Zur Auswahl an tollen Produkten aus der Region gibt es im „Naturtalent“ herzerwärmende Begegnungen.
Im Dezember, noch vor Weihnachten, schaue ich im Geschäft „Naturtalent“ in St. Johann vorbei. Es wurde am 15. August dieses Jahres eröffnet, das erzählt mir Thomas Dürmoser. Der 48-jährige Kitzbüheler erinnert sich noch ganz genau an die Feierlichkeiten, sie trafen nämlich mit seinem Geburtstag zusammen. „Gånz guat geht’s ma“, antwortet er auf meine Frage hin.
Um mich ein wenig mit den hilfreichen Kräften im „Naturtalent“ zu unterhalten, werde ich ins „Hinterstübchen“ gebeten, das direkt hinter dem Verkaufsraum liegt. Hier ist Thomas gerade dabei, Schuhputzschwämme in die durchsichtigen, glänzenden Säckchen zu verpacken, in denen sie vorne im Geschäft dann verkauft werden. Wenn gerade keine Kunden da sind, arbeiten die Naturtalente Aufträge ab, die die Lebenshilfe von Firmenkunden bekommt. Thomas arbeitet gerne mit. Er ist während des Gesprächs zwar eher ruhig und zurückhaltend, vorne im Geschäft jedoch liebt er es, die Kasse zu managen.
Die Arbeit lenkt ab und schenkt Sinn
Auch Christine Wiedmayr, 39 Jahre alt, bringt sich gerne ein. Sie wohne zuhause bei ihrem Papa, erzählt sie, und dass ihre Mama vor einem Jahr gestorben sei. Wirkte sie zuvor noch ein wenig aufgedreht vor Aufregung, übermannt sie nun unvermittelt Traurigkeit. Sie habe die Mama vor Weihnachten gar nicht mehr besuchen können sagt sie, ihre Augen schimmern. „Aber wås meinst, wie die Mama stolz is auf di, dass du so toll mitarbeitest im Geschäft?“, Assistentin und Behindertenbegleiterin Sabina
Herfurtner hilft Christine über den Kummer hinweg.
Valentin Gebert, 23 Jahre alt, lauscht unserem Gespräch. Er hält sich lieber im Hintergrund und weist mich nur auf die Küche hin, denn das ist sein „Revier“. Wenn mittags das Essen kommt, nimmt er es entgegen und hilft, die Küche sauber zu halten.
Thomas und Christine haben im Raum hinter dem Geschäftslokal viele andere Sachen zu erledigen: Sie füllen Honig ab, den besten Honig überhaupt, wie Thomas weiß, schließlich kommt er aus Kitzbühel, wie er selber. Auch Propolis-Salbe wird in Tegel gefüllt und im Geschäft verkauft, sie macht trockene Hände geschmeidig und hilft bei Hautrötungen.
Frische Pasta – ein Verkaufshit
Da kommt Stefan ums Eck, er hat für mich Kaffee gemacht und drückt mir die Tasse in die Hand. Erwartungsvoll strahlt er mich an, er ist bereit für weitere Aufträge. Der 29-jährige Ellmauer ist zwar nicht unbedingt groß an Wuchs, dafür kräftig gebaut und voller Elan. Und vor allem hilfsbereit und motiviert bis in die Zehenspitzen. Er beschreibt mir in seinem etwas eigenwilligen Sprachstil, wie er und eine KollegInnen Wachstücher herstellen. Ich kenne diese Tücher, sie sind eine umweltfreundliche Alternative zur Plastikfolie und halten Käse, Wurst, Essensreste und Co frisch – und sind natürlich im „Naturtalent“ zu haben (Tipp!). Stefan ist in seiner Begeisterung kaum zu bremsen, sehr bald kann ich seinen Ausführungen auch mühelos folgen.
Christine hört interessiert zu und meldet sich zwischendurch immer wieder zu Wort. Sie erzählt, dass sie im Geschäft am liebsten das Brot für die KundInnen einpackt. Semmeln, Laugengebäck und Co werden von der „Brotkultur“ in Fieberbrunn angeliefert. Stefan fallen die Geschenkkörbe ein, die das „Naturtalent“ das ganze Jahr über anbietet.
„Und was bekommen wir jeden Donnerstag?“, fragt Sabina in die Runde. Sofort schießt es aus Stefan heraus: „Nudeln“. Die frische Pasta kommt von der Manufaktur in Erl – frische Ravioli in drei verschiedenen Sorten, in Holzschalen abgefüllt, ein absoluter Verkaufshit. „Manche Kundinnen und Kunden kommen teilweise nur wegen der Nudeln“, weiß Sabina.
