Gewalt sei ein falsches Verhaltensmuster, das man ändern kann, meint Andreas Schramböck vom Verein „Mannsbilder“.

Täglich sind – auch in Österreich – Frauen häuslicher Gewalt, meist durch ihren Ehemann oder Partner, ausgesetzt. In erster Linie muss man ihnen, den Opfern, helfen. Um Strukturen, die Gewalt begünstigen, zu verändern, müssen aber auch die Männer Hilfe und Beratung bekommen. Nicht erst, wenn etwas passiert ist, sondern bereits im Vorfeld.
Das Wertesystem unserer Gesellschaft setzt auch den männlichen Homo sapiens unter Druck: Er muss erfolgreich, zugleich sollte er der perfekte Hausmann sein und die Kindererziehung mittragen. „Es gibt Männer, die machen das alles gerne und andere, die das überfordert und das Gefühl haben, ihrem Umfeld nie zu genügen“, weiß Andreas Schramböck. „Hilfe anzunehmen, hat im vorigen Jahrhundert bei Männern Schwäche bedeutet, das hat sich zum Glück geändert“, so die gute Nachricht.
Seit Dezember 2022 betreibt der Verein „Mannsbilder“ einen Standort in Kitzbühel. Männer und Buben ab zwölf Jahren bekommen dort Beratung und Unterstützung in allen Lebenslagen, es gibt Raum für Bildung und Begegnung. Beratungen werden derzeit jeden zweiten Donnerstag angeboten, „es soll aber mehr werden“, sagt Andreas. Der 42-jährige St. Johanner ist Sozialarbeiter und als freier Dienstnehmer beim Verein angestellt.
Ein Drittel der Beratungen betreffen Gewalt, berichtet er, bei den anderen geht es um Trennungen, Beziehungen, Arbeit und vieles mehr. Seine erwachsenen Klienten stehen oft in der Mitte des Lebens, sie haben Beruf und Familie, kommen aus allen sozialen Schichten, gehören allen Altersgruppen und Kulturen an.

Gewalt ist keine Krankheit

Was die Gewalt betrifft, so kontaktieren manche den Verein, nachdem sie bereits gewalttätig wurden, manche aber auch davor: „Sie treten in Kontakt mit uns, weil sie Angst haben, irgendwann die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Da forscht man dann gemeinsam nach den Ursachen und sucht nach Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft“, erklärt Andreas.
Denn Gewalt sei keine Erkrankung, stellt er klar. „Sie ist ein falsches Verhaltensmuster, das man zum Positiven hin verändern muss.“ Ist das denn möglich? „Ein psychisch gesunder Mensch, der Gewalt ausübt, kann lernen, Gewalt zu vermeiden“, sagt der Sozialberater. Voraussetzung sei freilich, dass der Betroffene bereit ist, sich einem Prozess zu stellen, der längere Zeit andauert. Einem Prozess, in dessen Verlauf er seine Gewalterfahrung reflektieren und an den inneren Spannungen arbeiten kann, die ihn zur Gewalt-Handlung führten. Deshalb mache es auch Sinn, wenn gewaltbereite Männer durch einen gerichtlichen Erlass eine Beratung zu absolvieren haben.

Gewalt als bewusste Entscheidung

Grundsätzlich sei Gewalt – genauer gesagt der Punkt, an dem man (meist „Mann“) zuschlägt – eine bewusste Reaktion, auch wenn sie im Affekt geschieht, erläutert Andreas. „Wenn ich zuschlage, dann habe ich irgendwann einmal den Entschluss gefasst, dass es so weit kommen könnte, und dass ich das tun werde. Niemand kann sich herausreden und sagen, das wollte ich nie.“ Genauso sei es eine bewusste Entscheidung, gewaltlos leben zu wollen. Obwohl: Es gebe wohl keinen Menschen, der noch nie in seinem Leben Gewalt ausgeübt hat – in physischer oder psychischer Form. Das bringt uns zur Frage, wie Gewalt eigentlich definiert wird. „Gewalt ist, wenn ich einen anderen Menschen in seiner körperlichen oder psychischen Integrität verletze“, so Andreas. Das habe wohl jeder schon gemacht.
Was rät Andreas Klienten, um gewaltsame Handlungen zu vermeiden? „In einem Konflikt, in dem sich die Situation aufschaukelt, rate ich dazu, ein Time-out zu nehmen, sich der Diskussion zu entziehen und den Ort zu verlassen, spazieren zu gehen.“ Stress und Aggressionen brauchen ein Ventil, um abgebaut werden zu können. Sport eigne sich gut dafür. Abreagieren könne man sich beispielsweise an einem Boxsack oder auch beim Berggehen. Es brauche aber auch die Reflexion mit der Frage, woher die Spannungen kommen. „Es hat immer nur mit einem selbst zu tun, das muss Mann sich klarmachen.“

Gewaltschutz bei Frauen fängt für Andreas bei der Arbeit mit den Kleinsten im Kindergarten an: Jeder gewalttätige Mann bringt seine ganz individuelle Geschichte mit, oft fängt sie schon in der Kindheit mit Prägungen und erlernten Strukturen an. Man müsse Buben von Beginn an vermitteln, dass sie zwar körperlich oft die Stärkeren sind, dass das aber keine Rolle spiele. Das ist leichter gesagt als umgesetzt, basiert doch unsere Welt oft auf dem Recht des Stärkeren. „Sich mit anderen zu messen ist ja auch wichtig. Aber wenn immer die gleichen gewinnen und die gleichen verlieren, weil es nur ums Körperliche geht, lernen Buben, dass sie im Vorteil sind. Und das stimmt so ja nicht, weil beide Geschlechter Stärken und Schwächen haben. „Wirklich stark ist der Mensch im Team mit unterschiedlichen Individuen, das gilt es zu vermitteln. Gewalt hat da keinen Platz.“

Abhängigkeiten begünstigen Gewalt

Wichtig sei es auch, immer noch geltende und gängige Rollenbilder zu sprengen – Buben spielen mit Autos und erforschen die Welt, Mädchen kümmern sich um Puppen, machen sich hübsch und streichen die Wände ihres Zimmers rosafarben. Im klassischen Rollenbild ist der Mann der Versorger der Familie und hat das Sagen. Die Frau gibt ihren Beruf auf, kümmert sich um den Nachwuchs und gleitet so in die Abhängigkeit von ihrem Mann. Auch Strukturen wie diese, also finanzielle, wirtschaftliche, emotionale oder sexuelle Abhängigkeit, begünstigen das Entstehen von Gewalt.
Solange es Gewalt gibt, brauche es auch Einrichtungen wie das Mädchen- und Frauenberatungszentrum in ­St. Johann und die Männerberatung, so Andreas. Die Zusammenarbeit zwischen den Beratungsstellen für Frauen und Männer sei wichtig. „Gewalt kommt meist ja nicht aus heiterem Himmel, schwierige Situationen bauen sich über einen längeren Zeitraum auf. Starke Frauen lassen sich seltener in eine Opferrolle drängen und suchen schneller Hilfe.“
Wir brauchen also starke Frauen und starke Männer, die in der Lage sind, Probleme zu lösen, ohne ihre körperliche Überlegenheit auszuspielen. Es gibt noch viel zu tun.

Doris Martinz