Horst Eder hat in der alpinen Literatur gestöbert und dabei allerhand Interessantes gefunden.

Er galt als einer der weltbesten Felskletterer der 50er- und 60er-Jahre­ und später als begnadeter Filme­macher: der Sachse Lothar Brandler, geboren 1936 in Dresden. Schon in der Jugendzeit lockten ihn die Felsen und Türme des Elbsandsteingebirges, das Eldorado des Freikletterns; er hatte nicht nur große Freude am Klettern, er hatte auch großes Talent dazu.

Der Lausbua

Natürlich lockten ihn und seine Freunde auch die namhaften Alpen-Klettergebiete, wie zum Beispiel der Wilde Kaiser und die Dolomiten. Eine Ausreise aus der DDR war damals zwar bürokratisch aufwendig, aber machbar. Die erste Kaisertour führte ihn nach Kufstein per Zug, illegal campiert wurde im Kaisertal, Sparen war angesagt. Der Enzens­pergerweg durch die Nordwestwand der Kleinen Halt war also seine erste Kaisertour. Zwei Jahre später dann der nächste Kaiser-Besuch, diesmal das Ziel wesentlich anspruchsvoller: „Schnippel“ – so sein Spitzname in Sachsen – wagte die Fleischbank-Südostverschneidung, eine namhafte Kaiserklettertour im oberen 6. Schwierigkeitsgrad, und das im Alleingang! Beim Ausstieg aus der Tour das erste Zusammentreffen mit dem St. Johanner Bergführer Hias Noichl, der mit einem Gast am Fleischbank-Gipfel saß und den jungen schmächtigen Burschen fragte, wo er denn herkomme, so allein. Nach Brandlers stolzer Antwort meinte der Hias: „Du Lausbua, mechst mi verarschen?“

Rückzug aus der Eiger-Nordwand

Zwei Jahre später, am 31. Juli 1958, brach eine Dreierseilschaft von der Kleinen Scheid­egg im Berner Oberland auf, um die 13. Begehung der Eiger-Nordwand zu machen: Hias Noichl, der Kärntner Herbert Raditschnig und der „Lausbua“ Lothar Brandler. Es war eine Seilschaft, der die Kenner der Materie die größten Chancen auf einen Erfolg gaben, hervorragende Alpinisten in Fels und Eis, topfit und motiviert – was sollte da schiefgehen? Es ging leider schief, ein Steinschlag zertrümmerte im Bereich des Bügeleisens, etwa in der Wandmitte, die linke Hand von Hias Noichl, an ein Weitergehen durch die Wand war natürlich nicht mehr zu denken. Anderntags, nach einem ungemütlichen und für Hias schmerzvollen Biwak, gelang der Abstieg zum Stollenfenster der Jungfraubahn; eine vielbeachtete Leistung der Seilschaft, noch nie war ein Rückzug aus dieser Wandhöhe gelungen.
Sainihånser Bodenmannschaft im Rosengarten
Ein paar Wochen später die nächste Aktion von Schnippel mit St.-Johann-Bezug. Der hiesige Installateurunternehmer Luis Vigl, seinerzeit ein bewährter Seilpartner des legendären Erstbesteigers des Nanga Parbat, Hermann Buhl, fädelte eine Erstbegehung an der mauerglatten Südwestwand der Rotwand im Rosengarten in den Dolomiten ein: den Hermann-Buhl-Gedächtnisweg. Die alpinen Protagonisten: Lothar Brandler und Dieter Hasse. Die Bodenmannschaft: „der quirlige Horst und der große, ruhige Peter aus St. Johann in Tirol“ (Zitat Brandler). Zur Erklärung: die Begehung dauerte vier Tage, die beiden Kletterer waren also vier Tage und drei Nächte in der Wand. Die Verbindung zur Außenwelt war eine 300 m lange Reepschnur, über die Nahrung, Flüssiges, Biwak- und Kletterausrüstung aufgezogen wurde, vielleicht auch die eine oder andere Nachricht. Und das war die Mannschaft an der Basis: Horst Schneider, damals wahrscheinlich am Anfang seiner militärischen Laufbahn, und Peter Toepke, der „Konsul-Peda“, Schilehrer und Reiseleiter und anscheinend der Ruhigere von beiden. Luis Vigl und die Sektion „Wilder Kaiser“ St. Johann unterstützten das Vorhaben, sie sponserten die Haken, was die beiden Kletterer sehr freute. Diese Erstbegehung fand große Beachtung in der alpinen Szene.

