Kapellmeister Hermann Ortner über Konzerte in früher Morgenstund’, ein Fast-Hoppala in China und seine zukünftigen Pläne.
Heuer wird er sein letztes Frühjahrskonzert dirigieren, dann ist Schluss. „40 Jåhr’ sind genug!“
Er sagt es ohne Bedauern. Oder? Ein bisschen Wehmut meine ich doch aus seiner Stimme herauszuhören. In den letzten 15 Jahren war Hermann Ortner Kapellmeister der Musikkapelle St. Johann, im Herbst wird er sein Amt niederlegen. Und das, obwohl der Titel des diesjährigen Frühjahrskonzerts „The Show must go on“ lautet. Die „Show“ geht für Hermann ab September also anderweitig weiter.
In all den Jahren hat er mit seinen Konzerten so manches Mal provoziert – hat seine Musikantinnen und Musikanten alles spielen lassen, von Klassik bis … „går ois“. Das hat das Publikum manchmal schon aufgewühlt, herausgefordert. Gerade die zeitgenössischen Klänge sind nicht jedermanns und jederfraus Sache. Aber heuer, zum Abschluss, bringt die „Musig“ ein „gånz versöhnliches, feines Konzert“. Der Kapellmeister will damit ein letztes Mal aufzeigen, wie facettenreich die Blasmusik ist.
Während dafür die Proben laufen, plant Hermann schon die nächsten Konzerte für den Sommer. 14 an der Zahl sind 2020 wieder zu spielen. Und das zu einer Zeit, in der auch die Mitglieder der Kapelle in den Urlaub fahren. Kein Problem, meint er: „I såg immer: Die beste Musik måchst mit 45 Leit’, wenn dia passen.“
Der geborene Scheffauer lebt schon seit fast 40 Jahren in Ellmau und ist dort im „Zivilberuf“ Direktor der (natürlich) Musik-Volksschule. Er stammt aus einer musikalischen Bauern-Familie, spielt schon mit 17 Jahren mit seiner Trompete bei der Tanzmusik „Tiroler Nachtschwärmer“, mit der er viele tolle Erfolge feiert (unter anderem 3. Platz beim 1. Grand Prix der Volksmusik, über 10x Musikantenstadl, zahlreiche Auftritte in Musiksendungen des ZDF und in der ARD, Lustige Musikanten, Heimatmelodie, etc.) Mit 19, noch bevor er seine Ausbildung zum Volksschul-Pädagogen abgeschlossen hat, wird er Kapellmeister der Scheffauer Musikkapelle – 26 Jahre lang dirigiert er die Scheffauer, dann wechselt der „Musik-Fanatiker“ nach St. Johann. Insgesamt kommt er damit auf über 40 Jahre „Kapellmeisterei“. Für den 62-Jährigen ein Grund, das Steuer herumzureißen und sich anderen Dingen zuzuwenden. Dem Reisen zum Beispiel.
Wohin geht’s? „I håb einen Schwager in Australien, da soll i schon 30 Jahre lang hin“, lacht er. Für eine Woche ist die Anreise zu weit. Und drei Wochen wegbleiben war in den vergangenen Jahrzehnten so gut wie unmöglich. „I håb mir vorg’nommen, jetzt andere Dinge zu genießen.“
Alles eine Frage der Zeit
Warum tut man sich das überhaupt an – 40 Jahre Kapellmeister? „Des is a super Frage“, lacht Hermann und wiederholt sinnierend, „a super Frage.“ Er denkt noch kurz nach, doch die Antwort kennt er natürlich nur zu gut: „Es is schon die Begeisterung für die Musik. Und der Drang zu gestalten.“ Seine Augen beginnen zu leuchten. Doch gleich schränkt er wieder ein: „Aber es is a extrem viel Zeit, die ma aufwendet. I mecht nit de Stunden wissen, wås i in die Musik investiert håb.“ Der Erfolg sei es, der schlussendlich dazu motiviere, immer weiterzumachen. Und an Erfolg hat es Hermann nie gemangelt. Mit den Frühjahrskonzerten schafft es die St. Johanner Musikkapelle, dreimal den Kaisersaal zu füllen. Von diesen Besucherzahlen können andere Gruppierungen nur träumen.
