Folge 1 – familiäre Hintergründe und erste Reisen
An einem Tag im April dieses Jahres hatte ich das große Vergnügen, im Garten der Familie Weihs in St. Johann zu sitzen und Dieters Erzählungen zu lauschen. Es war ein herrlicher Frühlingstag; Gänseblümchen und Narzissen streckten sich der Sonne entgegen, Bienen summten durch die Luft, es roch nach Aufbruch und neuem Leben. Wie glücklich fügte es sich, dass Dieter mir – beseelt vielleicht auch von der stimulierenden Frühlingsluft – davon berichtete, wie er als junger Mann einst zu großen Reisen aufgebrochen war. Das Erlebte in einem zwei Seiten langen Bericht zusammenzufassen, würde den Abenteuern nicht gerecht werden. Ihr, liebe Leserinnen und Leser, findet deshalb in den kommenden Ausgaben eine Art Fortsetzungsgeschichte über das, was Dieter Weihs und seinen BegleiterInnen unterwegs in der großen weiten Welt widerfuhr. Doch zuerst zu den Hintergründen und zur Person:
Flucht aus Wien
Dieter Weihs wird 1941 in Wien mitten in die Wirren des Zweiten Weltkriegs hinein geboren. Seine Mutter verlässt mit ihm und seinem Bruder Helmut in einem der letzten Flüchtlingszüge die Stadt. „Erfahrungen, die in unserer Zeit jetzt viele Menschen machen, habe ich als vierjähriges Kind gemacht“, sagt Dieter. Er könne sich natürlich nicht mehr an alles erinnern, doch die Flucht aus der Stadt verbinde er mit einzelnen Bildern. Er sieht zum Beispiel noch vor sich, wie bei der Dampflokomotive Wasser nachgefüllt wird. Er erinnert sich auch an den Fliegeralarm während der Fahrt. Alle Passagiere müssen aussteigen; sie springen von den Garnituren, um sich in Deckung zu bringen. Die Fahrt von der Hauptstadt nach Tirol dauert aufgrund der vielen Unterbrechungen eine ganze Woche. In Kitzbühel bleibt der Zug stehen und es heißt aussteigen. Man verteilt die Menschen auf die Bauern in der Umgebung; die Familie Weihs wird zu einem Fieberbrunner Landwirt gebracht. Dieters Mutter trifft dort mit einem Koffer, einem Rucksack und zwei kleinen Buben ein – Kriegsflüchtlinge, um deren Kommen die Bauersleute nicht gebeten haben. „Gehabt haben wir nix“, sagt Dieter. „Ich erinnere mich an Hunger.“
Vor dem Krieg ist Dieters Vater Walter Lehrer an einem Gymnasium in Wien gewesen, er hat Geschichte und Leibeserziehung unterrichtet. Im Krieg setzt man ihn bei der Luftwaffe als Fluglehrer ein, er bildet Piloten aus. Als der Krieg beendet ist, folgt er seiner Familie nach Tirol und verdingt sich als Knecht am Hof. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse kann er mit den englischen und in der Folge auch mit den französischen Besatzern kommunizieren – eine Kompetenz, die in jenen Tagen selten ist und vor allem bei den jungen Frauen auf Interesse stößt: Sie wollen sich mit den Offizieren unterhalten. Sie bitten Dieters Vater, ihnen sprachliche Grundkenntnisse beizubringen und entlohnen ihn mit einer Kanne Milch oder einem Wecken Brot. Davon erfährt ein Herr Schallhart in St. Johann, der Walter einen Handel vorschlägt. Was folgt, ist Schulgeschichte in St. Johann: Walter Weihs unterrichtet zuerst die drei Kinder Schallharts, dann immer mehr Schülerinnen und Schüler in St. Johann und eröffnet schließlich ein Privatgymnasium in der Marktgemeinde. Mehr dazu lest ihr zu einem späteren Zeitpunkt in der St. Johanner Zeitung.
