43 Jahre lang war die Volksschule St. Johann der Arbeitsplatz von Elisabeth MoRth. Von treuer Security, gelungenen Projekten und mehr.

Tierheim geschlossen“ steht auf dem Schild vor dem Haus, das von einem hohen Holzzaun umgeben ist. Als ich auf den Klingelknopf drücke, schlagen zwei Hunde an; es dauert ein wenig, bis Elisabeth Morth die Tür öffnet, sie drängt zwei neugierige Köpfe zurück: jenen des Herrn Ivo und der Frau Sophie, beide Mischungen aus mehreren Hunderassen. Es sind zwei der ingesamt sieben vierbeinigen Bewohner:innen des „Tierheims“, wie Elisabeth ihr Zuhause scherzhaft nennt. Bei den anderen fünf handelt es sich allerdings um Katzen. Und alle – Hund und Katz – vertragen sich.
Den schönen Emil treffe ich an, als wir uns am Küchentisch niedersetzen: Der Britisch Kurzhaar-Kater ist ein echtes Prachtexemplar in Schokoladenbraun, fast zehn Kilo schwer. Er macht sich wenig später in dem alten Stubenwagen breit, der neben dem Esstisch steht. So ein „Baby“ hätte ich auch gerne, meine ich. Aber Elisabeth oder Sissi, wie viele sie nennen, gibt ihn nicht her, und auch ihr Mann Peter, der sich zu uns gesellt, würde wohl ein Veto einlegen. Das „Tierheim“ sei nun zwar geschlossen, wie das Schild draußen verkünde, aber verkleinern wolle man die „Herde“ auch nicht, meint Sissi lächelnd.
Bei Tee und Kuchen erzählt sie von sich:
Sie stammt ursprünglich aus Igls bei Innsbruck, in der Familie gab es viele Pädagogen. „Ich aber habe mit 18 noch behauptet, dass ich alles werde, nur keine Lehrerin“, erinnert sich die 70-Jährige lachend. Das geplante Medizinstudium dauerte ihr dann aber doch zu lang, und sie schwenkte auf Pädagogik um. „Der Beruf ist dann schnell Berufung geworden, vielleicht liegt das einfach in meinen Genen. Auf jeden Fall habe ich es nie bereut“, erzählt sie. Als sie 1975 die Ausbildung abschloss, war sie bereits ein Jahr lang verheiratet – mit einem Lehrer. Für beide eine Anstellung zu finden, stellte sich als einigermaßen schwierig heraus, Lehrermangel gab es damals noch keinen. Zur Auswahl standen schließlich Reutte und St. Johann. Zuerst fuhr das Paar nach Reutte, „aber auf dem Weg dahin bin ich verfallen, die Berge haben mich erdrückt“, erinnert sich Sissi. St. Johann schien zwar am Ende der Welt zu liegen, aber der Ort gefiel den Lehrenden. Sissi nahm ihre Arbeit an der Volksschule auf, die damals noch am heutigen Standort des „Poly“ untergebracht war. In den folgenden Jahren bekam sie zwei Söhne, Thomas und Stefan. Schon sechs Wochen nach der Geburt stand sie wieder in der Klasse. „Sonst wäre der Job weg gewesen“, erklärt sie. Eine Tagesmutter kümmerte sich um die Kinder. Die Schule übersiedelte später an den Standort der heutigen Volksschule, Sissi bekam noch Sohn Florian und nahm eine Pflegetochter – Christine – bei sich auf. Als Sissi 40 Jahre alt war, ging ihre Ehe in die Brüche. „Wir pflegen heute aber einen guten Kontakt.“

Leyla hilft mit

Eines Tages fragte man Sissi,­ ob sie Integrationslehrerin werden wolle – St. Johann wurde Integrationsstandort mit Schüler:innen aus der ganzen Region. Sie nahm die Herausforderung an. „Zu zweit im Team war das eine ganz neue Art des Unterrichtens, aber es gefiel mir gut.“ Als man ihr die Position der Direktorin anbot, sagte sie wieder ja. „Obwohl ich Bedenken hatte, dass mir der direkte Kontakt zu den Kindern fehlen würde. Aber ich hatte ja weiterhin viel mit den Schülerinnen und Schülern zu tun. Vor allem die verhaltensoriginellen kamen zur Direktorin“, so Sissi schmunzelnd. Bei der Betreuung gerade jener Kinder hatte sie zudem Unterstützung, und zwar eine vierbeinige: Leyla, eine türkische Hütehündin – „ein zartes Mädchen mit siebzig Kilo“, wie Peter augenzwinkernd erklärt – hatte ihren Platz hinter dem Stuhl der Direktorin. Sissi erinnert sich, wie einmal ein aufgebrachter Bub zu ihr ins Büro stürzte, an ihr vorbeilief und sich heulend und schluchzend auf die große Hündin warf, um all seinen Kummer in ihr Fell zu weinen. „Danach konnten wir in Ruhe über alles reden“, so Sissi. Für schwierige Kinder sei Leyla Goldes wert gewesen. Als ein Hundeverbot in öffentlichen Räumen verhängt wurde, schienen Leylas Tage in der Direktion gezählt. Doch Sissi konnte beim Bürgermeister eine Ausnahmegenehmigung erwirken. Oder, besser gesagt, einen Deal aushandeln: Sie hatte sich schon länger eine Sekretärin gewünscht, die sie bei den vielen Verwaltungsaufgaben unterstützen und einfach da sein sollte, wenn Schüler:innen und Lehrer:innen das Haus verlassen hatten. In dem großen Gebäude fühlte sich Sissi­ nämlich alleine nicht wohl, vor allem abends nicht. Die Sekretärin kam letztlich nicht, aber Leyla durfte bleiben – als ganz persönliche, treue Security. Der hohe Zaun rund um das Grundstück der Morths stammt noch aus der Zeit der großgewachsenen Hündin.

