Ahmad Tawab Ahmadi flüchtete 2015 von Afghanistan nach Österreich – über weite Strecken zu Fuß. Heute ist er „Chef de Partie“ in der Küche des Hotel Wirtshaus Post St. Johann.
Sein Deutsch ist gut, nur selten zögert Tawab und sucht nach dem richtigen Wort. Ich muss nicht „schön sprechen“ mit ihm, er versteht Dialekt. Sein Bart ist perfekt getrimmt, die Haare trägt er modisch zu einem hohen, kurzen Pferdeschwanz gebunden. Und dann diese dunklen Augen und das zaghafte Lächeln, bei dem seine schneeweißen Zähne hervorblitzen: Ich mag Tawab auf Anhieb. Den Wirtsleuten Sigrid und Max Blumschein und Küchenchef Ben Leitner von der „Post“ muss es 2017 ebenso so ergangen sein: Sie stellten Tawab in der Küche ein, obwohl er damals noch kaum ein deutsches Wort sprach. Das änderte sich rasch, als er im Job gezwungen war, sich in unserer Landessprache zu verständigen, und als er einheimische Freunde fand. Letztes Jahr schloss der heute 27-Jährige die Kochlehre ab und ist nun „Chef de Partie“, wie er nicht ohne Stolz erzählt. Als solcher verantwortet er selbständig gewisse Bereiche in der Küche wie Beilagen oder kalte Gerichte.
Flucht im letzten Moment
Dabei war Tawab ja eigentlich Metzger. In einem anderen Leben, in einer anderen Welt – in seiner Heimat Afghanistan. Tawabs Familie führte eine Metzgerei in Kabul, er erlernte das Handwerk von seinem Vater (eine Lehre, wie wir sie kennen, gibt es in Afghanistan nicht). Die Metzgerei belieferte die Armee, dann traten die Taliban auf den Plan. Tawab musste fliehen, es ging um sein Leben. Er verließ Heimat und Familie mit nichts außer dem, was er am Leib trug: T-Shirt, Jacke, Hose und Schuhe. Und mit etwas Geld. Sein Ziel: Österreich, das Land, in dem einer seiner fünf Brüder damals bereits seit Jahren lebte. Ein anderer Bruder war nach Russland geflüchtet – von ihm gibt es seit Jahren kein Lebenszeichen mehr.
Angeführt von Schleppern, legte Tawab weite Strecken zu Fuß zurück. Zuerst gelangte er in den Iran, von dort ging es über ein Gebirge mit dreitausend Meter hohen Gipfeln in die Türkei. „Einmal bin ich auf dem schmalen Pfad im Schnee ausgerutscht und einige Meter abgestürzt“, erzählt Tawab. Zum Glück blieb er unverletzt. Verschiedene Schlepper, von Österreich aus durch den Bruder bezahlt, brachten Tawab bis ans Meer und auf ein hoffnungslos überfülltes Schlauchboot, das in Richtung einer nahen griechischen Insel ablegte. „Das Meer war zum Glück ganz ruhig.“ Er habe trotzdem große Angst gehabt und sich alleine und ausgeliefert gefühlt“, sagt Tawab. Über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Slowenien gelangte Tawab schließlich nach Österreich und nach Innsbruck, wo er am 22. Dezember 2015 völlig erschöpft und entkräftet seinem Bruder in die Arme fiel. In den vier Monaten seiner Flucht hatte er zehn Kilo an Gewicht verloren.
Schwierige Anfänge
Ein Jahr lang lebte Tawab bei seinem Bruder, der inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und sich selbständig gemacht hat. Zweimal in der Woche besuchte Tawab einen Deutschkurs, die restliche Zeit verbrachte er hauptsächlich in der Wohnung des Bruders oder bei Bekannten. Deutsch sprach er nur im Kurs, entsprechend schleppend waren die sprachlichen Fortschritte. Er bewarb sich dennoch bei einer Metzgerei. „Aber die haben mich nicht eingestellt, weil ich Moslem bin und man dort viel Schweinefleisch isst“, erzählt er. Aufgrund seiner mangelnden Sprachkenntnisse stellte man ihn auch in einer Bäckerei nicht ein. Die Aufenthaltsgenehmigung hatte er inzwischen jedoch in der Tasche.
