Harald Aschacher und Lukas Überall berichten über „ihren“ Alpenverein, über Motivierendes, Herausforderndes und Unverständliches.

I bin da zehnte Obmann“, sagt Harry und schiebt mir ein bedrucktes Blatt Papier zu – die Liste aller Obmänner des Alpenvereins Sektion Wilder Kaiser. Beeindruckend. 1947 versammelten sich beim „Dampfl“ in St. Johann 30 Leute; sie gründeten die Sektion, die nur wenige Jahre später ihren heutigen Namen erhielt. Seitdem hat sich viel getan. An die 2.700 Mitglieder aus den Gemeinden St. Johann, Kirchdorf/Erpfendorf, Going, Ellmau und Oberndorf zählt der Verein. Sie alle vereint die Liebe zu den Bergen, die Liebe zum „Berggehen“. Der Hauptgrund, warum sich viele dem Alpenverein anschließen: „Weil es Touren gibt, die ma g’scheiter nit alloa macht, sondern in der Gruppe, mit an Führer. Mit dem Verein kimmt ma auf Gipfel, die sust nit zu erreichen war’n.“ Das gemeinsame Bergerlebnis ist es, das die Menschen anzieht. Es schenkt Glück und Freude. Und Sicherheit.

Dem Klettern verfallen
2016 wurde die Boulderhalle „Koasa Boulder St. Johann“ eröffnet, die der Alpenverein betreibt. Geschäftsführer ist seit einem Jahr Lukas „Luggi“ Überall. Der 28-Jährige Oberndorfer war lange Mitglied im Alpenverein Sektion Kitzbühel, bevor er über die Arbeit im Café der Boulderhalle nach St. Johann kam. Der Klettersport ist sein Leben: „Jå, dem Klettern bin i total verfoin“, gesteht er. Der Job in der Boulderhalle kam für den gelernten Schmied genau zur rechten Zeit. Die Arbeit – das Warten der Halle, das wöchentliche Schrauben neuer Routen, die Bewirtung der KletterInnen im Café – teilt er sich mit Dani Eder aus Fieberbrunn. „Des passt super“, meint er. Luggi ist mit dem Klettern schon viel herumgekommen, aber am schönsten ist es für ihn daheim, und hier speziell am Schleier Wasserfall in Going. „Då ku ma des gånze Jåhr über klettern, bei jedem Wetter. Hinterm Wasserfoi iss’ hoit wås Besonderes!“ Klar, dass auch seine Freundin Chantal (sie kommt aus Kössen) klettert. „Sust gangat des nit.“ Er lächelt unter seinen Dreadlocks, die er zu einem Turban gewickelt hat.
Früher hat er viele Wettkämpfe bestritten, heute bezwingt er die Felswände nur mehr für sich alleine: „I muaß mir und åndere nix mehr beweisen, ohne Wettkampf is ma viel freier.“ An seinem Können feilt er dennoch mit jeder Tour im Fels.
In der Boulderhalle „Koasa Boulder“ wagen sich schon Dreijährige an die Wand. Sie dürfen natürlich noch nicht ganz hinauf auf die Absprunghöhe der Erwachsenen, doch das tut der Motivation keinen Abbruch. Bis zu 130 Kinder trainieren hier einmal wöchentlich. Auch das Klettern als Therapie ist inzwischen ein wichtiger Bereich geworden. Dank einer Kooperation können die 700 Kletterer und Kletterinnen neben der Boulderhalle auch die Einrichtungen der Kletterhalle in Kitzbühel nutzen.

Vom Vize zum Obmann
Harry Aschacher war nicht schon als Kind Mitglied des Alpenvereins, wie man meinen könnte. Nein, er schickte einst seine Tochter mit ins Sommerlager nach Heiligenblut und versprach ihr, im nächsten Jahr mitzukommen. Während seine Tochter irgendwann daheim blieb, blieb Harry dem Verein erhalten, im Sommerlager seit ein paar Jahren als Koch. „Wås für die ånder’n Stress is, is für mi Erholung“, erklärt er. Für 50 Leute Frühstück machen, Jause richten und Abendessen kochen auf den beiden Grillern – alles kein Problem.
Als gelernter Maurer und Polier ist Harry seit 17 Jahren bei der Straßenmeisterei in St. Johann beschäftigt. Sein handwerkliches Geschick machte ihn auch zum Hüttenwart der Wildangerhütte, der Sektions- und Selbstversorgerhütte im Kaiserbachtal? 2019 übernahm er den Posten des Obmanns – nicht ganz freiwillig, wie er erzählt: „I håb g’sågt, i måch den Vize, schau mir des a Jåhr lång u und entscheide dånn.“ Nach Ablauf des Jahres sagte er „nein“ zum Obmann und sah sich vor die Aufgabe gestellt, einen anderen für diesen Job zu finden. Schließlich war es einfacher, einen Vize zu gewinnen (Harry vergatterte dazu seinen Bruder) den Obmann selber zu übernehmen. Er lacht. Doch die Aufgabe macht ihm Freude, und mit Bettina und Claudia an der Seite, die die Büroarbeit übernehmen, ist alles zu schaffen. Wobei: Viel Arbeit bringt das Amt schon mit sich: „Am Anfang hätt i då schlåfen kina, so viel Arbeit wår das,“ erklärt Harry beim Gespräch im Büro des Alpenvereins in der Boulderhalle. Viel Arbeit war es, weil er die einzelnen Sparten des Vereins wieder ankurbeln, wieder mehr Bewegung in alle Bereiche bringen wollte.

