Noëlle und Marcus haben sich bewusst für eine Hausgeburt entschieden und erzählen von ihrer einzigartigen Erfahrung
Das EKiZ hat kürzlich einen sehr persönlichen Infoabend zum Thema Hausgeburten in der Homebase veranstaltet. Dabei berichteten Hebammen sowie Mütter, die selbst eine Hausgeburt erlebt haben, von ihren einzigartigen Erlebnissen sowie der unglaublichen Stärke der Frauen in den magischen Momenten einer Geburt. Noëlle Middelmann ist eine Mitarbeiterin vom EKiZ und sie und ihr Mann Marcus können ebenfalls eine außergewöhnliche Geschichte erzählen – nämlich, wie sie zu zweit Söhnchen Karl zur Welt brachten.
Die selbstbestimmte Geburt
„Ich wusste eigentlich von Anfang an, dass ich gerne eine Hausgeburt haben würde,“ erzählt Noëlle. Wir sitzen am Tisch im Garten der Familie Middelmann, der dreijährige Karl spielt fröhlich und aufgeweckt mit seinem Traktor und Hündin Karla liegt gechillt im Schatten – ein sehr schönes und harmonisches Bild, das sich mir da bietet. „Ich hatte generell große Angst vor einer Geburt. Als ich von einer Bekannten erfuhr, dass sie eine außerklinische Geburt hatte, fing ich an, die Bücher zu lesen die sie mir empfahl,“ so Noëlle. Je mehr sie sich damit befasste, desto weniger wurde ihre Angst. Sie lernte die Physiologie und die Prozesse, die während einer Geburt ablaufen, genauer kennen und erfuhr, dass es in anderen Ländern, wie zum Beispiel Holland, ganz normal war, eine außerklinische Geburt zu haben. Sie lernte auch, Vertrauen in ihre eigenen Kräfte zu finden, in die Selbstbestimmung zu gehen und zu hinterfragen – was für eine Geburt wäre für sie und das kleine Leben in ihrem Bauch das Beste? „Für mich war es wichtig, Eigenverantwortung zu übernehmen und diese nicht allein an Ärzte oder Hebammen abzugeben. Die Geburt sollte dort sein, wo ich mich ganz geborgen und wohl fühle – nämlich zu Hause. Dann habe ich das dem Marcus erzählt, und er war am Anfang nicht begeistert,“ so Noëlle schmunzelnd.
„Ich hab’ erst mal einen Schreck gekriegt und mir gedacht, die fängt sich schon wieder,“ erinnert sich Marcus. Allmählich wurde ihm jedoch bewusst, dass es Noëlle ernst war. Er fing ebenfalls an, sich mit dem Thema außerklinische Geburt auseinander zu setzen und las die Bücher, die Noëlle so viel Sicherheit gegeben haben. „Als ich verstand, was bei der Geburt im Körper einer Frau alles vor sich geht, wie zum Beispiel einzelne Muskel zu bestimmten Zeiten bestimmte Aufgaben übernehmen, und dass die Frau das alles koordinieren muss – da bekam ich einen Riesenrespekt.“ Bestärkend kam für Marcus noch dazu, dass ja eine Hebamme die Geburt begleiten würde. Im Krankenhaus wäre das ähnlich gewesen – auch dort stehen Hebammen bei der Geburt an erster Stelle und holen Ärzte dazu, sobald es zu Komplikationen kommt. „Meine Bedingung war nur, dass im Vorfeld alles gut aussieht bei Noëlle und dem Baby.“
Die Hebamme, die helfen sollte den kleinen Karl auf die Welt zu bringen, fanden Noëlle und Marcus in Innsbruck – in der näheren Umgebung bot zu diesem Zeitpunkt niemand Unterstützung bei außerklinischen Geburten an. Als sie Noëlle gegen Ende der Schwangerschaft untersuchte, konnte sie die werdenden Eltern beruhigen – es sähe alles wunderbar aus, und in etwa zwei Wochen würde es losgehen. Marcus und Noëlle besorgten schon mal alle nötigen Sachen für eine Hausgeburt laut der Liste, die sie von der Hebamme bekommen hatten – darunter eine Wärmelampe, mehrere Laken etc. Noëlle: „Wir gingen abends noch essen und dann gemütlich ins Bett – bald darauf aber bekam ich Unterleibschmerzen und konnte nicht einschlafen.“
Hebamme wider Willen
