Hans Oberlechner über „Kulturprostitution“ und mehr.
Der streitbare Hans“ könnte er heißen, denn Hans Oberlechner hält nie mit seiner Meinung zurück und sich nicht, auch unangenehme Dinge anzusprechen. Und das alles nur aus Liebe – zur Musik, zur Kultur. Ich spreche mit ihm über „Musik im Spannungsfeld zwischen Tradition und Tourismus.“ Mit diesem Thema befasst man sich aktuell auch auf Landesebene: Im Tiroler Volkskunstmuseum in Innsbruck läuft seit Juni die Sonderausstellung „Wir Tiroler sind lustig“.
Lustig ist man wohl auch in St. Johann, in einem Ort, der zu den vielen touristischen Hotspots des Landes gehört. Hans lächelt schief. Denn Musik und Tourismus stehen in Wechselwirkung zueinander: Echte Volksmusik, von Generation zu Generation weitergegeben, prägt das Bild einer Region und seiner Menschen mit – auch das touristische Bild. Damit die Volksweisen einer möglichst großen Masse an Leuten und damit potentiellen Touristen gefallen, werden Ecken und Kanten abgeschliffen. „Und dass sich die Musik dem Kommerz beugen soll, das stößt mir sauer auf“, so Hans Oberlechner.
„Kulturprostitution“
Schon immer hat sich Musik, auch die Volksmusik, verändert. Hans: „Es gab immer Einflüsse von außen, neue Themen und auch Instrumente, die eingebracht worden sind und weitere Klangmöglichkeiten eröffnet haben. So bleibt Musik lebendig. Darauf zu beharren, dass die Musik genauso sein muss wie beispielsweise vor zwei Generationen, ist anmaßend. Und wer sollte darüber entscheiden, was richtig und gut ist, und was nicht?“ Es brauche aber den Schutz der Volksmusik. Gerade in Regionen, in denen der Tourismus stark ist. Denn sie zu verbiegen, um damit die Erwartungen des „großen Publikums“ zu erfüllen, fällt für Hans ganz klar unter den Begriff der „Kulturprostitution“, des Ausverkaufs eines Kulturguts um jeden Preis. Wobei es für ihn „total in Ordnung“ ist, wenn bei Veranstaltungen im Ort oder in der Wirtsstube „zur Belustigung des Publikums“ volkstümliche Musik gespielt wird – also für den breiten Geschmack zurechtgebogene Volksmusik. Lieder wie „Auf der Bruck, trara, da liegt die Barbara …“, die ins Ohr gehen und Spaß machen (sollen) – aber eben mit echter Volksmusik dann so gut wie nichts mehr gemein haben. Für Hans sind Stücke wie dieses bei aller Toleranz der „Inbegriff der Blödheit. Und da muss man unterscheiden, das darf man dann nicht Volksmusik nennen. Unter diesen Hut wird oft aber alles hineingepackt, und das ist das Problem.“
Neues „Kulturgut“
Wenn Tourismus und Volksmusik aufeinander treffen, kommt es auch andernorts zu Spannungen, weiß Hans. Bei einem Fest auf Kreta habe er beispielsweise erwartet, den Sirtaki – für uns der Inbegriff der griechischen Volksmusik – zu hören. Der Filmklassiker „Alexis Sorbas“, in dem Anthony Quinn Sirtaki tanzt, wurde ja auf Kreta gedreht. Allein: Die Musik, den Tanz, den Rhythmus gab es nie, er wurde für den Film „erfunden“ – weil Quinn nicht tanzen konnte. Das „Kulturgut Sirtaki“ ist also in Wahrheit eine Schöpfung Hollywoods. Recht viel Freude haben die GriechInnen damit sicher nicht. Genauso wenig wie Hans mit der Barbara auf der Bruck trara, die dort – übrigens höchst Frauen verachtend – ganz zerdruckt von ihrem Hawara liegt.
Als Hans in St. Johann vor vielen Jahren ein Konzert „der anderen Art“ organisierte, das so gar nicht in das touristische Konzept passen wollte, sagte ein Touristiker zu ihm, dass man in St. Johann seit Jahrzehnten das Bild eines idyllischen Almdorfs aufbaue, und Hans es mutwillig kaputtmache. „Das zeigte die Denkweise, und dass es nur um eine möglichst gefällige Fassade, um den Ausverkauf der Ideale ging“, so Hans. Inzwischen hat sich viel getan. Das „Almdorf“ hat sich beispielsweise mit „artacts“, dem Festival für Jazz und improvisierte Musik, aber auch mit vielen weiteren Musikveranstaltungen aus den verschiedensten Genres einen Namen gemacht. Und damit einen Gegenpol geschaffen zur Bergidylle. St. Johann ist weiter geworden, und in seiner musikalischen Vielfalt auch reicher. Zu verdanken ist das auch Hans.
Die Volksmusik ist zurück
Mittlerweile gibt es viele Ergänzungen zur volkstümlichen Musik: Viele kleine Ensembles und MusikerInnen, die sich mit Liebe der überlieferten Volksweisen annehmen und sie weiterentwickeln. Sie tun es behutsam, mit Liebe, mit Wertschätzung, aus purer Freude an der Musik. Und nicht, um damit den Geschmack der Massen zu treffen. Als positive Beispiele nennt Hans auch große Interpreten wie Herbert Pixner und Roland Neuwirth. Sie machen für ihn den Unterschied im Umgang mit der überlieferten Musik sichtbar. „Die beiden entwickeln alte Weisen weiter, das geht oft auch in ganz andere Richtungen, hinein in den Jazz oder in den Rock. Aber sie verlieren nie den Kontakt zur Basis, zum Ursprünglichen.“
Auch in den Musikschulen genießt die echte Volksmusik wieder mehr Stellenwert –
beim Lehrkörper, aber auch bei den SchülerInnen. Die oft einfachen, eingängigen Melodien schaffen die Basis für die weitere Entwicklung.
Spannende musikalische Grenzüberschreitungen erleben wir übrigens immer wieder in der „Alten Gerberei“. Hans freut sich stets über viel Besuch …
Doris Martinz