In den wenigen Monaten seit seinem Bestehen hat sich das „Naturtalent“ einen kleinen Stammkundenkreis aufgebaut. Markus Kurz, der am Tag unseres Gesprächs nicht im Dienst ist, bietet sich den BesucherInnen gerne als Einkaufswagen an und bringt in seinem Rollstuhl die ausgewählte Ware zur Kasse. Auch Erna Zott ist manchmal im Einsatz, wenn andere Teammitglieder ausfallen. Sie alle genießen es, im „Naturtalent“ anderen Menschen zu helfen, ihren Beitrag zu leisten.
Das Miteinander leben
Christine erzählt, dass sie ihrem Papa manchmal Schokolade aus dem „Naturtalent“ mitbringt. Ihre Augen leuchten vergnügt, doch schon im nächsten Moment fällt ihr wieder ihre Mutter ein, die Fröhlichkeit ist dahin. Stefans Mutter und Vater sind verstorben, wie er berichtet. „Engel fliegen“, sagt Christine versonnen.
„Guat ha, Kaffee?“, fragt mich Stefan. Er schmeckt wunderbar.
Als Christine von ihren Ausflügen im Zuge der „mobilen Begleitung“ spricht, vom Eisessen und einem Besuch im Familienland, erzählt Stefan gleich noch vom Reiten und davon, wie er seine Tage verbringt, wenn er nicht arbeitet. Er ist ein aktiver junger Mann und erklärt mir anschließend, wie er das Holz spaltet für die Anzünder, die die Naturtalente im Geschäft anbieten. Er läuft und bringt ein Päckchen, drückt es mir mit einem breiten Lächeln in die Hand.
Sabina zählt weitere Produkte auf, die im „Naturtalent“ zu finden sind: Käse, Gemüse, Fleisch, Ziegenprodukte aus Oberndorf, Eier aus Kössen, Speck, Müsli, Körperpflegeprodukte und vieles mehr. Als ich ankündige, im Anschluss an unser Gespräch eine kleine Shoppingtour unternehmen zu wollen, ernte ich jubelnde Zustimmung.
Einfach vorbeischauen!
Thomas, Christine und Stefan haben längst ihre Scheu abgelegt und freuen sich über jede und jeden, der zu ihnen ins Geschäft kommt. Mittlerweile haben sie auch einige Routine gewonnen und sind schneller geworden beim Bedienen, sagt Sabina nicht ohne Stolz. Jetzt liegt es an den Menschen in der Region, ihrerseits etwaige Berührungsängste zu überwinden und einfach einmal im „Naturtalent“ vorbeizuschauen. Der vielen regionalen Produkte wegen und auch für Thomas, Christine, Stefan und ihre KollegInnen. Sie sind vielleicht ein wenig anders – und doch vollkommen gleich wie wir alle. „Wir haben auch schon Kunden gehabt, bei denen wir uns gedacht haben: Was ist den das für einer?“, erzählt Sabina. Eigentlich sei es traurig, dass es in einer Gesellschaft wie der unsrigen notwendig ist, über die Wichtigkeit gegenseitiger Akzeptanz zu schreiben, meint sie. Es sollte das Selbstverständlichste der Welt sein, für uns alle. Ein Kind sollte sich heute nicht unsicher an die Mama drücken, wenn es einem Menschen im Rollstuhl begegnet oder wenn es auf einen Stefan trifft, der vor lauter Eifer beim Erzählen die Wörter auslässt. Es gibt kein „normal“, es gibt nur das Leben mit seiner ganzen Vielfalt.
Ich entscheide mich für eine Topfengolatsche, nehme einen Beutel knuspriges Müsli und die Anzünder, natürlich. Stefan tippt meine Einkäufe konzentriert in die Kasse. Er will alles richtig machen. „Wieder kommen?“, fragt er. Klar komme ich wieder. Und viele andere schauen hoffentlich auch vorbei. Denn das macht die Menschen hier glücklich, und Glück ist bekanntlich ansteckend im positiven Sinne …
Das „Naturtalent“ in der Pass-Thurn-Straße 11 in St. Johann (gegenüber Trop) ist von Montag bis Freitag von 7 bis 17 Uhr und am Samstag von 8 bis 11 Uhr geöffnet.
Doris Martinz