Die Karateka Predrag und Deni Juric erzählen von MODERNER Kampfkunst, gestressten Kindern und mehr.

Predrag ist 58 Jahre alt und fit wie ein Turnschuh, das sieht man ihm an. Er lächelt, als ich ihn darauf anspreche. „Das ist kein Zufall“, meint er. Seit seiner Kindheit macht der gebürtige Jugoslawe Karate,­ inspiriert von Filmen wie „Karate Kid“ und der Ikone der Kampfkunst Bruce Lee. Schon in jungen Jahren nahm er an Wettkämpfen teil, in beruflicher Hinsicht verschlug es ihn in die Werkstatt: Er absolvierte eine Lehre als Automechaniker. Da die Heimat kaum Perspektiven bot, wanderte Predrag – wie bereits einige Familienmitglieder vor ihm – aus. Nach einem einjährigen Aufenthalt in der Schweiz kam er 1989 nach Rauris, wo er seine spätere Frau Vesna kennenlernte. 1994 zog das Paar nach Kirchdorf und später nach St. Johann, wo 1995 Deni zur Welt kam. Predrag ist seit über 25 Jahren bei der Firma EGGER beschäftigt, wo er aktuell als Maschinist und Staplerfahrer arbeitet.
Die Liebe zum Karate-Sport ließ ihn nie ganz los. Als Sohn Deni, heute 30, ein paar Jahre alt war und Interesse an der Kampfkunst zeigte, widmete sich ihr auch sein Vater wieder intensiver und wurde Trainer.
Die Jurics betreiben und lehren den Shotokan Stil – einen der vier großen Hauptstile im Karate. Neben den allgemeinen gesundheitlichen­ Vorteilen, fokussiert sich das Trainerteam auch auf Wettkämpfe. „Karate ohne Wettkampf ist für uns wie der Besitz des Führerscheins ohne jemals Auto zu fahren“, erklärt Predrag.

Von „Kyus“ und „Dans“

2007 gründeten die Jurics ihren eigenen Verein, der heute als das Karate Leistungszentrum St. Johann in Tirol bekannt ist. Beide haben den Schwarzen Gürtel, Predrag verfügt über den 5. und Deni über den 4. Dan. Zur Erklärung: Im Zuge der Ausbildung wechseln die Gürtelfarben von Weiß (Anfänger) über Gelb, Orange, Grün, Blau, Vio­lett und Braun (drei Stufen) bis hin zu Schwarz. Bis zum schwarzen Gürtel werden die Schülergrade „Kyu“ genannt. Wer sich den schwarzen Gürtel verdient hat, ist Meister und kann sich auf den Weg des Meisters machen, der zehn Stufen, sogenannte „Dan“, umfasst. „Mit dem schwarzen Gürtel fängt das Training eigentlich erst an“, erklärt Predrag. Um sich einen Dan-Grad zu verdienen, brauche es nicht nur die körperliche, sondern auch die entsprechende geistige Reife. Dementsprechend gibt es für jeden Dan ein Mindestalter, das eine gewisse Lebenserfahrung und mentale Reife gewährleistet.
Was fasziniert die Jurics so an der Kampfkunst? In der Lage zu sein, sich selbst zu verteidigen, ist mit Sicherheit ein gutes Gefühl. Aber alleine darum kann es nicht gehen, oder? „Karate ist ein sehr vielschichtiger Sport, bei dem es um Aspekte wie Konzen­tration, Fitness, Respekt und Disziplin geht. Als erfahrener Kampfsportler muss man auch im Kopf sehr stark sein, muss in Wettkampfsitua­tionen ruhig und besonnen bleiben und richtig reagieren. Dasselbe gilt natürlich auch für den Fall, dass man in der Realität wirklich einmal angegriffen wird“, erklärt Predrag.
„Dann muss man wissen, wo die Grenzen liegen und in der Lage sein, richtig zu reagieren. Jeder Kampf, der vermieden wird, ist im Prinzip ein Sieg“, so Deni.
Selbstverteidigung ist das Grundprinzip des Karate. Wer sich aber „prügeln“ will und meint, beim Training seine Aggressionen abbauen zu können, ist fehl am Platz. Die Ursprünge der heutigen Kampfsportart liegen in einer Kampftechnik, die auf der Insel Okinawa in Japan entwickelt wurde. Karate bedeutet wörtlich übersetzt so viel wie: „der Weg der leeren Hand“. Ursprünglich wurde die Kampfkunst von einfachen Bauern praktiziert, denen zur damaligen Zeit der Besitz von Waffen untersagt war.

