Thomas Crabtree verstärkt seit Kurzem das Team des Ortsmarketings. Warum er seine Zelte in St. Johann aufgeschlagen hat, was er bei uns liebt und was ihm fehlt.

Mein erster Eindruck von Thomas: absolut „charming“. Ich erlebe den 38-Jährigen bei unserem Gespräch als charmant, höflich und bescheiden – und er spricht einen hinreißenden Akzent. Keine Frage, er beherrscht die deutsche Sprache sehr gut. Aber wenn er zum Beispiel „ich“ sagt, wird das „ch“ manchmal zum „k“, das „ich“ zum „ik“, und das macht ihn total sympathisch. Seine blauen Augen und das charmante Lächeln tun ihr Übriges …
Wie gesagt, sein Deutsch ist sehr gut. Wiewohl er selbst sagt, dass der Wechsel zwischen dem „Du“ und dem „Sie“ in der persönlichen Ansprache für ihn schwierig sei – die Höflichkeitsform gibt es im Englischen ja nicht. „Jetzt arbeite ich in einem neuen Büro und wusste nicht, ob „Du“ oder „Sie“, wenn ich reinkomme“, erinnert er sich lachend an seinen ersten Tag im Team des Ortsmarketings. Auch die Artikel, die jedes Hauptwort im Deutschen begleiten, sind immer wieder eine Herausforderung. „Warum nicht einfach „the“ anstatt „der“, „die“ oder „das“?“ Aber auch diese Hürde meistert Thomas gut, finde ich.

Ein Unfall bringt neue Freunde

Thomas ist in England geboren, verbrachte aber die Zeit zwischen seinem siebten und zwölften Lebensjahr in Washington D.C. (USA), wo sein Vater an der Botschaft arbeitete. Später kehrte die Familie wieder nach England zurück. Kaum mit der Schule fertig, beschloss Thomas, in Kanada die Skilehrerprüfung zu absolvieren. Wie das? Wie kommt ein Engländer zum Skifahren? Dazu gibt es natürlich eine Geschichte: Die erste Frau von Thomas’ Vater verstarb früh. Sie war Skilehrerin in Schottland und öfter auch in unserer Region zu Gast gewesen – gemeinsam mit Thomas’ Vater – selbst begeisterter Skifahrer. Schon als Kind besuchte Thomas deshalb mit seiner Familie immer wieder unsere Gegend. Einmal kam es dabei an der Grenze zwischen Unterwössen und Schleching zu einem Unfall. Eine Familie aus Freising, die in Unterwössen einen Wohnsitz hat, kam den Engländern zu Hilfe – daraus entwickelte sich eine wunderbare Freundschaft. Man besuchte sich gegenseitig, Thomas lernte in Reit im Winkl das Skifahren. „Ich stehe immer noch in Kontakt mit dieser Familie“, sagt Thomas lächelnd. Auf jeden Fall festigten die Aufenthalte in Bayern die Liebe zu den „Brettl’n“, das Resultat war der Skilehrerkurs in Kanada. Als „Skiing Instructor“ brachte Thomas danach busweise SchülerInnen nach St. Johann und Kitzbühel zum Skifahren, er reiste mit ihnen nach Österreich und wieder zurück nach England. Nach einigen Jahren jedoch war er das Hin und Her leid, er blieb in der Region und wurde in einem Reisebüro in Zell am See Reiseleiter. „Vor fünfzehn Jahren war das.“ Über einen anderen Job im Backoffice kam er zu Thomson Reisen nach St. Johann und damit zur TUI, wo er mehr als neun Jahre lang beschäftigt war. Schließlich aber war er bereit für eine neue Herausforderung in Richtung Projekt- und Eventmanagement – und fand sie heuer beim Ortsmarketing in St. Johann.

Giulia oder Julia?

Die Entscheidung für den Jobwechsel hängt auch mit einem wesentlichen Ereignis in Thomas’ Leben zusammen – mit der Geburt seiner Tochter Giulia. Da er jetzt statt 40 „nur“ 32 Stunden in der Woche arbeitet, hat Thomas jetzt mehr Zeit für seinen kleinen Liebling – seine Frau Heike und er können sich die Betreuung besser einteilen. „Beim Ortsmarketing denkt man da ganz modern“, sagt Thomas. „Wenn es machbar ist, wird der Job an die Familiensituation angepasst.“
Dass man den Namen der dreieinhalbjährigen Giulia auf italienische Weise schreibt, ist übrigens kein Zufall, sondern ein Kompromiss: „Ich wollte, dass man Giulia und nicht Julia sagt, es sollte englisch klingen“, gesteht Thomas mit einem entschuldigenden Lächeln. Heike, Thomas’ Frau, arbeitet in der Gemeinde St. Johann und ist als Juristin für Rechtliches, Flächenwidmungs- und Bebauungspläne zuständig.

