In Going blüht die Zukunft – und zwar auf Marias und Haralds Naturschutzhof.

Kein englischer Rasen weit und breit. Keine mit dem Lineal gezogenen Beetumrandungen. Keine adrett gestutzten Buchsbäume im weißen Kiesbett. Dafür ein Buschen wild wuchernde Möhren, eine Wiese voller verblühter, trockener Blüten, die im Wind rascheln, eine geheimnisvolle Mauer mit vielen Ritzen und Höhlen und ein Teich, auf dessen Wasseroberfläche hunderte Wasserläufer hin und her flitzen. Überall krabbelt, wuselt und brummt es. „Paradiesisch!“, findet es Maria Schmidt. Sie und ihr Mann Harald Stoiber betreiben den „Neu-Fritzen“-Hof in Going als Naturschutzhof – einen Ort, an dem neue Lebensräume für Pflanzen und Tiere entstehen, erhalten und geschützt werden. Maria und Harald sind also Bauern – wenn auch recht ungewöhnliche.
Zuletzt hat Marias Uroma auf dem „Neu-Fritzen“-Hof (in Going) Landwirtschaft betrieben, danach wurden die Felder verpachtet. Sie selbst studierte in Wien Publizistik und Kommunikationswissenschaft und lernte in der Hauptstadt ihren Mann Harald kennen – er studierte Politikwissenschaft. Geografisch fern von zuhause, geistig noch weiter entfernt von der Landwirtschaft, verbrachte Maria als Sennerin einen Sommer auf der Alm – ein Ferialjob und Auslöser für ein „Aha-Erlebnis“: „Die Zeit auf der Alm hat etwas in mir bewegt, das Ursprüngliche und Reduzierte dort oben tat mir gut.“ Neben dem Studium absolvierte sie deshalb die Landwirtschaftsschule. Just zu jener Zeit lief auf dem Hof von Marias Vorfahren die Pacht aus, das Bauernhaus wurde frei. Maria und Harald beschlossen, ihre Zelte in Wien abzubrechen und sich auf ein unerhörtes Abenteuer als Landwirte auf „Neu-Fritzen“ einzulassen. Als Quereinsteiger, ohne jede Erfahrung, aber auch gänzlich unvorbelastet.

Dass die Bewirtschaftung der knapp zwei Hektar nicht reichen würde, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, war von Anfang an klar. Mittlerweile sind beide in der Stadtgemeinde Kufstein beschäftigt: Harald in der Abteilung Kinder, Jugend und Familie und Maria in der Abteilung Umwelt und Nachhaltigkeit. Das ist mehr als passend, denn von Anfang an waren Nachhaltigkeit und Begriffe wie Permakultur wichtige Themen für die Neo-Landwirte. „Förderungen gab und gibt es unter zwei Hektar Fläche ohnehin keine, also sind wir vollkommen frei, in dem, was wir tun“, erklärt Maria. „Uns war aber wichtig, einen Kreislauf zusammenzubringen – dass wir das, was die Tiere brauchen, selber herstellen“, so Harald. Die Tiere, das sind (Stand August) 15 Hühner plus ein Gockel, sieben Schafe und drei Katzen. Die Hennen liefern ein paar Eier, die Schafe Wolle und Dünger, die Katzen Liebe und Zuneigung.
Die Tiere sind aber nur ein Teil des Gesamtkonzepts. Ein weiterer Teil sind unterschiedliche Felder wie eine Blumenwiese, eine Mähwiese und eine Weide. Als Maria und Harald vor acht Jahren zum ersten Mal die landwirtschaftlichen Flächen inspizierten, waren die Felder stark überdüngt, außer jene des Hahnenfußes war kaum eine Blüte zu finden. Das sollte sich ändern. Seit diesem Zeitpunkt wurde nicht mehr gedüngt, stattdessen entstanden – in Kooperation mit der Tiroler Umweltanwaltschaft – verschiedene Versuchsflächen. Auf der Blumenwiese leuchten inzwischen wieder Witwenblumen, Margeriten, Glockenblumen, Lichtnelken, Flockenblumen und mehr. Mit den Blumen kamen auch die Insekten wieder zurück. Schmetterlinge, Bienen, Hummeln und Co finden hier ein reiches Nahrungsangebot. Und genau das ist es, was die beiden „Neo-Landwirte“ wollen: Ein funktionierendes, gesundes Ökosystem, das Fauna und Flora einschließt.

