Der Betreiber des „Le Bastian“ erzählt von seinem Weg, der ihn in die Marktgemeinde brachte, von seiner Familie und Träumen.

In der deutschen Sprache bezeichnet das Wort Milan einen Greifvogel, der elegant am Himmel schwebt. Im Tschechischen allerdings ist Milan ein männlicher Vorname. Und St. Johann hat endlich einen Milan bekommen: Milan Hurt, Betreiber des Bistros „Le Bastian“. Der sympathische 35jährige Tscheche hat in „Sainihåns“ ein neues Zuhause gefunden. Ein Zuhause in den Bergen, mit Schnee und der Möglichkeit zum Skifahren, das war ihm wichtig. Und mit Lederhosen. Aber der Reihe nach: Milan wird bei Liberec in Nordböhmen geboren – einer Gegend, in der die Berge niedriger und die Skipisten weniger sind als bei uns. „Aber in unserer Familie war der Wintersport immer wichtiger als beispielsweise Urlaub am Meer“, erzählt Milan. Er absolviert in der Tourismusschule die Ausbildung zum Koch und Kellner, und schon mit 20 Jahren zieht es ihn ins Ausland, nach Deutschland. Ohne einen fixen Job in der Tasche zu haben, kündigt er Job und Wohnung, bucht ein FlixBus-Ticket und fährt nach Trier, nahe der Grenze zu Luxemburg. Immerhin hat er dort eine Freundin, die ihn in einem Hotel empfiehlt. Nach der Probewoche bietet ihm der Chef einen Job an und übernimmt die Kosten für zwei Deutschkurse. Milan hat bereits in der Schule Deutsch gelernt, schnell spricht er besser und bald richtig gut. „Nach einem Jahr habe ich gesehen, dass es im Ausland funktioniert mit der Sprache und dem Job, dass ich mich wohlfühle“, erinnert er sich. Er zieht weiter und geht für ein Jahr nach Luxemburg, um dort in einem Konditorei-Produktionsbetrieb gutes Geld zu verdienen. Danach kommt er zurück nach Trier und arbeitet in einer Brasserie in der Altstadt. Als sich gute Freunde selbständig machen, werben sie ihn dort ab. Doch er bleibt auch in ihrem Betrieb nicht für lange Zeit. „Ich bin jedes dritte Jahr hundert Kilometer weitergewandert, bis ich in Österreich war“, so beschreibt Milan seinen Weg. „Ich war Stammgast bei Ikea, habe mich eingerichtet und dann wieder alles verkauft. Es befreit, wenn man ohne Ballast geht.“ Immer lässt er ein Leben zurück, liebe Freunde, die er gewonnen hat und viele schöne Erinnerungen. Der Grund dafür, dass er an keinem der Orte bleibt: Er träumt davon, in Österreich zu arbeiten und wohnen, echte Winter mit Schnee zu erleben und Ski zu fahren wie in seiner Kindheit.

