St. Johanns „erste Feministin“ Christl Bernhofer über Ihr größtes Vorbild, ihre Zeit im Gemeinderat und mehr.

Wir treffen uns im Café Rainer. „Ewig“ habe sie nicht Zeit für unser Gespräch, sagt sie, denn sie müsse noch das Quiz vorbereiten, und für die Computeria sei auch noch allerhand zu tun. Mit 77 Jahren ist Christine „Christl“ noch eine vielbeschäftigte Powerfrau. Wir plaudern noch keine zehn Minuten, als sie ihr Handy zückt und mir stolz ein Foto zeigt: „Schau, das bin ich mit der Johanna Dohnal!“ Als die Aufnahme gemacht wurde, war Christl schon SPÖ Frauen-Landesvorstandsmitglied und Delegierte der SPÖ im Bezirk Kitzbühel. Sie traf die ehemalige Frauenministerin und Österreichs bekannteste Feministin in den 70er Jahren bei einer Konferenz in Innsbruck. Eine Begegnung, die ihr Leben veränderte.
Christl wurde in St. Johann geboren und wuchs als wohlbehütetes Einzelkind auf. Sie arbeitete nach der Schule als Anlernkraft in einer Strickerei, lernte beim Tanzen „ihren“ Georg – beziehungsweise Schorsch, wie sie ihn nennt – kennen und heiratete früh. Als sie 19 Jahre alt war, kam die kleine Gudrun zur Welt, ihre Brüder Georg, Gernot und Jürgen sollten folgen.
Die „Sainihånserin“ hatte selbst keine Ausbildung absolviert, bei ihren Kindern legte sie großen Wert auf Bildung. Besonders bei Gudrun. Denn Frauen müssen sich emanzipieren und finanziell unabhängig sein, das war Christl schon früh klar. Das war ja auch die Botschaft ihrer Identitätsfigur Johanna Dohnal. In ihrem Elternhaus war immer viel politisiert worden. „Wir haben alle Rot gewählt“, erzählt die rüstige Rentnerin. Sie wurde Frauenvorsitzende der SPÖ im Bezirk, später auch im Land. Der vehemente Feminismus, den Dohnal­ vertrat, traf bei Christl auf fruchtbaren Boden. Immer engagierter setzte sie sich für Frauen ein, für Notstandshilfe, für Kinderbetreuung. „Eine Ehe ist keine Garantie“, so lautete ihr Credo.

Späte Lehre und Gemeinderat

Ihre Arbeit für die Frauen sei in den 70er-Jahren sehr wichtig gewesen, erzählt Christl. Damals wurden nicht wenige Frauen von ihren Männern geschlagen, sie hatten keine Ausbildung und waren finanziell abhängig. „Heute gibt es das auch noch, aber die Zahl der betroffenen Frauen ist zumindest gesunken“, so Christl. Frauen mussten damals noch ihre Männer um Erlaubnis fragen, wenn sie einer Arbeit nachgehen wollten­ – zumindest hätten sie ein Einspruchsrecht gehabt. „Das muss man sich einmal vorstellen, das ist kaum 50 Jahre her!“
Politisch, wie sie war, hatte Christl immer damit geliebäugelt, sich im Gemeinderat einzubringen. Anfang der 80er-Jahre bot sich die Gelegenheit dazu. Doch so einfach machte es sich die „Sainihånserin“ nicht: Sie wollte etwas vorzuweisen haben, wenn sie den anderen Gemeinderäten – den Bauern, Unternehmern und Akademikern, in ihren Augen alles gebildete und kluge Leute – gegenübertrat. Deshalb machte sie zuerst den Führerschein und absolvierte die Lehre zur Schneiderin. Die Zeit, in der sie als Anlernkraft gearbeitet hatte, wurde ihr angerechnet. Ein Lehrjahr und dreimal acht Wochen Berufsschule jedoch waren nachzumachen. So kam es, dass Christl im Alter von 40 Jahren mit einer ganzen Klasse voller 15-Jähriger die Schulbank drückte. „Eine tolle Erfahrung“, erzählt sie. „Ich musste den ganzen Stoff mitmachen, nur die politische Bildung wurde mir nachgesehen“, sagt sie lachend. Als sie den Gesellenbrief in der Tasche hatte, ging sie „in die Politik“, sie wurde 1992 Gemeinderätin und sollte es dreißig Jahre lang bleiben.
„Ich war das kleine, tapfere Schneiderlein.“