Aber wie gesagt: Alles ist auch mit viel Zeitaufwand verbunden. Je nach Werk sind für eine Minute Spielzeit ein paar Stunden Vorbereitung einzuplanen. Noch bevor es ans Proben eines neuen Stückes geht, muss sich der Kapellmeister einlesen, es für sich selbst interpretieren, schauen, was er mit seiner Kapelle daraus machen will. Aber das sei nicht die Hauptarbeit, betont Hermann. Die Leit’ zu motivieren und Konzerte und Auftritte für’s gånze Jahr zu organisieren“, das sei die wahre Herausforderung. 2020 wird die St. Johanner Musikkapelle zum Beispiel in Tschechien eine Konzertreise unternehmen, die Planung dafür beschert dem Kapellmeister viel Arbeit. Dass diese Tour überhaupt möglich ist, verdankt die „Musig“ einem Kontakt, den man in China knüpfte. Letztes Jahr blies die St. Johanner Musikkapelle bekanntlich ja den Chinesen den Marsch, im wahrsten Sinne des Wortes. Zehn Tage lang weilten an die 50 Musikantinnen und Musikanten der Marktgemeinde im Reich der Mitte und begeisterten die Bevölkerung dort mit ihren Melodien und Klängen. Die Chinesen lieben Blasmusik? „Ja, die fåhr’n voll darauf ab“, bekräftigt Hermann. Sie treten in denselben Formationen auf, sie spielen dieselben Stücke wie die Kapellen in unserer Region. Die Blasmusik verbindet also Welten. Für die St. Johanner war die Tour ein voller Erfolg, sie beeindruckten mit ihrem Können. Das heißt aber nicht, dass immer alles ganz reibungslos lief. Hermann erinnert sich an eine Szene, die ihm heute, als er davon erzählt, noch fast die Schweißperlen auf die Stirn treibt.
Adrenalinschub in China
Um Transportkosten zu sparen, wird letztes Jahr so manches Instrument daheim gelassen, besonders, wenn es groß ist, und man hilft sich untereinander aus. In Peking soll einer der St. Johanner Musikanten ein Saxophon-Solo spielen und bekommt dafür während des Stücks das Instrument eines Kollegen gereicht. Er bläst hinein – nichts geht. Er versucht es wieder und wieder, doch aus dem Ding will einfach kein Ton entweichen, nicht der leiseste. Aus dem Augenwinkel bekommt der Kapellmeister die Verzweiflung mit, den hochroten Kopf, das ungläubige Starren auf das Instrument. Doch was hilft es? Er muss weiter dirigieren, und es sind nur noch wenige Takte bis zum entscheidenden Einsatz. Wie peinlich, wenn vor dem ausverkauften Saal so eine Panne passiert, wenn anstatt des anspruchsvollen Solos nur angestrengtes Pusten zu hören ist. Auch beim Kapellmeister steigt der Adrenalinspiegel. Da plötzlich greift der Nachbar des Solisten vorne ins Instrument und zieht aus der Öffnung, dem Schallbecher, eine Flasche Mineralwasser hervor. In letzter Sekunde, und schon ist er dran. Er spielt das Solo fehlerfrei, alles geht gut. Hermann schüttelt den Kopf und lacht. „Jå, des wår spannend.“
Wunderbare Erinnerungen
Als eines der schönsten Erlebnisse bleibt dem „Maitre“ das Konzert im Salzburger Dom in Erinnerung, das die slowenische Komponistin Maja Osojnik für die Musikkapelle St. Johann geschrieben hat – ein 40-minütiges Werk voller Cluster und Klangflächen, abgestimmt auf die Akustik in der Kirche. Hermann und seine Kollegen stoppten die Zeit: Wenn man im Dom einen Ton erklingen lässt, hallt er 13 Sekunden lang nach. Das macht das Musizieren an sich schwierig, doch die Schwebeklänge des Stücks konnten sich hier perfekt entfalten. „Es wår einfach wunderbar. Die Leit’ håm Tränen in den Augen g’håbt, waren total berührt. Des is für an Musikanten des Schenste, wennst die Menschen im Herzen dalångst.“
Bei den Platzkonzerten im Sommer geht es freilich ganz anders zu. Da herrscht ausgelassene Stimmung, es wird gelacht und mitunter auch gegrölt. Auch das passt für den Meister, aber auf qualitätvolle Unterhaltung legt er dennoch Wert. War er in all den Jahren recht streng mit seinen Musikantinnen und Musikanten? „Früher mehr wie heit’, ma wird milder“, lächelt er verschmitzt.
