Warum Männer wie Wolfgang Mittermayr sich als Krampus teuflisch wohlfühlen.
Wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, ist der fünfte Dezember in St. Johann kein Tag wie jeder andere, auch wenn es frühmorgens noch so aussehen mag. Spätestens am Vormittag wird klar, dass etwas ganz Besonderes im Gange ist, denn es werden Vorbereitungen getroffen am Hauptplatz. So mancher, der den Platz passiert und der Absperrgitter gewahr wird, verspürt ein leichtes Kribbeln im Bauch. Und zwar nicht, weil hier ein paar Stunden später der Nikolaus Einzug halten und Geschenke verteilen wird. Nein, es ist wegen seiner grimmigen Begleiter, der Horden von Krampussen, die mit ihm die Marktgemeinde stürmen, mit furchterregenden Masken, wildem Gebrüll und zornig drohenden Gebärden. Bengalisches Feuer wirft unheimliche Schatten auf ihre Fratzen und macht die Szenerie noch dramatischer. Die Teufel reißen an den Gittern, sie lassen ihre Ruten durch die Luft zischen, scheinen außer Rand und Band. Kinder krallen sich an den Mänteln und Jacken ihrer Eltern fest und verstecken sich hinter ihnen, und sogar viele Erwachsene weichen zurück. Mit den Teufeln ist nicht zu spaßen. Oder etwa doch?
Ich frage „Oberkrampus“ Wolfgang Mittermayr, Gründungsmitglied der „Koasa Pass“ in St. Johann und Obmann, fast seitdem es den Verein gibt.
Seit 23 Jahren als Verein organisiert
Dass es die Koasapass und den Brauch des Krampuslaufens in St. Johann überhaupt gibt, ist auch ihm zu verdanken. Vor dem Jahr 1994 waren da nämlich höchstens einmal ein oder zwei Krampusse, die im Ort ihr Unwesen trieben – aber es gab keinen organisierten Schaulauf. Wolfgang und vier Freunde von ihm beschlossen, das zu ändern. Sie besorgten sich Holzmasken und Felle und schlüpften am fünften Dezember in ihre teuflische Rolle. Das machte nicht nur den jungen Männern einen Heidenspaß, sondern auch den St. Johannerinnen und St. Johannern – viele waren sofort begeistert. 1997 wurde deshalb der Verein „Seinihonsa Koasapass“ gegründet. Er hat heute zirka 50 Mitglieder, etwa 30 davon sind aktiv als Krampus im Einsatz. Sie begleiten längst nicht mehr nur den Nikolaus im Ort, sondern treten ab Mitte November bei Krampusläufen in ganz Österreich auf. Außer im Jahr 2020, Corona verordnet auch den Krampussen eine Zwangspause. Nächstes Jahr werden sie es dafür wohl umso wilder treiben …
Beim Nikolauseinzug in St. Johann lädt die Koasapass inzwischen jedes Jahr einige auswärtige „Passen“ zur Verstärkung ein – mehr Teufel, mehr Spaß für die Zuschauer.
Kinderschreck
Dass Nikolaus, der gute Mann, überhaupt einen grimmigen Gegenspieler hat, liegt wohl in den Erziehungsmethoden im Mittelalter begründet. Die braven Kinder wurden beschenkt – aber was sollte man mit jenen tun, die keine guten Gaben verdient hatten? Für sie wurde einst der Krampus ins Leben gerufen, er ist auch unter den Namen Knecht Ruprecht oder „Klaubauf“ bekannt und hatte die Aufgabe, unartige Kinder mit seiner Rute zur Raison zu bringen. Diesen Erziehungsauftrag übernehmen die Krampusse heute nicht mehr, Wolfgang und seine Vereinskollegen sind keine Freunde „schwarzer Pädagogik“. Aber was ist es dann, warum setzt man sich als erwachsener Mann eine grausliche Maske auf und schlüpft in ein Teufelsfell?
„Zuerst amoi san des koane grauslichen, sondern geschnitzte Zirbenholzmasken, des is bei ins so festgelegt“, korrigiert mich Wolfgang und erklärt: „Die Faszination is für mi schon des Verkleiden, des Nit-Erkanntwerden, des Respekt-Bekommen.“ Damit ist er nicht alleine: In vielen Kulturen findet man den Brauch des Sich-Maskierens, der mit bestimmten Freiheiten und Lizenzen verbunden ist, eine vorübergehende Umkehrung vom Normalen zum Über-die-Stränge-Schlagen. Apropos schlagen: Darf der Krampus mit seiner Rute mehr als nur drohen? Er darf dem Publikum natürlich keine Verletzungen zufügen, sagt Wolfgang, und will es auch gar nicht. Meistens nicht. Und wenn es doch einmal vorkomme, dass Teufel und Zuschauer aneinandergeraten, gebe es zu meist eine Vorgeschichte, sagt Wolfgang.