Liebe auf den ersten Knödel

Heike und Thomas lernten sich übrigens vor einigen Jahren beim „Knödeltisch“ kennen und lieben. Thomas ließ sich die runden Köstlichkeiten mit Freunden vom Tennisclub schmecken; Heike war aus der Steiermark angereist, ebenfalls, um beim Knödeltisch mit Freunden zu feiern. Als sie die Telefonnummern austauschten und Heike Thomas erklärte, dass sie aus Graz stamme, rechnete jener mit zwei Stunden Autofahrt, um dorthin zu kommen. Dass es in Wirklichkeit vier sind, „hat uns zwei interessante erste Jahre beschert“, erzählt Thomas. Ja, Heike sei „eine Steirerin“, sagt er und rollt das „R“ kunstvoll wie Asiaten ihre Frühlingsrollen.
Nach zwei Jahren stand die Entscheidung an, wo sich das Paar gemeinsam niederlassen würde. Graz, England oder St. Johann? Die Wahl fiel auf letzteres. „Weil die Lebensqualität hier einfach super ist. Weil man im Winter Skifahren kann, und im Sommer genießt man beim Wandern die Sonne auf dem Berg. St. Johann ist ein lebendiger Ort, ein perfekter Mix-Match zwischen Wohnen und Urlaub“, erklärt Thomas, sichtbar begeistert von seiner Wahlheimat. Traumhaft sei der Ort für ihn auch als enthusiastischer Mountainbiker und Rennradfahrer. Auch Heike ist sehr sportlich und hat in St. Johann ihr Glück gefunden.

Kulinarisches Heimweh

Was Thomas in der Region besonders gefällt, ist die Tatsache, dass die Einheimischen zu gewissen Anlässen ihre Tracht anziehen, dass Lederhose und Dirndlkleid bei vielen zur „Standardausrüstung“ gehören. In England gibt es das so nicht. Für Thomas ist die Tracht ein ungemein verbindendes Element: „Es gibt ja Kulturunterschiede, es gibt Trennendes, aber wenn alle Tracht tragen, dann eint das die Menschen.“ Es fasziniert ihn, dass es dabei auch regio­nale Unterschiede gibt. „Ich finde das super, da ist viel Schönheit“, bringt er es auf den Punkt.
Bei aller Liebe zur Region und zu Österreich gibt es natürlich auch ein paar Dinge, die Thomas bei uns vermisst. Das Essen sei es nicht, sagt er zuerst, er genieße die österreichische Küche und vor allem Heikes Kuchen: „Ich bin sehr stolz, dass meine Frau produziert so leckere Kuchen“, schwärmt Thomas. „Fish and Chips“, Fisch und Pommes Frites, das englische „Nationalgericht“, fehlt ihm bei uns nicht. Und den Essig, den die Engländer gefühlt über jedes Gericht geben, geht ihm jener auch nicht ab? Thomas macht große Augen, anscheinend habe ich einen Nerv getroffen. „Aaah, den englischen Essig, wir brauchen das hier, den Malzessig kriegt man nicht in Österreich“, bestätigt er. Der Malzessig schmecke anders als alle anderen Essigsorten, und er fehle ihm in der Tat sehr, gesteht Thomas. Genauso wie „Branston Pickle“, eingelegtes Gemüse in einer Sauce aus Essig mit Äpfeln und Tomaten, abgeschmeckt mit verschiedenen Gewürzen. Und die „Salad Cream“, die vermisst Thomas bei uns auch. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Salatdressing und Majonäse, Thomas hat gleich eine Empfehlung für mich parat: Eine rote Zwiebel reiben, mit geriebenem Käse und der „Salad Cream“ vermischen und ein Sandwich damit füllen. Zugegeben: Das klingt etwas … ungewohnt, aber ich werde es probieren!

Ein eigenes Pub wäre schön

Auf jeden Fall hat das Gespräch über Salad Cream und Branston Pickle das Heimweh nach dem Ale der englischen Brauereien geweckt. Thomas sagt, er trinke gerne auch das „Bier von hier“, hin und wieder fehle ihm aber das Ale, direkt aus dem Hahn in seinem Lieblingspub gezapft. Und da sind wir schon beim nächsten Punkt: dem Pub. Thomas seufzt tief. Das typische englische Pub, eine Mischung aus Bar und Restaurant, vermisse er gerade im Winter, wenn es kalt ist. Zwar sei es dann auch in England kalt und nass, aber wenn man dort in ein Pub gehe, sich ein Ale und „Steak mit Kidney Pie und Chips“ bestelle und dabei mit den Freunden vor einem warmen Ofen sitze, dann wärme das von innen heraus. „Wenn ich könnte, würde ich ein kleines Pub in St. Johann aufmachen“, sagt Thomas lächelnd. In diesem Pub könnte er seine Freunde bewirten. Viele von ihnen kommen aus fernen Ländern wie Kolumbien, Schweden oder Italien und haben sich – wie er selbst – in St. Johann niedergelassen. Thomas findet diese kulturelle Durchmischung super, weil sie den Ort bunt und vielfältig macht. Auch das ist etwas, das er an St. Johann sehr mag. Und die „Pickles“? Die bringen Freunde aus England mit.
Alright!

Doris Martinz