Es muss eine Skihütte sein

Eines Tages im November 2018, er hat gerade wieder alles hinter sich gelassen und zwei Wochen daheim bei den Eltern Urlaub gemacht, setzt er sich mit Rucksack, Koffer und ein paar ausgedruckten Lebensläufen in den Zug nach Salzburg. Mit dabei außerdem viel Zuversicht, dass sich der richtige Job auftun wird und die Adresse einer Freundin aus seiner Zeit in Deutschland, die jetzt in Salzburg wohnt. „Es ist ein schönes Gefühl, so frei zu sein. Ich hätte einfach auch 300 Kilometer weiterfahren können und dort nach einem Job suchen“, so Milan. „Niemand hätte mir eine Rechnung schicken können, ich hatte ja nichts außer meinen Handyvertrag.“ Es bleibt bei Salzburg. Er läuft durch die Stadt und sieht sich um nach Lokalen, in denen man im Service mit Lederhosen arbeitet, „denn das war für mich der Inbegriff für die Berge und das Skifahren.“
Er findet Arbeit in einem Hotel, doch richtig glücklich ist er dort nicht. Seine Freundin erinnert ihn an seinen Traum von der Arbeit auf einer Berghütte. Milan googelt „Job Skihütte Nähe Kitzbühel“, denn die Gamsstadt ist ihm als Skifahrer ein Begriff. Die erste Alm, die angezeigt wird, ist die Brenneralm in Ellmau; er schickt seinen Lebenslauf an die angegebene E-Mail-­Adresse. Zehn Minuten später kommt der Anruf, er soll sofort kommen. Milan setzt sich in den Zug, fährt bis nach St. Johann und mit dem Taxi weiter nach Ellmau. Als bei Going der mächtige Gebirgszug vor ihm auftaucht, staunt er. Der Taxifahrer erklärt ihm, dass es sich um den Wilden Kaiser handle und fragt, ob er jenen denn nicht aus der TV-Serie „Der Bergdoktor“ kenne. Da fällt es wie Schuppen von seinen Augen: Natürlich kennt Milan den Wilden Kaiser, natürlich kennt er den „Bergdoktor“, er hat die Sendung als Kind viele Male gemeinsam mit seiner Oma gesehen. Angekommen auf der Brenneralm, ist er überwältig vom Ausblick auf den „Kaiser“ und fragt sich, was seine Oma wohl sagen wird, wenn sie hört, dass er gerade hier gelandet ist.
Am Abend des Probetags fragt ihn Chefin Trixie, ob er bleiben mag. Und Milan sagt: „Ich muss ja, ich bin obdachlos.“ Milan lacht herzlich, als er davon erzählt. Zwei Saisonen lang arbeitet er auf der Brenneralm, die heute Jezz Alm heißt. „Das hat sich wie ein Traum angefühlt mit der Piste direkt neben der Hütte, mit Lederhose, Winterstiefel, Schlitten und allem.“ Und die Oma ließ fortan keine Folge des Bergdoktors mehr aus, wissend, dass ihr „Bub“ dort war, wo der Doktor praktiziert …

Veränderungen

Gemeinsam mit seinem Partner, den er in Ellmau kennengelernt hatte, ging Milan für eine Saison nach Ischgl. Nach der Pandemie arbeitete er einige Monate lang als Gouvernante in einem Ellmauer Hotel. „Das war wirklich auch interessant“, meint er. Dann machten sich Milan und sein Partner selbständig und übernahmen den Tischlerwirt in Reith. „Das Team, die Leute, Service und Küche: Es war alles super, eine voll schöne Geschichte“, so formuliert es Milan. Und meint nachdenklich: „Wir haben viele Reservierungen angenommen, viel offen gehabt, viel gearbeitet, eigentlich alles viel, vielleicht alles viel zu viel.“ Parallel zum Tischlerwirt suchten sich die beiden etwas „Kleines, Feines“ und stießen auf ein kleines Lokal in St. Johann. Sie nannten es „Le Bastian“. Die Beziehung ging in die Brüche, das Aus für den Tischlerwirt steht fest, Milan ist inzwischen alleiniger Betreiber des „Le Bastian“.
Er mag St. Johann: „Weil es übersichtlich ist und weil es hier noch kleine Läden und Lokale gibt. St. Johann hat sich seine Seele bewahrt, das ist schön. Ich fühle mich sehr wohl hier“, so Milan. Außerdem hat er eine neue Liebe gefunden. „Ein Einheimischer“, verrät er lächelnd.