Griechenland, Dosenravioli und Tee
Dieter Weihs maturiert viele Jahre später in Salzburg und entscheidet sich dafür, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und Lehrer für Deutsch und Turnen zu werden. Er studiert später in Wien, aber zuvor hat er noch fünf Wochen frei – und Zeit, mit seinen Eltern eine Griechenlandreise zu unternehmen. Sein Vater hat sich nämlich als Historiker immer gewünscht, seine erste große Auslandsreise zu den Kulturstätten der Hellenen zu machen. Dieter macht noch schnell einen Führerschein-Schnellkurs, und ab geht die Fahrt. Fünf Wochen lang reist die Familie in Griechenland von einer Sehenswürdigkeit zur anderen, zwischendurch badet sie in traumhaft schönen Buchten mit kristallklarem Wasser. Die Eltern schlafen im Auto, Dieter im Zelt oder unter freiem Himmel; „Mutti hat auf dem Benzinkocher Mahlzeiten zubereitet, wir waren nicht ein einziges Mal in einem Gastlokal“, erinnert sich Dieter. Griechenland, Dosenravioli und Tee – diese Begriffe gehören für ihn zusammen. „Wir waren glücklich!“
Alleine auf der Akropolis
Griechenland gefällt Dieter so gut, dass er seinem Bruder im Jahr darauf – er studiert inzwischen in Wien – den Vorschlag macht, das Land mit Puch-Rollern zu bereisen. Helmut ist einverstanden, und auch ein Freund, Sigi Urmann, schließt sich an. Auf ihren drei „Maschinen“ machen sich die jungen Männer auf den Weg. Sie brauchen drei Tage, um auf den löchrigen Schotterstraßen nach Griechenland zu gelangen. Sie schlafen im Zelt oder – meistens – im Freien und erkunden das Land. Auf den guten Rat eines bekannten Bergsteigers aus St. Johann hin besteigen sie den Gipfel des Olymp. Aufgrund der Hitze im Juli brechen Sie um Mitternacht auf. Als sie zur Alpenvereinshütte gelangen, meint Helmut: „Du, die Hüttenwirtin schaut runtergerissen aus wie das Mädchen aus Wuppertal, mit dem ich beim Skilehrern geflirtet hab.“ Nun: Es ist tatsächlich deren Schwester. So klein ist die Welt! Tags darauf erklimmen die drei Burschen den Gipfel auf fast 3.000 Meter Seehöhe und steigen dann wieder ab – den Rucksack voll mit unvergesslich schönen Eindrücken. Dieter erinnert sich auch daran, wie sie die Akropolis besuchen. Ganz alleine stehen sie vor einer der bekanntesten Kulturstätten Europas, sie haben sich extra schick gemacht für das Foto und tragen blütenweiße Hemden. „Ein Moment für die Ewigkeit“, sagt Dieter mit glänzenden Augen. „Heute ist der Ort total überlaufen, aber wir waren damals fast ganz alleine dort.“ Viele solcher unvergesslich schöner Momente brennen sich in seine Seele ein – Griechenland lässt ihn nicht mehr los. Später sollte er mit seiner Familie 36 Mal in dieses traumhaft schöne Land reisen. Er liebt alles: die Menschen, die Landschaften, die Kulturstätten …
Leere Kasse, und dennoch Marokko
Um in seinem ersten Studienjahr mit Helmut und Sigi die Reise überhaupt antreten zu können, bittet Dieter seinen Professor, Dr. Hadamovski, seinen Prüfungstermin vorzuverlegen. Er sagt zu – er ist selbst Griechenlandfan und bereist das Land jedes Jahr mit Maturantinnen und Maturanten. Die schriftliche Prüfung ist kein Problem, „aber mündlich war ich so schlecht, dass ich mich heute noch schäme. Ich dachte nur, hoffentlich sehe ich diesen Menschen nie wieder.“ Aber wie das Leben so spielt, trifft Dieter den Professor im Herbst in der Kärntner Straße. Dr. Hadamovski würde sich gerne Dieters Griechenland-Fotos ansehen, Dieter besucht ihn und eine wunderbare Freundschaft entsteht. Der Professor macht seinen Studenten in den folgenden Jahren zu seinem Co-Reiseleiter. Zum Glück hat Dieter als staatlich geprüfter Skilehrer bei den „Roten Teufeln“ unter Karl Koller ein wenig Geld verdient, denn ganz kostenlos sind die Fahrten nicht. Obwohl er sozusagen der Laufbursche des Professors und ihm in vielen Dingen nützlich ist. Es geht nach Griechenland (natürlich!), aber auch nach Ägypten, in den Libanon, nach Syrien, Jordanien, Israel. Als eines Sommers Marokko ansteht, ist Dieters Kasse leer. Was tun? Auslassen will er das nordafrikanische Land auf keinen Fall! „Ich habe meinen Vater gefragt, was er in 14 Tagen an Unterhalt für Essen und Trinken für mich ausgibt. Er hat gemeint, dass es wohl an die 250 Schilling seien.“ Dieter bittet ihn, ihm 300 Schilling für die Reise zu spendieren – mit Erfolg. So lernt Dieter auch Marokko und – am Weg dortin – Südfrankreich und Spanien kennen.
Gegen Ende der Studienjahre kommt sein bester Freund, Helmut Baumgartner vulgo „Bumsti“ in die Bibliothek zu Dieter und fragt ihn: „Weißt du, wohin wir fahren, wenn wir alles hinter uns haben?“ Nein, Dieter weiß es nicht, aber er wird es sogleich erfahren: „Nach Indien, auf den Spuren Alexander des Großen!“. Über die Abenteuer dieser Fahrt lest ihr in den nächsten Ausgaben der St. Johanner Zeitung.
Doris Martinz