Der ehemalige St. Johanner Alpenvereins-Obmann Horst Eder weiss Interessantes zu berichten.

Der bescheidene Niederkaiser

Die Zeichnung des bekannten Innsbrucker Geologen Otto Ampferer (1875–1947) zeigt „unseren“ Niederkaiser in seiner Schönheit und Eigentümlichkeit: ein kleiner Berg mit bescheidener Höhe von etwa 1.200 m, ein harmonisches Anhängsel des berühmten und beherrschenden Wilden Kaisers. Der Niederkaiser verläuft in präziser West-Ost-Richtung, beginnend beim Schleierwasserfall, nach einem Verlauf von etwa 5 Kilometer endet er bei der Huberhöhe. Und er hat allerhand Interessantes in seinem Bereich: eine florierende Landwirtschaft, rund ein Dutzend Almen, Einsiedelei und Gmail als Zeichen des Glaubens, ein paar schöne aussichtsreiche Gipfel, die über gut angelegte und gewartete Wege und Steige erreichbar sind und zahlreiche kleinere Dinge, die ihn eben zum „Kleinod Niederkaiser“ machen.

Der sagenhafte Niederkaiser

Eine gar schaurige Sage rankt sich um den „Fräuleinturm“, im Volksmund der „Fräulturm“, der oberhalb der Einsiedelei ins Tal schaut. Der böse Ritter von Aufenstein erschlug Wallram von Leukenstein und zerstörte dessen Burg in der Nähe der Einsiedelei. Wallrams schönes Weib flüchtete mit ihrem Kind auf den Niederkaiserkamm und stürzte sich in die Tiefe, das Kind überlebte. Die Geschehnisse sind gar lang, sie führen zu den Kreuzrittern in den Nahen Osten und an die Gestade der Donau. Am Niederkaiser bauten die Zwerge aus dem Kaiser eine hohe schlanke Felsensäule, in welcher der Geist der edlen Irmengard, des schönen Fräuleins vom Niederkaiser, endlich seine Ruhe fand.
Eine einfachere Geschichte ist jene um den Schleierwasserfall: Der alte Hüttlingbauer sagte zu seinen Buben, dass oben, beim Wasserfall, das reine Silber herausrinnt, wenn man nur zur richtigen Zeit dort sei. Er selbst harrte einmal ganze drei Stunden beim Brünnl, er sah schon das Silber fließen, da tauchte der „verfluchte“ Förster von St. Johann auf, aus war’s. Die Buben horchten gespannt zu und machten große Augen, und sie hatten viele schlaflose Nächte. Erfüllt hat sich der Traum vom Silberbrünnl aber nicht.

Der christliche Niederkaiser

Vor über 400 Jahren, 1623, wurde unterhalb der Felsen am Niederkaiser die Gmailkapelle erbaut. Der Name stammt angeblich von einem ursprünglich hier angebrachten Gemälde. Der heutige Rokokobau stammt von 1782 und dürfte vom Kitzbüheler Baumeister Andreas­ ­Hueber errichtet worden sein. Im Laufe der Zeit waren des öfteren Renovierungsarbeiten notwendig, zuletzt in den 1990er-Jahren, auch unter Mitarbeit unseres Alpenvereins. Die Einweihung im September 2000 war dann ein Freudentag für die Pfarre und die Gemeinde, ebenso für die vielen Freunde des Gmails, das zurecht für die zahlreichen Besucher als „Ort der Stille im Sturm der Zeit“ gilt.
Das Gmailkreuz steht an exponierter Stelle am Gmailkopf und war in den 1950er-Jahren des öfteren Schauplatz einer Feier, veranstaltet und gestaltet von der neugegründeten Schützenkompanie und dem Heimkehrerverband. Als Hochwürden war zu dieser Feierstunde unser Herr Dekan Josef Ritter anwesend auf der luftigen Felsenkanzel des Gmails.
Knapp unterhalb des Gmails, wenn man Richtung Kirchdorf absteigt, befindet sich die Lourdesgrotte, die in den 1950er-Jahren ein St. Johanner Bürger initiierte. Die Figuren der Marienerscheinung waren sein Dank für die Heilung von einer schweren Krankheit.
Unterhalb des Gmails steht die Einsiedelei Maria Blut, sie wurde erstmals 1696 erwähnt. Der Überlieferung nach betreuten im 18. Jahrhundert stets Einsiedler die Kapelle, die dann im 19. Jahrhundert öfters den Besitzer wechselte, bis sie 1867 das Dekanat St. Johann erwarb. Der Chorraum wurde 1932 von Raphael Thaler künstlerisch gestaltet, die Deckenmalereien wurden 1947/48 von Peter Thaler restauriert, das Bild „Maria Heimsuchung“ malte der St. Johanner Künstler damals neu. Peter Thaler schrieb auch das Theaterstück „Maria Blut zur Einsiedelei“, welches von der Volksbühne St. Johann erfolgreich aufgeführt wurde. Mitte der 1990er-Jahre wurde die Einsiedelei unter der Patronanz der Feller-Schützen generalsaniert. Schwester Veronika. Schwester Wilbirg und jetzt Bruder Raimund waren und sind in den letzten Jahrzehnten würdige Hüter und Wahrer der Einsiedelei, die häufig und gerne besucht wird.

Der geputzte Niederkaiser

In Richard Pranzl’s Tourenbuch scheint bereits 1952 der erste „Kaiserputztag“ auf. Der AV ging in zwei Gruppen los, eine über den alten Maiklsteig, die andere über die Einsiedelei und das Gmail. Am Kamm wurden dann an Ort und Stelle Bänke gezimmert, das Werkzeug hatten sie dabei, das Holz war ja vorhanden, auch wurde der Weg vom Laub freigemacht und rot/weiß markiert. „Abends gab es Schnitzel beim Seisl“, ist bei Richard Pranzl nachzulesen. Die Tradition des Kaiserputztags hat sich über die Jahrzehnte fortgesetzt, erfreulicherweise immer mit guter Beteiligung, auch seitens der Jugend. Heute ist die „ARGE Wanderwege Wilder Kaiser“ erfolgreich bemüht um die Wegerhaltung am Niederkaiser und darüberhinaus im Kaiser von Kirchdorf bis Söll.

Der alpine Niederkaiser

In erster Linie waren es Jäger und die Alminger, später dann die Wanderer, die den Niederkaiser bestiegen, aber auch Kletterer versuchten sich in den steilen Wänden. So ist überliefert, dass Vinzenz Pletzer 1937 am sogenannten „Moserriss“ oberhalb des Fräulturms tödlich abgestürzt ist. Und der Fräulturm wurde auch von den Kletterern besucht, so von Wast Stabhuber und Richard Pranzl am 4.10.1940. 68 Jahre später interessierten sich die beiden Bergführer Christian Seibl aus St. Johann und Peter Brandstätter aus Kitzbühel für diesen Zacken und fanden großes Lob für die damaligen Besteiger. Auch den Maiklsteig gibt’s schon lange, allerdings verlief er im oberen Teil weiter östlich. 1963 bis 1965 wurde der heute so beliebte Anstieg in seinem heutigen Verlauf vom Alpenverein angelegt.
Die westliche Begrenzung des Niederkaisers, der Schleierwasserfall, war lange ein beliebtes, beschauliches Ziel für die Wanderer. Bis dann Ende der 1980er-Jahre die Kletterer Gefallen fanden an den steilen, festen Felsen, der „Schleier“ wurde ein international bekanntes und viel besuchtes Revier für die extremen Kletterer aus aller Welt.
Horst Eder