mir sitzt, so charmant und eloquent, das ist nicht mehr der Omar, der 2015 als Flüchtling am Bürglkopf in Fieberbrunn eintraf. Oder doch?
Omar lebt inzwischen in Graz, er ist Autor, Poetry-Slammer und leitet Workshops, bei denen er Jugendlichen das Thema Integration näherbringt. Auf Einladung des Literaturvereins kam er letztes Jahr für eine Lesung aus seinem Buch „Sissi, Sex und Semmelknödel“ nach St. Johann. Im April dieses Jahres kehrte er – wieder auf Einladung des Literaturvereins – als Marktschreiber zurück. Um an seinen neuen Büchern zu schreiben, um sich ein Bild vom Ort und seinen Menschen zu machen – und auch, um sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Er werde mit der Region immer in einer Weise verbunden bleiben, meint Omar. Der 30-Jährige sollte in seinem Heimatland Syrien Soldat werden und für Baschar al-Assads Armee töten und sterben. Er flüchtete zuerst in den Libanon und kam dann über die Türkei nach Österreich ins Flüchtlingsheim Bürglkopf. Omar erinnert sich daran, wie er damals eine Wanderung unternahm und auf einem Gipfel saß. „Das war unglaublich schön. Bis dahin hatte ich geglaubt, die Berge, die gebe es so nur im Zeichentrickfilm Heidi.“ Beim Blick über die Bergspitzen, die Wolken unter sich, fielen ihm die Worte seiner Oma ein. „Sie hat immer gesagt, dass Gott über den Wolken wohne. Und da saß ich nun, über den Wolken, und wusste, ich bin nicht Gott, sondern nur ein Flüchtling.“ Unzählige Fragen gingen ihm damals durch den Kopf: „Warum bin ich so isoliert, warum haben Menschen Angst vor mir, warum stehe ich so am Rande?“
Heute fragt Omar: „Magst du ein Glas Wein trinken?“

Neue Bücher

Omar hat sich in Österreich bestens integriert, und bald werde er auch „offiziell“ ein Österreicher, verrät er mir. Er spricht sehr gut deutsch, hat Bücher in deutscher Sprache geschrieben und mit Alena, einer Österreicherin, einen kleinen Sohn bekommen – Nael, er wird im August drei Jahre alt. Omar war bereits Ortsschreiber in anderen Gemeinden und mehrmals zu Gast im Fernsehen, um seine Geschichte zu erzählen und in amüsanter Weise von kulturellen Unterschieden zu sprechen.
In St. Johann widmete sich Omar unter anderem dem Schreiben an seinem neuen Buch. Worum es konkret geht, will er noch nicht verraten. Außerdem arbeitet Omar an einem Kinderbuch – ein Herzensprojekt, wie er sagt. In seiner Kindheit habe ihm niemand jemals Bücher vorgelesen. Aber als Vater habe er erlebt, wie sehr sein Sohn Bücher und die Geschichten darin liebt. Omars Kinderbuch handelt von einer Ameise, die immer einen roten Helm trägt, um sich von all den anderen abzuheben. Sie trifft auf ein Menschenkind, das unter keinen Umständen auffallen will – eine spannende Begegnung mit wichtigen Botschaften. Es soll nächstes Jahr herauskommen.

Blumenkavalier

In den Straßen St. Johanns hätten ihn schon viele erkannt, erzählt Omar, es habe viele schöne Begegnungen gegeben. Er ging auch auf Leute zu und sprach sie an – oft auch abends in der Post-Bar. Einmal kaufte er einen großen Bund Blumen und verteilte sie an Passantinnen und Passanten, um sich für die nette Aufnahme im Ort zu bedanken. Mit dabei: sein kleiner Sohn Nael. Wie waren die Erfahrungen? „Die meisten Leute waren total nett und haben sich über die Blumen gefreut. Manche wollten sie aber auch nicht annehmen.“ Er habe sich daraufhin gefragt, wie er mit diesem Nein umgehe, ob er traurig oder verletzt sei. Und sich entschieden, sich lieber in die jeweilige Person hineinzuversetzen, nicht zu werten und sich zu fragen, warum sie wohl die Blume abgelehnt haben mag. „Das war sehr interessant!“