„Batman“ ist eingezogen

Nicht zu düngen, reicht aber nicht, um die Blüten zurück auf die Wiese zu bringen. Auch beim Mähen gilt es einige Punkte zu beachten: den idealen Zeitpunkt zum Beispiel. „Unsere erste Mahd ist gegen Ende Juli. Bis dahin haben die Pflanzen ausgesät, und die Bodenbrüter sind flügge“, erklärt Maria. Bodenbrüter? Gibt es bei uns tatsächlich noch Vögel, die am Boden brüten? Sie seien wieder gekommen, erzählt Harald, vor allem die Goldammern. Den Neuntöter zieht es hingegen in die Wildhecke, die das Grundstück umrandet – sie ist ein weiterer Teil des Gesamtkonzepts. Der Neuntöter gehört – wie die Goldammer – zu den stark gefährdeten Vogelarten, er ist bei uns kaum noch anzutreffen. Maria und Harald haben für die Hecke zirka 1000 Sträucher mit Schwerpunkt Dornen gepflanzt, um für ihn die perfekte Umgebung zu schaffen. Hier kann der Vogel mit dem krassen Namen seine Beute (Würmer und Insekten) auf den Dornen für den späteren Genuss aufspießen, er nutzt die Hecke quasi als Haus mit Vorratskammer. So verschreckend sein Name, so hübsch und verwegen ist das Äußere des Neuntöters: „Ich finde, er schaut mit seiner schwarzen Augenbinde aus wie Batman“, lacht Maria.

Weitere Teile des Konzepts sind eine Trockensteinmauer, die Amphibien und allerlei anderem Getier Unterschlupf bietet, sowie der Naturteich – ein Feuchtbiotop, das im Sommer Schauplatz von wunderbaren Froschkonzerten ist. Der gesamte Naturschutzhof ist darauf ausgerichtet, Biodiversität zu erhalten und zu erweitern. „Unser Ertrag ist die Artenvielfalt“, sagt Harald. Das Summen und Brummen, das Wuseln und Quaken macht ihn und Maria glücklich.

Tipps zum Mähen

Aber zurück zum Mähen: Nicht nur der jahreszeitliche Zeitpunkt ist wichtig, auch die Tageszeit ist relevant: „Um die Mittagszeit sind viele Insekten aktiv und flüchten, wenn der Mäher kommt. Apropos flüchten: Es mache Sinn, in der Mitte des Feldes mit dem Mähen zu beginnen und von innen Kreise nach außen zu ziehen – so können sich die Tiere in Sicherheit bringen. Es sollte außerdem immer ein Stück Wiese stehenbleiben, das ihnen Zuflucht bietet. Die Mahdhöhe liegt am „Neu-Fritzen-Hof“ bei 14 Zentimeter, so bleiben auch Frösche und Amphibien geschützt. „Mit konventionellem Vorgehen kann bis zu 80 Prozent des Insektenbestands verlorengehen“, weiß Maria. Sie und Harald kommen auf etwa zwanzig Prozent. „Wir haben Hühner, Schafe und viele Insekten. Es wäre schön, wenn es für die Insekten eine Förderung geben würde“, meint Maria scherzhaft.
Was haben sie und Harald davon, dass auf ihren Feldern mehr Insekten herumschwirren als auf anderen? Viele Insekten bedeuten reiches Futterangebot für Vögel. Vögel wiederum sind ein sehr wichtiger Bestandteil des Ökosystems. Auf dem „Neu-Fritzen“-Hof in Going blüht also nicht weniger als ein Beispiel dafür, wie wir aus der Diversitätskrise, aus der Klima- und Umweltkrise herauskommen könnten. Dass Bauern mit 10 Hektar und mehr landwirtschaftlicher Fläche nicht so wirtschaften können, wie sie beide es tun, ist Maria und Harald klar. Aber jeder Landwirt/jede Landwirtin und jeder Gartenbesitzer/jede Gartenbesitzerin kann einen Beitrag dazu leisten, das Gleichgewicht in der Natur wieder zu stärken. Anregungen und In­spiration dürfen sich alle gerne im „Artenreich“ in Going holen.

Doris Martinz

www.going-artenreich.at