Karate hilft bei der Konzentration

Es braucht einiges an Training und „Biss“, um im Karate Fortschritte zu machen – die Gürtel fallen einem nicht in den Schoß. Wie gehen die vielen Kinder im Verein mit den Herausforderungen um? „Man merkt schon einen Unterschied zwischen heute und vor zwanzig Jahren“, so Predrag nachdenklich. Deni nickt, auch er kann das bestätigen. „Es fällt den Kindern heute schwerer, einfache Bewegungsabläufe zu verinnerlichen, sie sind im Durchschnitt auch körperlich weniger fit“, sagt er. Die Gründe dafür sehen er und sein Vater in einem allgemeinen Bewegungsmangel und in der Freizeitgestaltung der Jugend: „Es gibt heute viele Möglichkeiten und immer mehr Eltern wollen, dass ihr Kind in den unterschiedlichsten Richtungen gefördert wird. Das führt dazu, dass schon Fünfjährige überlastet und überfordert sind. Sich auf eine Sache zu konzentrieren und darin richtig gut zu werden, ist dann schwierig“, meint Predrag.
Die gute Nachricht: Karate hilft Kindern, sich zu konzen­trieren – beim Sport, aber auch in der Schule. „Wir bekommen immer wieder positives Feedback von Eltern, die berichten, dass ihre Tochter oder ihr Sohn ruhiger und ausgeglichener ist, seit sie oder er bei unserem Training mitmacht“, berichtet Predrag. „Außerdem“, ergänzt Deni, „vermitteln wir vor allem Kindern und Jugendlichen auf spielerische Weise Respekt und Disziplin, davon profitiert man ein Leben lang.“
Zur Disziplin gehört für die beiden auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol. Predrag und Deni trinken keinen Tropfen davon, denn „das verträgt sich nicht mit dem Sport“. Deni hat nach dem Gymnasium den Master in Informatik gemacht, arbeitet seit einigen Jahren bei ­EGGER in der Softwareentwicklung und betreibt daneben sein eigenes Unternehmen für Webdesign und -entwicklung. Er ist verheiratet und Vater einer acht Monate alten Tochter. Wird sie eines Tages Karate üben? Mit diesen Genen wird das wohl nicht ausbleiben …

Dranbleiben will gelernt sein

Das Karate Leistungszentrum in St. Johann zählt derzeit rund einhundert Mitglieder. Es sollen noch mehr werden, wenn es nach Predrag und Deni geht. Denn: „Wir wollen die Kinder und Jugendlichen von der Straße holen und ihnen unsere Werte vermitteln“, so der Vereinsgründer. „Wir wollen sie auch von Tablets und Spielkonsolen weglotsen und hin zur Bewegung bringen“, ergänzt sein Sohn. Beide wollen mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit im Verein dazu beitragen, dass junge Menschen gesund heranwachsen. Ihr Ziel ist es, die Jugend von Drogen, Alkohol und Zigaretten fernzuhalten. „Unsere Erfolge messen wir nicht in Medaillen, sondern in der Gesundheit und Lebensfreude unserer Mitglieder“, so Predrag.
Und doch: Die Mitglieder holen auch bei internationalen Wettkämpfen immer wieder Medaillen. Keine zwei Monate nach der Vereinsgründung erkämpfte Deni beispielsweise schon die erste Goldmedaille bei einer österreichischen Bundesmeisterschaft für den Verein.
Für das Trainerteam ist es wichtig, allen Mitgliedern die Chance zu geben, sich mit anderen Altersgenossen zu messen. Dabei spielt die Entfernung des Austragungsortes einer Meisterschaft keine Rolle. „Wenn jemand bereit ist, dann fahren wir auch gerne hunderte Kilometer ins Ausland zu einer internationalen Meisterschaft“, sagt Deni. Wie in jeder Sportart, dienen Turniere zur Motivation der Sportler:innen. Eine Motivation, die Trainer in der heutigen Zeit leider immer mehr vermissen. „Wenn jemand früher eine Gürtelprüfung nicht bestanden hat, war er oder sie heiß darauf, es beim
nächsten Mal zu schaffen, hat noch mehr und härter trainiert und sich dann den Gürtel verdient. Heute geben die Kinder oder Jugendlichen eher auf und wenden sich aufgrund der vielen Möglichkeiten einem anderen Hobby zu. Und die Eltern unterstützen das mitunter“, so Predrag.
„Unser Ziel ist es, unseren Mitgliedern beizubringen, dass es sich auszahlt, hart für etwas zu arbeiten. Das wirkt sich auch im zukünftigen Leben positiv aus“, ergänzt Deni.
Mittlerweile sind übrigens genausoviele Mädchen wie Burschen beim Training anzutreffen. Dies liegt vor allem daran, dass es im Karate verschiedene Disziplinen gibt. Von Katas (Kampf mit unsichtbarem Gegner) bis zum Kumite (Freikampf mit Gegner) ist für jeden was dabei. Vor allem bei Kindern wird dabei kontaktlos und mit entsprechender Schutzausrüstung gekämpft, sodass das Verletzungsrisiko minimal ist. „Im Unterschied zum Vollkontakt-Karate wird bei uns im Sport-Kumite um saubere Punkte gekämpft“, erklärt Deni.
Einsteigen kann man ab fünf Jahren, nach oben gibt es keine Grenze. Auch Erwachsene mit entsprechender Gesundheit und Grundkondition können jederzeit das Training aufnehmen und sich Schritt für Schritt verbessern. Karate hält fit und vital, das älteste Vereinsmitglied ist siebzig Jahre alt.
„Karate üben heißt, es ein Leben lang zu tun“, so lautet ein Grundsatz der Kampfkunst. Nach all dem, was Predrag und Deni darüber berichten, zahlt es sich wohl aus.

Doris Martinz

Shotokan Karate Training

Dienstag
Anfänger: 17 bis 18 Uhr
Fortgeschrittene: 18 bis 19 Uhr
Donnerstag
Anfänger: 17 bis 18 Uhr
Fortgeschrittene: 18 bis 19 Uhr
Trainingsort: Halle der Mittelschule 1,
Postfeld 17, 6380 St. Johann

Infos und Kontakt auf
www.karatetirol.at