Neue Liebe

15 Jahre lang war Elisabeth Morth Direktorin, 2016 ging sie in Pension – nach insgesamt 43 Jahren an der Volksschule St. Johann. Eine Verlängerung kam auch deshalb nicht in Frage, weil ihr zweiter Ehemann Peter mit gesundheitlichen Problemen kämpfte. „Ich wollte die Zeit mit ihm nützen.“
Sie hatte Peter 2004 in einem Internet-Chatroom kennengelernt. Sie war krank gewesen und hatte sich von ihrem Sohn den PC stibitzt, um sich online die Zeit zu vertreiben. Ein gewisser Peter war plötzlich im Chat aufgetaucht und hatte interessant und viel geschrieben, erinnert sich Sissi lachend. Als sich die beiden nach langen Telefonaten zum ersten Mal „in echt“ trafen, „da hat der Blitz eingeschlagen“, so formuliert es Sissi und bedenkt ihren Mann mit einem liebevollen Blick. Drei Jahre später wurde geheiratet. Schon zuvor war Peter, selbständiger Steuerberater in Wien, zu Sissi nach St. Johann gezogen.

So vieles passierte

Über die Ehrung der Gemeinde, die Sissi 2024 für ihren Einsatz in der Schule und für die Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen zuteil wurde, freute sie sich sehr. „Es ist schön zu wissen, dass die Arbeit gesehen und gewürdigt wird. Ich habe die Ehrung stellvertretend für das gesamte damalige Team an der Schule angenommen. Man macht so was ja nicht alleine, sondern braucht Menschen, die mit Herz und Seele dabei sind“, so Sissi. Die Auszeichnung kam auf jeden Fall verdient, denn es passierte viel unter der Leitung von Elisabeth Morth: Integra­tionsklassen bekamen größere Klassenzimmer; man vermittelte Spendengelder, um Familien zu unterstützen (Peter übernahm die korrekte Abrechnung); in der Schule wurden Therapieräume eingerichtet, Therapeut:innen und Pädagog:innen konnten sich so besser vernetzen; die Kinder- und Jugendhilfe kam einmal im Monat in die Schule, um den Eltern den direkten Draht zu dieser Einrichtung zu ermöglichen; alle Kinder wurden in „gewaltfreier Kommunikation“ unterrichtet; die Nachmittagsbetreuung wurde in die Wege geleitet; Kinder mit nicht deutscher Muttersprache bekamen am Nachmittag Lernhilfe; gemeinsam mit der Schulpsychologin Dr. Dagmar Herbst und Brigitte Bachler vom Sonderpäda­gogischen Zentrum gründete Elisabeth Morth die Plattform „Beratung und Information unter einem Dach“, über welche alle Anlaufstellen, die für die Eltern wichtig sind – vom Therapeuten bis zum Jugendrichter – vernetzt wurden. Die Infos gab es zuerst nur in gedruckter, später auch in digitaler Form. Das Prinzip der Plattform wurde inzwischen für jeden Bezirk in Tirol ausgerollt
(www.kinderplattform.tsn.at).
Es passierte noch einiges mehr, das man aufzählen könnte. Was Sissi in diesem Zusammenhang mehrfach betont, ist: „Die Gemeinde hat uns in allen Belangen immer sehr unterstützt!“

Was bleibt

Unzählige Male konnte Sissi mit ihrem Engagement den Familien in der Region helfen und deren Situation verbessern. Das gute Gefühl, etwas Sinnvolles geleistet zu haben, sei es, das unterm Strich bleibe. „Und wir haben viele Gespräche geführt. Es ist mir immer wichtig gewesen, dass die Leute miteinander reden, dass man sich alles ausredet“, so Sissi. „Sie hat gute Führungsarbeit geleistet“, bringt es Peter auf den Punkt.
Der Abschied fiel auch deshalb nicht so schwer, weil Sissi­ wusste, dass mit Barbara Lackner eine gute Nachfolgerin gefunden war. Eine, die sie als Kollegin viele Jahre lang geschätzt hatte.
Nie habe Elisabeth Morth in den 43 Jahren in der Volksschule daran gedacht, alles hinzuwerfen, erzählt sie. Aber sie habe lernen müssen, Dinge, die nicht sofort zu lösen waren, in der Schule zu lassen. Sie gewöhnte sich ein Ritual an: Auf dem Nachhauseweg musste sie die Neubau-Brücke passieren. Sie selbst ging oder radelte über die Brücke, die Probleme blieben aber auf der anderen Seite zurück.

Eine große Stütze war ihr bis zum letzten Arbeitstag auch Peter: Er kochte für sie, hielt ihr den Rücken frei, brachte immer Verständnis auf für ihren Beruf. Seine gesundheitlichen Probleme sind mit den Jahren nicht weniger geworden; Sissi und Peter machen das Beste aus der Situation und genießen jeden gemeinsamen Tag. So, wie es auch Emil tut im Stubenwagen. Der Kater reckt und streckt sich, seufzt hörbar und rollt sich dann zu einer schokoladenbraunen Flauschkugel zusammen … 

Doris Martinz