In Sachen Naturschutz unterwegs
Eine Hauptaufgabe des Alpenvereins sieht er darin, quasi als „Gewerkschaft für die Natur“ zu agieren. Im Bereich des Niederkaisers ist der Alpenverein Sektion Wilder Kaiser für das Müllsammeln zuständig. Die Mitglieder warten aber auch Wanderwege, helfen bei der Vernichtung von Neophyten (Springkraut) mit, vermitteln in Sachen Natur- und Umweltschutz.
Harry Aschacher braucht das alles: die Termine, Besprechungen, die Touren mit den Mitgliedern, das gemeinsame Wirken und Werken in der Natur, das Organisieren von Veranstaltungen wie dem Zipflbob-Rennen. Unzählige Stunden wendet er dafür auf. Warum? Er denkt kurz nach und sagt dann: „I bin oana, der ans Gute im Menschen glabt.“ Er fühle sich wohl in der Gemeinschaft, würde sich gerne für die Menschen einsetzen und bekomme dadurch auch viel zurück, erklärt er. Er stellt aber auch klar: „Wennst koa Idealist bist, geht’s nit.“
Er sei einer, der den anderen Vereinsmitgliedern zuhöre und ihre Meinung schätze, sagt er. Er möchte wissen, was in den einzelnen Gruppen des Vereins – zum Beispiel bei der Jugend oder im Kletterteam – passiert, was los ist. Denn im Endeffekt sei der Obmann zuständig und verantwortlich.

Herzenswunsch
Zirka 35 Veranstaltungen führt der Alpenverein im Jahr durch, meist sind es Wander- oder Klettertouren, die von Mitgliedern geführt werden. Damit verbunden ist ein Herzenswunsch des Obmanns: „Es warat super, wenn möglichst viele Leit’ von uns Ausbildungen måchen, damit sie den ånder’n helfen kinan, dahin zu kommen, wohin sie alloa nit gelangen.“ Auf einen Viertausender zum Beispiel. Er selbst hat verschiedenste Ausbildungen absolviert, aber es sei wichtig, dass immer wieder junge Leute nachkommen.
Apropos: Während früher die Kinder meist alleine – ohne Eltern – an den Ausflügen des Alpenvereins teilnahmen, sind es heute oft ganze Familien. Den Trendwandel sieht Harry darin begründet, dass die Eltern heute weniger Zeit für den Nachwuchs hätten als früher und deshalb die Wochenenden lieber gemeinsam verbringen möchten. Auch für die Kids und Jugend organisiert der Alpenverein an die 30 Touren/Veranstaltungen im Jahr.

Die Sache mit dem Müll
Was Harry bei den Wanderungen immer wieder auffällt: Der Müll, der überall zu finden ist. Dass es Leute schaffen, ihre Jause auf den Berg hinaufzutragen, es aber nicht möglich scheint, dass sie ihre leere Verpackung oder Dose wieder ins Tal bringen, kann er einfach nicht verstehen. Ist ja auch unverständlich. Genauso, warum manche es nicht lassen können, Wanderschilder abzumontieren oder Abkürzungen durch den Wald und über die Wiesen zu nehmen. „Wie schwer kann es sein, auf dem Weg zu bleiben und seinen Müll nach Hause zu bringen?“. Das Thema macht ihm Kopfzerbrechen – und ein rotes Gesicht.
Zur Beruhigung bitte ich ihn, mir von seinem schönsten Bergerlebnis zu erzählen. Er muss nicht lange nachdenken und schildert einen Sonnenaufgang am Berg, „då holst dir Kraft für die gånze Woch’!“ Da oben zu sitzen und die Stille und Schönheit der Natur aufzunehmen, sei immer wieder etwas ganz Besonderes. Mit dem Alpenverein ist es ganz leicht, neue, unbekannte Gipfel zu erklimmen. „Gemeinsam geht ois viel leichter“, sagt Luggi. Wie Recht er hat.

Doris Martinz