Christl sorgt für Aufruhr

Sie habe in der Gemeindestube keinen leichten Stand gehabt, so Christl. Bei öffentlichen Veranstaltungen sei sie als Vertreterin der Gemeinde oft nicht begrüßt oder erwähnt worden, auch habe man ihr immer wieder Steine in den Weg gelegt. Aber aufgeben war kein Thema. „Ich habe nie geweint, aber manchmal geflucht.“ Man betraute sie mit den sozialen Themen. „Aber nur deswegen, weil das die Männer nicht machen wollten.“ Christl wollte, und sie machte viel aus dem Bereich: Sie organisierte Ausflüge mit den Pensionisten, kümmerte sich um Flüchtlinge aus Jugoslawien, setze sich für den Ausbau der Kinderbetreuung ein, arbeitete im Wohnausschuss mit und vieles mehr.
Irgendwann überwarf sie sich mit den Sozialdemokraten in der Gemeinde und machte eine eigene Liste auf, die „SoLi“, die Soziale Liste. Damit sorgte sie für einigen Aufruhr. Es wurde sogar ein Antrag gestellt, sie aus dem Gemeinderat zu werfen – ohne Erfolg. Gemeinsam mit Peter Wallner bekam sie bei den folgenden Wahlen so viele Stimmen, dass es fast für den Vizebürgermeister-Sessel gereicht hätte. Sie zog ihr Ding durch bis zum Schluss im Jahr 2022.
Auch beruflich war Kontinui­tät angesagt: Zwanzig Jahre lang arbeitete sie als Praxishilfe bei einer Dermatologin im Ort.

Für immer Rot

Bis zum heutigen Tag, seit 47 Jahren, ist Christl überzeugte Sozialistin. „Ich wähle rot, solange ich lebe!“ Dennoch sieht sie einige Punkte, die von der Landes- oder Bundespartei vertreten werden, durchaus kritisch. Und auch die männliche Führungsriegen.
Das Thema Frauen ist ihr immer noch ein Anliegen. Da gebe es noch viel zu tun, auch bei uns. Manchmal plagen sie Ängste, dass die jungen Frauen wieder zurück an den Herd wollen, ins Konservative zurück. „Dann hätten wir und Frauen wie Johanna Dohnal umsonst gekämpft, das darf einfach nicht sein!“
Bildung ist für Christl der Schlüssel: „Es gibt keine Geldtasche, die Bildung aufwiegt“, so drückt sie es aus.
Sie ist eine Menschenfreundin. Für sie sei jeder Mensch gleich, ganz egal, woher er kommt. Denn es gebe überall gute und schlechte. Rassismus verabscheue sie, sagt sie. „Wir haben ja nur eine Welt, wir müssen alle miteinander auskommen.“

Gedenken an ihr Idol

Christl schaut auf die Uhr. Es sei noch einiges herzurichten für das Quiz am Nachmittag. Und auch für die Computeria sei noch etwas zu erledigen, wiederholt sie. Bis zu zwanzig Leute kommen in den Computerkurs, den St. Johanner:innen kostenlos besuchen können. Die PVÖ-Bezirks­obfrau Kitzbühel und Obfrau der Ortsorganisation St. Johann, Kirchdorf und Waidring, ist selbst richtig fit auf dem Gerät und gibt ihr Wissen gerne weiter. Im Pensionistenraum hat sie außerdem eine Bibliothek eingerichtet, die 800 Bücher umfasst und allen Rentner:innen, egal welcher politischen Färbung, zur Verfügung steht. Die Frau steckt voller Power. „Ja, für solche Dinge schon“, sagt sie. „Aber Kekse backen wäre mir zu anstrengend.“ Sie lacht herzlich.
Immer wieder einmal fährt sie nach Wien. Und wenn sie in der Bundeshauptstadt weilt, führt sie ihr Weg immer auch auf den Wiener Zentralfriedhof zum Grab Johanna Doh­nals. Sie lege dann ein Kri­s­tallsteinchen hin, erzählt sie, als Zeichen der Wertschätzung gegenüber dieser großen Österreicherin. „Sie hat in meinem Leben eine so große Rolle gespielt“, sagt sie. Wieder zeigt sie mir ein Foto auf ihrem Handy, sie ist darauf am Grab Dohnals zu sehen. Dann aber wird es für sie wirklich Zeit, sich auf den Weg zu machen. Denn sie ist nicht nur Sozialistin, sondern vor allem sozial und tut noch heute viel für die Gemeinschaft. Auch für die Männer.

Doris Martinz