FOLGE 7: DER SCHÖNSTE FLECKEN AUF DER ERDE UND EIN FURCHTBARER UNFALL

In der letzten Ausgabe berichteten wir davon, dass Dieter Weihs und „Baumi“ (Walter Baumgartner) auf ihrer Reise nach Indien, die sie mit einem alten VW-Käfer auf den Spuren Alexander des Großen bestreiten, die Kulturdenkmäler von Bamiyan in Afghanistan besuchten. Am nächsten Tag brechen sie zu einem weiteren Highlight ihrer Reise auf: zur Seenkette Band-i-Amir (natürlicher Stausee des Propheten). Die insgesamt sechs Seen am Hindukusch liegen auf über 3.000 Meter Seehöhe. Die Schotterstraße dorthin ist an manchen Stellen so steil, dass der gemietete Wolga Mühe hat, sie mit dem ersten Gang zu erklimmen. Doch er schafft es – zum Glück, denn der Anblick der Seen mit dem unglaublichen Blau des Wassers zählt mit zu den schönsten Eindrücken, die die beiden Tiroler auf ihrer Reise sammeln. „Dort fallen steile Felswände in den tintenblauen See, durch die Sinterung entstehen natürliche Staumauern zwischen den Seen. Das ist wirklich einzigartig“, schwärmt Dieter noch heute. „Für mich ist das einer der schönsten Flecken auf dieser Erde!“ Ein Einheimischer, der ganz alleine am Ufer sitz, lädt sie auf einen Tee ein. Trotz seiner Warnung springen sie ins eiskalte Wasser und lassen sich dabei filmen. Nur schwer können sich die jungen Leute von diesem bezaubernden Ort trennen.
Eine beschwerliche, siebenstündige Fahrt über 3.000 Meter hohe Pässe bringt die Reisenden zurück nach Kabul. Dort steigen sie wieder auf ihren alten VW um und schlafen eine Nacht im Auto vor dem Hotel, in dem ihr englischer Begleiter untergebracht ist. Tags darauf heißt es, Afghanistan zu durchqueren. Von Kabul nach Kandahar führt eine Asphaltstraße, die die Amerikaner gebaut haben. Von Kandahar nach Herat eine Betonpiste – von den Russen gebaut. Beide sicherlich aus strategischen Gründen. Die insgesamt 700 Kilometer lange Strecke ist recht uninteressant, sie führt durch eine Steinwüste.

Im Schlamm versunken

Auf der Suche nach Schatten machen die beiden unter einer Brücke Pause. Beim Wegfahren prüft Dieter das Flussbett. Es erscheint ihm hart – ideal, um im Rinnsal die Reifen zu kühlen. Kein gute Idee! Denn in dem Moment, als er wieder zurück ans Ufer setzen will, bricht die Kruste, und der hintere Teil des Wagens versinkt im tiefen Schlamm. Bald ist der halbe Motor im Schlamm versunken, und die beiden jungen Männer schaffen es trotz größter Anstrengungen nicht, den Wagen ans Ufer zu bringen. Sie sichern ihn mit dem Abschleppseil am Brückengeländer, damit er nicht gänzlich versinkt. Verzweifelt bitten die beiden die Soldaten am nahen Checkpoint, ihnen aus der misslichen Lage zu helfen, doch die interessiert das kein Bisschen. Die Lage erscheint völlig aussichtslos. Endlich, nach zwei Stunden, nähert sich ein Landrover. Dieter läuft barfuß über die Böschung auf die glühend heiße Straße, in seiner Not spürt er die Hitze kaum. Der Landrover hält an. Drei nobel wirkende, junge Engländer steigen aus. Ihr Wagen ist mit allen „Schikanen“ ausgerüstet, und das Wichtigste: Er verfügt auch über eine Seilwinde, mit welcher sich der VW Käfer aus dem Morast ziehen lässt. Dieter und Baumi bedanken sich überglücklich bei ihren Helfern. Als Dieter die Wagentür öffnet, schwimmen ihm offene Schmalfilmdosen entgegen, die er unter dem Sitz verstaut hat. Das ganze Filmmaterial ist nass, ihm ist nun wieder zum Heulen zumute. Zum Glück tragen die Filmrollen nur wenige Wasserschäden davon.
Der VW springt erstaunlicherweise gleich an, aus dem Auspuff schießt schlammiges Wasser. Weiter geht es bis 120 Kilometer vor Herat. Die Russen hatten beim Bau der Straße die Auflage, an der Strecke zwei Hotels zu errichten. Als eines davon am Horizont auftaucht, sieht es aus der Entfernung recht eindrucksvoll aus. Doch als Dieter und Baumi näher kommen, stellen sie fest, dass das Gebäude zur ­Ruine verfallen ist. Die Beduinen haben sogar die Fensterstöcke herausgeschlagen und offensichtlich zum Feuermachen verwendet. Die Innenräume? Völlig leer. Aber der Betonvorbau bietet Schatten, und die Reisenden beschließen, hier die Nacht zu verbringen – obwohl alles ein wenig unheimlich ist. Keine Menschenseele ist zu sehen, als die beiden in einen tiefen Schlaf fallen.
Am Morgen dann die Überraschung: Neben ihnen parkt ein VW Käfer mit Frankfurter Kennzeichen!