„I geh jå nit zu an Wildfremden und schlåg mit der Rute auf ihn ein. Wenn i so wås måch, dann stimmt wås nit mit mir, då bin i im Verein am falschen Platz.“
Nicht wenige junge, männliche Erwachsene kommen zum Krampuslauf, um etwas zu erleben, vielleicht auch, um zu raufen, mit den Teufeln die Kräfte zu messen. Die Krampusse können und sollen solche Zuschauer nicht gänzlich übersehen. „Wenn ma dia ignoriert, gehns plärrender hoam“, sagt Wolfgang. Außerdem gehe es um die Ehre. „Die Kramperl tun ja nichts, die laufen eh davon“, dass lasse sich ein Krampus nicht gerne nachsagen, meint Wolfgang.
Natürlich gibt es aber einen Verhaltenskodex für die Mitglieder der Passen: Raufen, Prügeln und Schlagen sind verboten. Helfer, die immer in der Nähe sind, schreiten ein, wenn es doch einmal zu einer Auseinandersetzung kommt. Der Krampus wendet sich dann ab und geht weiter. „Aber ma kimmt jå immer z’rugg“, meint Wolfgang vielsagend und grinst, „man sieht sich immer zweimal, heißt es.“
Oft werden die Krampusse mit Schneebällen beworfen. „Schneebälle? Gerne!“, sagt Wolfgang dazu. „Wir låss‘n uns nix g’foin!“ Er lächelt herausfordernd.
Nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung werden die Gitter abgebaut. Wer dann noch bleibe, der wolle es wissen, so der 57-Jährige. Die Besucher, und die Krampusse auch …
2.500 Teufel auf einen Streich
Sechsmal organisierte die Seinihonsa Koasapass das große Perchtentreffen, zu dem sich 2.500 Perchten und Krampusse aus ganz Österreich und Südtirol einstellten. „Des Treffen wår des Mekka der Szene“ beschreibt es Wolfgang. Ziel und Zweck der Veranstaltung war der kulturelle Austausch untereinander, denn in jeder Region sind die Bräuche, die Gewänder unterschiedlich. Deshalb gab es immer auch eine Maskenausstellung, man redete viel über Ausstattungen und Traditionen. Das Event wurde schließlich so groß und die Auflagen wurden so umfassend, dass alles zusammen für den Verein nicht mehr zu stemmen war. Wolfgang erzählt mit Bedauern in der Stimme, aber auch er lebt ja nicht vom Krampus-Sein, sondern von seiner Firma: 2003 gründete er die „Tiroler Stickerei“ in St. Johann – ein Familienbetrieb im eigenen Haus, den Wolfgang gemeinsam mit seiner Frau Michaela und Tochter Jennifer führt. Die Firma spezialisierte sich auf das Besticken von Textilien und Leder. Das Motiv, für das man Wolfgang kennt, ist der Tiroler Adler mit dem Spurch „Dem Land Tirol die Treue“. Etwa hundert Krampuspassen in der Region und weit darüber hinaus lassen ihre Vereinsbekleidung von Wolfgang besticken.
Wie Rockstars
Den schönsten Auftritt erlebten Wolfgang und seine Krampus-Kollegen in Osttirol. In einem kleinen Ort herrschte an jenem Tag eine mystische Stimmung, es war nebelig und kalt. Nach ihrem Auftritt gab es für die Koasapass „Standing Ovations“ und begeisterte Sprechchöre, die „Koasapass, Koasapass“ anstimmten. Die St. Johanner fühlten sich wie Rockstars, erzählt Wolfgang.
Aber auch die Auftritte daheim sind immer wieder ein Erlebnis. Schon ab Oktober, November wird geprobt, neue Mitglieder werden eingeschult. Die Horde muss nämlich als geschlossene Gruppe zugleich in eine Richtung laufen, die „Pass“ muss zusammenpassen, erklärt Wolfgang, daher komme auch der Name.
Am fünften Dezember bauen die „Manda“ der Koasapass am Hauptplatz alles für die Veranstaltung auf. Später, wenn es dämmrig wird, strömen die ersten Leute in den Ort. „Wennst des siehst, dånn woaßt, dassd‘ wås richtig g’måcht håst“, sagt Wolfgang. Für ihn und seine Leute heißt es dann aber „fertigmachen“: Sie ziehen sich um, legen Maske und Rute griffbereit. Spätestens jetzt fange es bei ihm wie bei den meisten Mitgliedern an zu kribbeln, erzählt der Obmann. Lampenfieber stellt sich ein. Manche werden still und verziehen sich in ein Ecke, andere sind total aufgedreht, ihr Körper schüttet Adrenalin aus. Sie fangen an, mit ihren Kollegen spielerisch zu raufen, zu „eseln“ wie Wolfgang es nennt. Die Anspannung ist enorm. Dann, am Start, sammeln sich die Krampusse der Koasapass und knien sich nieder. „Des kennt ma auf da hålben Welt, wenn Schwarz-Rot kniet, is des die Koasapass.“ Dann ein Zeichen – ein Knaller oder ein Handsignal – und die Teufel stürmen voran. Wehe, wenn sie losgelassen …
Doris Martinz