Der Film ruft

Es war also ein ereignisreiches Jahr, das Jahr 1958. Lothar erhielt eine Einladung zum wichtigen Bergfilm-Festival Trient; es gab eine Abstimmung unter den anwesenden Experten aus aller Welt und der Schnippel wurde zum erfolgreichsten Bergsteiger und Kletterer des Jahres gewählt. Es war dann ein Jahr später, als der bekannte Münchner Alpinist Toni Hiebeler an Lothar herantrat, ob er nicht bei einem Bergfilmprojekt mitarbeiten möchte: als Kamera- und Stativträger. Lothar sagte sofort zu, die Materie interessierte ihn; gedreht wurde in den Dolomiten im Bereich um Cortina. Ein Angebot vom Bayerischen Rundfunk im Jahr 1960 war dann schon attraktiver, er wurde als Kamera­assistent engagiert. Und bald darauf stand er selbst hinter der Kamera und drehte Bergfilme nach seiner eigenen Auffassung, der Erfolg gab ihm Recht. Für seinen Film „Direttissima“ erhielt er in Trient die höchste Auszeichnung und einen Scheck über eine Million Lire; so viel Geld hatte er bis dahin noch nie. Nach seinen Angaben: der Wert eines kleinen Mercedes!

Da lacht Tirol

Nach den schönen Erfolgen im alpinen Filmgenre lockte es ihn, einen Bergspielfilm zu drehen; er wurde von einem Produzenten engagiert, der Stoff war weitgehend vorgegeben. Zugrunde lag der Handlung das Buch von Karl Springenschmid „Am Seil vom Stabeler Much“, ein alpiner Wettkampf um eine spektakuläre Erstbegehung sollte zusätzliche alpine Spannung vermitteln. Lothar suchte die Drehorte aus: den „Koasa“, St. Johann und ­Going, und auch die Darsteller kamen von hier: Franz Jäger aus St. Johann und Hansjörg Hochfilzer aus Going waren die eine Seilschaft, Rudi Lindner und seine Freundin Helga Brunzak aus der Steiermark waren die „Gegner“ im alpinen Wettkampf. Die einzigen Profi-Schauspieler in diesem Streifen waren Beppo Brem und Sepp Rist, alle anderen Darsteller waren Laien. So spielte zum Beispiel Toni Haggenmüller den Niggele, den der Hochfilzer Hansjörg alias Stabeler Toni aufgrund einer verlorenen Wette in einer Kraxe auf die Gaudeamushütte tragen musste. Der Kinofilm „Da lacht Tirol“ hatte nur bedingt Erfolg, da änderte auch der zweite Titel „Entscheidung im Wilden Kaiser“ nichts. Das Drehbuch stammte von Karl Springenschmid und dabei zeigte sich, dass dieser zwar gut Bücher schreiben konnte, mit der Filmarbeit aber nicht viel Erfahrung hatte. Der Film wurde bald abgesetzt und das Kapitel „Bergspielfilm“ war für Lothar Brandler damit abgeschlossen.

Inferno am Montblanc

Im Jahr 1961 hatte sich am Frêney-Pfeiler am Mont Blanc eine bergsteigerische Tragödie ereignet. Beim Versuch, dem 700 m hohen Granitpfeiler die erste Begehung abzuringen, gerieten vier Franzosen und drei Italiener in ein Wetterchaos, das über Tage dauerte und dem drei der Spitzenalpinisten zum Opfer fielen. Zehn Jahre später hatte Lothar Brandler den Plan zu einer Verfilmung, ein Kinofilm sollte entstehen. Man drehte natürlich im Mont-Blanc-Massiv, die Darsteller wurden sorgfältig ausgesucht. Für den italienischen Spitzenalpinisten Walter Bonatti suchte sich Lothar den in St. Johann wohnhaften Bergführer Andi Schlick aus. Die Dreharbeiten forderten der Mannschaft alles ab, die meisten Szenen mussten ja bei Schlechtwetter, Wind und Sturm gedreht werden, um der Realität zu entsprechen. Andi Schlick spielte seinen Part sehr gut, musste die Filmarbeit aber vorzeitig beenden. Er war Teilnehmer der Tiroler Bergführer-Expedition zum Manaslu im Himalaya und die Abschluss-Vorbereitungen bzw. der Start nach Nepal standen an. Bei dieser Expedition waren aus unserem Freundeskreis noch Hansjörg Hochfilzer und Franz Jäger, die Hauptdarsteller im Film „Da lacht Tirol“ dabei. Die Expedition endete in einer Tragödie: Franz und Andi kehrten vom Himalaya nicht mehr heim, die Familien und Freunde waren geschockt!

Ein spätes Wiedersehen

In den 1990er-Jahren luden wir von der AV-Sektion Lothar Brandler nach St. Johann ein, uns ein paar Filme aus seinem reichen Fundus zu zeigen, was er auch gerne machte. Es wurde ein sehr gut besuchter Abend in der Aula der Hauptschule, das Publikum war begeistert. Und sie haben sich wieder einmal getroffen: Hias Noichl und der „Lausbua“!

Horst Eder

 

Als Grundlage für diesen Bericht diente das Buch Lothar Brandler „Mit der Filmkamera durch die großen Wände der Alpen“
AS Verlag & Grafik, 2011,
CHF 45.00, Euro 45.00
ISBN 978-3-909111-52-7

Für die Überlassung der Bilder wird dem AS-Verlag Zürich herzlich gedankt.