Endlich wieder Deutsch sprechen

Der VW gehört einem netten Paar, das in die gleiche Richtung fährt wie Dieter und Baumi. Endlich können sie wieder einmal Deutsch sprechen! Die Erzählungen von den vielen gewonnenen Eindrücken sprudeln nur so aus ihnen heraus.
Die vier fahren gemeinsam weiter, denn die Frankfurter wollen den Burschen einen besonders schönen Platz am Kaspischen Meer zeigen. Die Entscheidung, sich ihnen anzuschließen, sollte sich bald als fatal erweisen. Die Deutschen haben nicht so viel Zeit wie die beiden Tiroler, in Frankfurt wartet die Arbeit auf sie. Deshalb geben sie ordentlich Gas. Dieter und Baumi fühlen sich nicht wohl dabei, aber sie schließen sich mit ihrem alten VW Käfer dem hohen Tempo an, sie wollen ja nicht zurückbleiben. In Herat besichtigt man gemeinsam die berühmte Moschee, dann geht es im Eiltempo weiter. Gemeinsam gelangen die vier über die persische Grenze, sie campieren und kochen zusammen, freunden sich recht gut an. Am nächsten Tag geht es in rasender Fahrt nach Mashad, bekannt für seine Moschee mit goldener Kuppel. Nach der Besichtigung führt die rallyeartige Fahrt über viele Pässe und durch eine trostlose Steinwüste, in der es nicht einmal zu Alexan­ders Zeiten Nomaden gab. Dieter und Baumi können dem schnelleren Wagen der Deutschen nur schwer folgen. Sie essen im Auto, ohne stehenzubleiben. Getankt wird im Blitztempo. Sie fahren, fahren, fahren, immer Vollgas. Und überlegen, ob ihnen die Gesellschaft der Frankfurter der ganze Stress wert ist. Es bleibt aber keine Zeit, gründlich darüber nachzudenken. Um 10 Uhr abends haben sie 800 Kilometer Schotterstraße hinter sich. Nach einem schnellen Essen wollen sie weitere 200 Kilometer bis ans Kaspische Meer schaffen. Dieter sitzt am Steuer – hundemüde. Baumi neben ihm schläft. Plötzlich gelangen sie auf eine breite Asphaltstraße, nun geht es noch zügiger voran. Aber dann, knapp vor Mitternacht, passiert es: Zwei LKWs blenden Dieter mit ihrem Fernlicht, und er rast mit fast 100 km/h ungebremst in ein völlig unbeleuchtetes Pferdegespann vor ihm – ein schwerer Wagen, hoch beladen mit Kisten voll Tomaten.

Wie geht es weiter? Geht es überhaupt weiter, oder bedeutet der Unfall das Ende der Reise? Ihr erfahrt es in der nächsten Ausgabe. Bleibt dran! 

Doris Martinz