Passendes Konzept

Milan ist glücklich im „Le Bastian“ und mit dem Konzept des französischen Bistros. „Das gab es hier noch nicht, und die Leute genießen es, dass sie ganz unkompliziert bei uns einkehren können. Manche kommen nur auf einen Espresso, andere zum Essen, wieder andere auf ein Glas Wein. Alles ist OK, wir freuen uns über jede und jeden, der bei uns vorbeischaut.“ Das Konzept mit „nur“ zwei geöffneten Abenden am Donnerstag und Freitag macht ihm das Gastro-Leben leichter. „Damit können auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut leben.“ Er wisse aus eigener Erfahrung, dass man nicht nur auf das Wohl der Gäste, sondern auch auf jenes des Teams und die eigenen Bedürfnisse schauen müsse. „Sonst geht das auf Dauer einfach nicht. Wir alle werden lernen müssen, dass die Gastronomie nicht mehr wie früher einfach immer da ist und offen hat. Das ist nicht mehr machbar.“
In seiner Freizeit unternimmt Milan Skitouren, oder er geht langlaufen. Im Sommer ist er auf dem Rennrad anzutreffen oder auch beim Kraulen im Schwimmbad. Sein Ziel ist es nämlich, vielleicht noch heuer an einem Triathlon teilzunehmen. Und sonst, wovon träumt er sonst noch? Diese Frage macht Milan stutzig. Er überlegt. Und meint dann nachdenklich: „Eigentlich habe ich alles: das Bistro; eine schöne Wohnung; einen Partner, der mich versteht und mir Halt gibt; die Berge, echte Winter und den Sport.“ „Aber wovon träume ich noch?“ Er stellt sich die Frage jetzt selbst; sie schwebt über ihm wie eine Wolke.

Familienmensch

Wir reden über seine Familie. Schon mit 18 Jahren ist Milan in eine eigene Wohnung gezogen, mit 20 ging er nach Deutschland. Vermisst er seine Eltern, die Geschwister und Großeltern nicht manchmal? „Die Heimat und die Familie vermisst man immer. Das bleibt, das verschwindet nie, auch nach 15 Jahren nicht“, antwortet er. „Gänsehaut“, sagt er, seine Augen schimmern. Er reibt sich über den Unterarm. Seine Brüder haben beide schon zwei Kinder bekommen, er vermisst sie. Der Kontakt zur Familie ist sehr eng. „Wenn ich meiner Mama nicht jeden Tag in der Früh einen guten Morgen wünsche, macht sie sich Sorgen.“ Seine Nichte Emma besitze schon ein eigenes Handy und schicke ihm Nachrichten, erzählt er. Milan sagt, er sei der „coole Onkel“, der zweimal im Jahr mit Geschenken nach Hause komme. Seine Lieben besuchen ihn aber auch in St. Johann – am liebsten natürlich zum Skifahren. „Aber was sind meine Träume?“ Die Frage lässt ihn nicht los.
Er erzählt, dass er und sein Partner sich vielleicht einen Hund anschaffen wollen. Aber ein Traum wäre es, wenn jemand aus der Familie, eine Nichte oder ein Neffe, zu ihm nach St. Johann kommen würde, um ihn im Bistro zu unterstützen. Ja, genau, DAVON träumt Milan. „Das wäre schön“, strahlt er. Übrigens: Sebastian, Milans jüngster Neffe, ist Namensgeber des „Le Bastian“. Den Namen Sebastian hat Milan auch auf seinen Oberarm als Tattoo verewigt. Der Eineinhalbjährige war schon einmal da, im Lokal. „Das war schon bewegend, als er zum ersten Mal durch unsere Tür spaziert ist. Er hat sich offensichtlich gleich wohl gefühlt und so getan, als sei er hier zuhause “, erzählt Milan.
Milan mit seinem ausgeprägten Familiensinn und der Liebe zur Gastronomie und zu den Menschen, denen er begegnet, hat „seinen eigenen Vogel“, seine ganz eigenen Vorstellungen vom Leben, wie wir sie alle haben. Mit dem Greifvogel, der in der deutschen Sprache denselben Namen trägt, verbindet ihn nicht viel. Wenn, dann ist Milan wohl eher ein Wanderfalke. Einer, der in St. Johann ein Zuhause gefunden hat und hoffentlich bleibt.
Doris Martinz