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Was Omar als sehr positiv erlebt hat, ist die Freiwilligenarbeit, die viele Menschen bei uns leisten – zum Beispiel bei den Lesungen, aber auch bei vielen anderen Gelegenheiten. Ehrenamtliche Arbeit gibt es in Syrien nicht, sie ist von der Politik nicht erwünscht. Im Gegenteil: Die Regierung sieht sich bedroht, wenn sich Menschen treffen, um gemeinsam etwas zu bewirken. „In Damaskus wurden 2011 Leute eingesperrt, weil sie in der Stadt gemeinsam Müll eingesammelt haben.“ Dass sich bei uns so viele Menschen engagieren und einbringen, findet Omar inspirierend und schön.
Zu Ostern lud man Omar in eine Familie ein, man feierte, aß, trank und plauderte. „Das hat mich sehr an meine eigene Familie erinnert. Wir feiern zwar andere Feste, aber die Rituale sind dieselben. Das Gefühl der Gemeinschaft ist wunderbar – da wie dort.“

Offene Fragen

Omar begegnete Fremden im Ort mit Neugierde und Offenheit. „Es ergaben sich immer Gespräche, von denen ich profitieren konnte – aber ich konnte auch geben.“ In den Diskussionen mit jungen Leuten fand er heraus, dass ihnen ein Abendlokal fehlt. „Warum gibt es so etwas nicht in
St. Johann?“ Das ist nur eine der Fragen, die sich Omar stellt. Eine andere ist, warum die Preise für das Wohnen in der Gemeinde so hoch sind. Omar fühlte sich nämlich in St. Johann sehr wohl. Hier zu bleiben sei aber schon aufgrund der hohen Mietpreise kein Thema. Als ich ihm von Spekulanten erzähle, von wenig bebaubarer Fläche und Tourismus, meint er: „Aber das betrifft doch so viele. Das ist doch das Wichtigste überhaupt, dass die jungen Leute im Ort bleiben können. Wo bleibt da die Politik?“
Die Politik ist ein Stichwort. Omar kann und will nicht verstehen, warum die Wahlbeteiligung bei den Gemeinderatswahlen im Februar bei nur knapp über 50 % lag. Und warum die Menschen von Diktatur sprechen. „Das ist sehr zynisch, denn ich weiß, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben. Das hat mit den Verhältnissen hier nichts zu tun.“ Omar meint, den Menschen müsse bewusst sein, welche Chance sie vergeben, wenn sie nicht zur Wahl gehen. „Das ist nicht die Lösung, glaube mir!“ Dass viele den Glauben an die Politik verloren haben, sei eine Sache. Dass nur wenige selbst Verantwortung übernehmen und bereit sind, sich politisch zu engagieren, eine andere. „Es braucht gute Politiker, und wir müssen wählen gehen“, sagt Omar leidenschaftlich.
Eine weitere von Omars Leidenschaften ist – neben dem Schreiben – das Kochen. Am liebsten bereite er mit viel Freude und Liebe die verschiedensten Speisen auf „syrisch-omarisch“ zu, sagt er mit einem Augenzwinkern. Auch das Anrichten ist wichtig, denn „das Auge muss essen, bevor der Mund isst.“ Man kann Omar sogar buchen: Er bereitet dann für seine Gäste daheim eine Mahlzeit zu und liest aus einem seiner Bücher. Oder er kocht bei den Menschen daheim für kleine Gruppen und verbindet auch hier das Kochen mit dem Lesen. Der Austausch der Kulturen ist ihm wichtig, er pflegt ihn in vielen Varianten.
Omar erzählt mit Armen und Händen, seine Augen leuchten, die schwarzen Locken wippen. Als wir uns verabschieden, verabreden wir uns für „Jaggas’n“ am 9. Juli. Er wird in Lederhose kommen und mit seinem Outfit einmal mehr zwei verschiedene Kulturen vereinen. Ala alliqa’, Omar, bis bald, ich freue mich auf unser Wiedersehen!

Doris Martinz
www.omarkhiralanam.com