Ist die ganze Pandemie eine Verschwörung und gar nicht so schlimm? Die diplomierte Intensivpflegefachkraft Martina Perterer legt ihre Sicht der Dinge dar.
Je länger die Epidemie andauert, desto öfter stoßen wir in den Medien, vor allem auf Social Media, auf Verschwörungstheorien und Aussagen von Corona-Skeptikern. So mancher mag sich fragen, ob nicht vielleicht doch etwas dran ist an der Kritik im Umgang mit der Pandemie? Opfern wir unsere persönliche Freiheit und vieles andere für ein „ungefährliches“ Virus? Ich sprach mit einer jungen Frau, die im Krankenhaus St. Johann auf der Corona-Intensivstation arbeitet. Martina Perterer, 35 Jahre alt, ist diplomierte Krankenschwester mit Sonderausbildung Intensivpflege. Sie erlebt Covid-19 täglich intensiv.
Ausnahmesituation
Martina wohnt gemeinsam mit ihrem Mann Marcel und den beiden Töchtern Anna, 5, und Laura, 9, in St. Johann. Sie besuchte in Schwaz die Krankenpflegerschule und absolvierte nach drei Jahren Berufspraxis den Intensivkurs in Innsbruck. Was fasziniert sie an der Arbeit auf der Intensivstation? „Du kennst die PatientInnen von Kopf bis Fuß, weißt alles von ihnen“, erklärt Martina. „Und was auch dazu gehört, ist die Betreuung der Angehörigen, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es ist ganz schlimm, dass das mit Corona jetzt nicht geht.“ Schon sind wir mittendrin im Thema. „Wenn ein Angehöriger „auf intensiv“ ist, ist das eine Ausnahmesituation für die ganze Familie“, sagt Martina. Sie und ihre KollegInnen können derzeit zwar mit den Angehörigen telefonieren, Besuche aber sind nicht möglich.
Arbeiten mit Kopfschmerzen
Das Krankenhaus St. Johann verfügt aktuell über acht Intensivbetten. Davon sind vier für den „gewöhnlichen“ Krankenhausablauf reserviert, sie werden nach Operationen oder bei Notfällen benötigt. Die anderen vier sind für Corona-PatientInnen vorgesehen. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs waren drei davon belegt.
Die Arbeit „intensiv“ ist für das Pflegepersonal immer anspruchsvoll und herausfordernd. Auf der Corona-Intensivstation ist sie mehr als das: „Ich jammere nicht, aber es ist wirklich belastend. Man trägt die FFP3 Maske, eine Schutzbrille, Haube, doppelt Handschuhe und den Schutzanzug“, schildert Martina. Man schwitze, könne aber nichts trinken, denn man gehe nur im Notfall aufs WC. „Das Aus- und neuerliche Einschleusen, also das Aus- und Anziehen, dauert nämlich lange, und ein Teil der Ausrüstung kann nur einmal getragen werden“, erklärt die St. Johannerin. Aufgrund des Flüssigkeitsmangels hat Martin während der Arbeit häufig Kopfschmerzen – ihren Kolleginnen geht es nicht anders.
Marsmenschen, die trösten
Im Dezember hat Martina ihr Beschäftigungsausmaß von 50 auf 75 Prozent erhöht, Kolleginnen aus anderen Abteilungen unterstützen das Intensiv-Team. In der gewohnten Teamstärke ist Corona nämlich nicht zu bewältigen. Werden Patienten von der „normalen“ Corona-Station auf „die Intensiv“ verlegt, bekommen sie zuerst eine Sauerstoffmaske, die das Atmen erleichtern soll. Das ist nicht so einfach, wie es klingt: „Die Patienten haben Atemnot und ringen bei jeder Bewegung nach Luft.“ Ältere Menschen nehmen die Maske und die gesamte Umgebung oft als beängstigend wahr. „Das ist kein Wunder“, erklärt Martina, „da sind die ganzen Geräte und Schläuche, und wir KrankenpflegerInnen schauen in unseren Schutzanzügen ja wie Marsmenschen aus.“ Natürlich tut das Team sein Möglichstes, um die Patienten zu beruhigen und trösten. Die Kommunikation ist mit Anzug und Maske aber nicht ganz einfach. „Man versteht sich gegenseitig schlecht. Wer Probleme mit dem Hören hat, kann auch nicht von den Lippen lesen, das macht es noch schwieriger.“
Nur dann, wenn auch die Sauerstoffmaske nicht mehr ausreicht, wird der Patient intubiert und dafür in den Tiefschlaf versetzt. Eine Maschine befördert dann Sauerstoff über einen Schlauch direkt in die Lunge. Dieser künstliche Tiefschlaf hat weitreichende Folgen für den Patienten. Er/Sie liegt bewegungslos im Bett und sämtliche Aktivitäten des täglichen Lebens werden nun von den Pflegefachkräften durchgeführt. Der Patient/die Patientin wird gewaschen, gepflegt, gelagert, erhält Nahrung, die Verdauung wird forciert, Medikamente werden verabreicht und vieles mehr. Durch die Bewegungslosigkeit wird die Muskulatur (auch die Atemmuskultur) nicht beansprucht, die Muskelmasse nimmt deutlich ab. Je länger beatmet wird, desto länger und schwieriger wird deshalb der Weg zurück zur eigenständigen Atmung. „Die Aufwachphase dauert lange, sie zieht sich über Tage und Wochen hin.“ Darum müssen manche Patienten bis zu sieben Wochen und länger auf der Intensivstation bleiben.