„Wir dachten, es wären Übungswehen – ich ging noch in die Küche und trank einen Tee, woraufhin es auch wieder besser wurde,“ lächelt Noëlle. Marcus war ganz entspannt, er stoppte mit dem Handy die Länge und Abstände zwischen den Wehen. Allmählich wurden die Schmerzen aber wieder intensiver. „Die Fruchtblase war aber nicht geplatzt, deswegen dachten wir, es kann ja noch nicht so weit sein,“ schildert Noëlle. Doch allmählich wurde ihnen klar: der Geburtsprozess hatte begonnen, das Baby kommt! Die Hebamme machte sich sofort auf den Weg von Innsbruck nach St. Johann in Tirol, doch egal wie sehr sie sich beeilte – fliegen konnte sie nicht. Für Marcus und Noëlle stellte sich nun die Frage: Sollten sie doch ins Krankenhaus fahren? „Ich war mental schon vollkommen bei der Geburt – einen Ortswechsel hätte ich mir da nicht mehr vorstellen können,“ erklärt Noëlle. Wie fühlte sich Markus in jenem Moment? „Als Noëlle gesagt hat, sie möchte zu Hause bleiben, musste ich einmal kurz schlucken. Aber letztendlich war es ihre Entscheidung und die habe ich natürlich mitgetragen.“ Von nun an war es klar – die beiden waren auf sich alleine gestellt, die Hebamme konnte nur telefonisch unterstützen.
„Als die Fruchtblase platzte, dauerte es noch etwa 20 Minuten, bis das Kind da war. Alles ging so schnell, das war der Wahnsinn,“ so Markus noch heute tief ergriffen und erzählt, wie er den kleinen Karl aus dem Geburtskanal empfing. Was für ein Mut und Vertrauensbeweis! Marcus ist sich sicher, dass die gute Vorbereitung der beiden auf die Geburt und die mentale Einstellung eine zentrale Rolle gespielt hat, dass alles so reibungslos lief. Noëlle konnte sich voll und ganz auf Marcus verlassen, sie waren ein Team. Die beiden sind sich einig: Das war das schönste Erlebnis, was sie überhaupt zusammen erleben konnten.
Als die Hebamme eintraf, fand sie überglückliche, frisch gebackene Eltern mit ihrem kleinen Karl vor. Sie trennte die Nabelschnur und versorgte Noëlle. Markus musste kurz ins Krankenhaus, um ein Medikament, das die Hebamme schon vorbestellt hatte, abzuholen. „Die Mitarbeiter dort wussten schon Bescheid und fragten mich, ob ich jetzt als Hebamme bei ihnen anfangen möchte,“ lacht Marcus.
Ein Ton, der plötzlich erklingt
Für Noëlle und Markus begann mit jenem Tag ein ganz neues Leben als Eltern. Ich frage Marcus, wie sich seine aktive Rolle bei der Geburt auf das Verhältnis zu Karl ausgewirkt hat. „Ich hatte das Glück, dass Karl 2020 während der Pandemie geboren ist, und ich ihn dadurch zweieinhalb Jahre lang jeden Tag sehen konnte.“ Marcus und Karl hatten von Anfang an eine sehr starke Bindung – ob die Geburt dafür ausschlaggebend sei, ist schwer zu sagen, immerhin kennen sie es nur so. Außerdem ist sich Markus sicher: Vaterschaft würde zwar bei der Geburt beginnen, aber die Tage, Wochen, Monate und Jahre danach seien nicht weniger wichtig. „Ich sehe meine Aufgabe darin, Karl dabei zu begleiten, ein Mann zu werden, und das möchte ich möglichst gut machen.“ Er beschreibt die Vaterschaft wie einen Ton auf einer Tonleiter, den es vorher nicht gab und der ihn seither begleitet. „Das hat die Natur schon schlau gemacht – plötzlich erkennt man, was wirklich wichtig ist im Leben und entwickelt ungeahnte Kräfte, um das zu bewahren und zu schützen – egal wie wenig Schlaf man bekommt oder wie sehr man glaubt, am Ende zu sein.“
Jede Geburt ist etwas Einzigartiges und Individuelles. Noëlle und Markus haben die für sich beste Entscheidung mit einer Hausgeburt getroffen. Die ist für jeden anders, wichtig ist nur, dass man sich damit auseinandersetzt, darauf einstellt, und sich bewusst entscheidet.
Viktoria Defrancq-Klabischnig