Der Ellmauer erinnert sich an ein weiteres Ereignis, das ihm für immer in Erinnerung bleibt. Die Vorgeschichte trug sich 2007 in der Stube beim „Dampfl“ zu, als sich Hermann auf ein Gespräch mit dem damaligen Obmann Andy Schedler traf, Bürgermeister Sepp Grander war zufällig auch dabei. Da sagte der Kapellmeister zu den beiden: „I geh jetzt aufs Klo. Wenn i zurückkomme, möchte ich a Antwort auf eine Frage.“ Natürlich wollten die Herren wissen, was es für eine Frage sei. „I mecht um sechse in der Früh a Kirchenkonzert machen“, sagte Hermann und verschwand auf die Toilette. Als er zurückkam, meinten beide nur: „Spinnst du??“ Doch der Bürgermeister konnte der Idee bald etwas abgewinnen. Andere selbst dann noch nicht, als im Februar 2008, am Tag des Konzerts, die ersten Zuhörer eintrafen. Selbst der Ortschef hatte Wochen zuvor gemeint, ob man vielleicht nicht doch auf sieben Uhr verschieben solle. Aber Hermann blieb stur. Auch, als ein Kapellmeister-Kollege aus dem Nachbarort meinte: „Muass i eich a påar Geitling* aussatreiben, dass wenigstens a påar Zuhörer håbt’s? Da kamen auch bei ihm Bedenken hoch: „Håb i då an Bock g’schossen?“
Es brauchte keine „Geitlinge“, um die Kirche vollzumachen. Die Tür ging um dreiviertel sechs Uhr auf und nicht mehr zu, bis alle Bänke besetzt waren und viele weitere Konzertbesucher mit einem Stehplatz vorlieb nehmen mussten. Als 2018 ein weiteres Frühkonzert veranstaltet wurde, verkaufte die Musikkapelle 750 Karten über Ö-Ticket. Die St. Johanner „Musig“ ist offensichtlich auch und vielleicht ganz besonders auf nüchternem Magen eine echte Empfehlung.
Neue Aufgaben
Das alles wird ihm fehlen – die Anspannung, manche Unsicherheit und Aufregung. Aber langweilig wird Hermann sicher nicht. Denn er wird nach wie vor Direktor an der Musik-Volksschule in Ellmau bleiben. Zudem betreibt Tochter Jennifer seit gut einem Jahr ein Restaurant in Ellmau. Sie hat es nach ihrem Papa „Café-Restaurant Hermann“ genannt. Die 38-Jährige hat eine thailändische Köchin engagiert und bietet daher neben regionalen und österreichischen Spezialitäten und Steaks auch einige thailändische Gerichte an – „des kimmt super an“, sagt der Papa stolz. Da gibt es für den Musikanten immer etwas zu tun. „A bissl Hausmeistern“, meint er augenzwinkernd.
Und da ist ja auch noch die „Koasa Combo“, mit der Hermann weiterhin musizieren wird. Und die Trommelkurse für Kinder und Erwachsene in Ellmau wird er weiterhin anbieten.
Apropos trommeln: Am 14. August ist ein Konzert der St. Johanner Musikkapelle mit einem absolut genialen Trommler aus Burkina Faso geplant. Blasmusik goes Africa – wieder so ein Projekt, mit dem Hermann Ortner als Kapellmeister zeigt, was in seiner Gruppe steckt. Bevor er im Herbst den Taktstock in St. Johann niederlegt, zieht er noch einmal alle Register …
Doris Martinz
*einjähriges Jungvieh
FRÜHJAHRSKONZERT der Musikkapelle St. Johann i. T.
„The Show must go on“
Mittwoch, 18., Fr. 20. und Sa. 21. März 2020 um 20 Uhr im Kaisersaal St. Johann.
Platzkarten 16,– Euro
(zzgl. event. Vorverkaufsgebühren): Raiffeisen- und Sparkassenfilialen
www.oeticket.com
Kaisersaalbüro 05352/6900880