Was, wenn?
Wie gesagt, zum Zeitpunkt unseres Gesprächs waren drei von vier Corona-Intensivbetten belegt. Zu einer Zeit, in der die Krankenhäuser nach der „zweiten Welle“ ein wenig aufatmeten. Zu einer Zeit, in der wir schon seit Monaten keine Veranstaltungen besucht und kaum mehr Konakt mit Freunden hatten – außer digitalen. Was, wenn wir alle ein „normales“ Leben mit uneingeschränkten Kontakten geführt hätten? Dann hätten wir zigfach mehr Kontakte gehabt, zigfach mehr Infizierte und – auf jeden Fall zu wenige Intensivbetten.
Man müsste alle Operationen absagen, auch die Notfall-OPs zum Beispiel bei Herzinfarkten. Denn dafür braucht es nun einmal Intensivbetten. Es gäbe auch keine Hüft- oder Knie-Operationen. Beim Skifahren das Bein gebrochen? Sorry, wir können nicht operieren, kein Intensivbett frei. Ein Kind verletzt bei einem Verkehrsunfall? Und kein Bett frei? Niemand will dieses Szenario zu Ende denken. Fazit: Wir müssen dafür sorgen, dass die Krankenhauskapazitäten ausreichen. Und das können wir nur, indem wir uns nicht infizieren. Nicht alle zugleich.
Bilder im Kopf
Im Frühjahr, berichtete Martina, sei die Lage um einiges angespannter gewesen als jetzt. Die Angst, sich zu infizieren, ist jetzt weg. Denn die Ausrüstung schützt. „Wir haben eine ganz tolle Hygienefachkraft, der uns gut ausstattet, auch die Pflegedirektion versorgt uns mit Infos und allem, was wir brauchen. Wir sind ein starkes Team.“ Die Situation sei sehr dramatisch, aber sie sei zu bewältigen – wenn die Kontakte weiterhin reduziert werden.
Dass schwere Verläufe nur die älteren Menschen betreffen, ist übrigens nicht richtig. „Wir hatten auch schon Patienten mit Mitte 50 und ohne Vorerkrankungen bei uns auf der Intensiv“, so Martina. Der Durchschnitt liege bei zirka 70 Jahren.
Ihr schlimmster Corona-Moment, den Martina in ihrem ganzen Leben nie mehr vergessen wird, war jener, als sie im Fernsehen die Bilder aus Italien sah und sofort an „ihre“ Station dachte. Sie sind immer noch präsent. Zum Glück war bei uns die Situation zu keinem Zeitpunkt vergleichbar.
Es gibt aber auch schöne Corona-Erlebnisse. Zum Beispiel immer dann, wenn es ein Patient/eine Patientin mit schlechten Prognosen doch schafft, wenn er/sie die schlimmste Phase übersteht und auf die normale Station wechseln kann. Martina erinnert sich an eine ältere Frau mit einem schweren Verlauf, die wie eine Löwin kämpfte. Täglich kam ihre Familie vor das Fenster der Intensivstation, um ihr zuzuwinken und ihr Mut zu machen. „Das hat ihr ungemein viel Kraft gegeben, sie hat Corona besiegt“, sagt Martina, ihre Augen glänzen.
Was wünscht sich Martina für die Zukunft? „Dass die aktuelle Situation, die ganze Pandemie, ein begrenzter Zeitraum ist, der in die Geschichtsbücher eingeht und bald vorbei ist. Das wünsche ich mir vor allem für meine Kinder. Wir wollen wieder mit ihnen nach Erding zu den Wasserrutschen fahren, wir wollen sie wieder ohne Sorge mit den anderen spielen lassen. Wir alle brauchen wieder Normalität.“ Außerdem wünscht sie sich, dass die Pflege mehr Wertschätzung erfährt. „Wir sind keine Helden, man muss nicht applaudieren für uns. Wir sind ganz normale Menschen, die über Empathie und soziale Kompetenz verfügen, sowie über enormes Fachwissen und Fingerfertigkeit. Die Pflegefachkräfte sind diejenigen, die rund um die Uhr, auch an den Wochenenden, bei den Patienten stehen und schauen, dass sie adäquat versorgt werden. Wir brauchen eine Gesellschaft, die unsere Arbeit anerkennt und wertschätzt.“
Und was sagt man den Skeptikern? „Sie sollen einen Tag auf der Intensivstation verbringen, dann sind sie keine Skeptiker mehr.“ Sie denkt kurz nach und korrigiert sich. „Nein, eine Stunde reicht schon, dann werden sie wahrscheinlich fluchtartig den Raum verlassen.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Doris Martinz