Und dann stieß sein Bruder auf die Stellenausschreibung der „Post“ in St. Johann.
„Willst du Koch werden?“, fragte er Tawab. „Warum nicht?“, antwortete jener. Und so nahmen die Dinge in der „Post“ ihren Lauf, Tawab lernte Deutsch und integrierte sich.
Hin und wieder telefoniert er mit seinen Eltern, er vermisst sie sehr und hofft, sie eines Tages wiederzusehen. Außer der Familie fehlt ihm nichts aus der Heimat. Zu schrecklich sind die Bilder, die er mit Afghanistan verbindet. Es sind Bilder von Gewalt, von Bomben und Toten.
Die Metzgerei seines Vaters ist längst geschlossen, die wirtschaftliche Situation schlecht. Nur einer der Brüder hat Arbeit, er ernährt die Familie. Seit der Machtübernahme durch die Taliban sind die Frauen aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die Menschen leben in ständiger Angst davor, von den Schergen abgeholt zu werden oder bei Anschlägen ums Leben zu kommen. „Meine Mutter hatte schon früher immer Angst, wenn wir aus dem Haus gingen. In Afghanistan weiß man nicht, ob man wieder lebend nach Hause kommt“, sagt Tawab. „Sicherheit ist alles, das weiß ich jetzt. Ohne Sicherheit kann man nicht leben.“
Wovon Tawab träumt
In Österreich traf Tawab auf eine ihm völlig fremde Kultur. Auf eine, in der sich Frauen ganz selbstverständlich frei bewegen und (manchmal leider nur theoretisch) dieselben Rechte wie Männer genießen. Wie empfindet der junge Afghane das? „In Kabul waren die Frauen früher viel freier als heute, da war der Unterschied nicht so groß“, sagt er. Er schätzt die Gesellschaft, wie sie in Österreich ist. „Mir ist es egal, ob Frauen ein Kopftuch tragen oder nicht.“
Zurzeit ist Tawab „single“, er hat keine feste Freundin. Als ich ihn danach frage, lächelt er in seinen Bart. Und gesteht dann, dass er schon bereit wäre für die wahre Liebe. Die Dame seines Herzens kann auch eine Einheimische sein. „Das ist mir relativ egal, wenn wir zusammenpassen.“
Sein Fokus liegt derzeit darauf, den Führerschein zu machen. Er träumt davon, aus dem Personalzimmer der Post auszuziehen in eine eigene, schöne Wohnung. Dank seines „Traumjobs“ bei der Post, so bezeichnet Tawab seine Arbeitsstelle, wird der Wunsch wohl wahr werden, auch wenn es noch ein wenig dauert. Wenn man sich – wie Tawab während seiner Flucht in der Türkei – über lange Tage mit zwanzig fremden Leuten ein kleines Zimmer teilt, ohne Schlaf, ohne Essen, wird man geduldig. Und dankbar für das, was wir alle als selbstverständlich nehmen.
Nicht alle sind gleich
Das Küchenteam der „Post“ hat Tawab herzlich aufgenommen, ohne Vorurteile. Obwohl Afghanen allgemein einen eher schlechten Ruf genießen in Österreich. Was sagt Tawab dazu? „Ich kenne ganz viele Afghanen, die arbeiten und hier ihr Leben leben, wie es ich und mein Bruder tun. Aber wenn einer meiner Landsleute etwas Schlimmes tut, steht es gleich groß in der Zeitung und die Leute denken, dass alle gleich sind. Das stimmt aber nicht.“ Wichtig sei es, meint Tawab, dass Asylwerber so schnell wie möglich eine Arbeitserlaubnis bekommen. „Bei der Arbeit und bei der Ausbildung lernt man auch ganz schnell Deutsch, im Asylheim nicht.“ Er weiß das aus eigener Erfahrung.
Tawab ist glücklich. Er hat Arbeit und viele Freunde in St. Johann. Und er lebt hier in Sicherheit. Seine Geschichte zeigt, wie wichtig scheinbar Selbstverständliches ist.
Doris Martinz