Der neue ärztliche Direktor des Krankenhauses St. Johann, Primar Dr. Bruno Reitter, über das Glück, Arzt zu sein, über Demut und paradoxe Situationen.

Er ist kein Unbekannter am Krankenhaus St. Johann, immerhin leitet er als Primar seit 14 Jahren die Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin und war in den letzten zehn Jahren stellvertretender ärztlicher Direktor. Seit wenigen Wochen nimmt Primar Dr. Bruno Reitter nun – in Nachfolge von Primar Dr. Norbert Kaiser – selbst die Spitze in der Hierarchie des Hauses ein. Die Position an sich ist dabei für ihn nicht das Wichtigste: „Mir geht es um die Sache!“, sagt Primar Dr. Reitter nicht ohne Leidenschaft. Zum Abschluss seines Berufslebens, mit all den Schwierigkeiten der aktuellen Situation, sieht er die Bestellung zum ärztlichen Direktor aber schon als Auszeichnung. Er habe das Glück, so der 62-Jährige, dass man sich in der kollegialen Führung (zu der auch Verwaltungsdirektor Dipl. Kh.-Bw. Christoph Pfluger, MBA und Pflegedirektor Harald Sinnhuber, MSc. (NM), zählen) sehr gut verstehe. „Wir treffen uns täglich und stimmen uns ab, das funktioniert ausgezeichnet. Auch das Team meiner Abteilung, die Ärzte und das Pflegepersonal, stehen hinter mir und spielen mich bis zu einem gewissen Grad frei. Ansonsten hätte ich diese Aufgabe gar nicht übernommen.“ Aktuell sei die Besetzung zweier neuer Primariate zu begleiten – jenes der Radiologie und nächstes Jahr auch jenes der Inneren Medizin. „Da werden Meilensteine gesetzt, das ist natürlich spannend!“

Ein Primar, viele Funktionen

Auch als ärztlicher Direktor sei er aber vor allem eines: Arzt mit Leib und Seele, betont Dr. Reitter. Er habe in den letzten Jahren gemeinsam mit seinem Team in St. Johann eine kleine, aber feine Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin aufgebaut, erzählt er. Stolz ist er darauf, dass seine Abteilung den Preis als beste Ausbildungsabteilung in ganz Tirol mit der „Idealnote sehr gut“ erhalten hat. „Da sind meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorbildlich!“ Zusätzlich habe er aber auch noch viele Nebenjobs: „Ich bin – was bin ich denn alles? – OP-Chef, Leiter des Notarztstützpunkts, Palliativ-Schirmherr, Stellvertreter, …“, zählt er auf und hält kurz inne: „Nein, letzteres bin ich ja nicht mehr“, scherzt er und lacht. Er habe von Dr. Kaiser ein wohlgeordnetes Haus übernommen, auf diese Feststellung legt er Wert.
Jeden Tag pendelt der Ehemann und Vater von drei erwachsenen Kindern von seinem Wohnort in Ebbs nach St. Johann. „In dreißig Minuten bin ich da, in der Früh ist ja noch kein Verkehr.“ Er steht um fünf Uhr morgens auf, gegen 17 oder 18 Uhr abends geht es wieder ab nach Hause. Dazwischen liegen lange Stunden durchgehender Arbeit – ohne Mittagspause, ohne Kaffeepause, ohne irgendeine Pause. „Mir ist wichtiger, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Ruhezeiten einhalten können“, sagt er. Corona habe einige Abläufe in seiner Abteilung gestört, jene gelte es nun wieder aufzubauen. Wobei die Pandemie noch nicht vorüber ist, wie er betont: „Wenn die Leute meinen, dass Corona vorbei ist, dann täuschen sie sich schwer. Wir haben so viele Patienten im Haus, wie noch nie.“ Belastet seien aktuell (Stand Anfang März) vor allem die Normalstationen, weniger die Intensivstation. „Recht viel darf nicht mehr kommen, denn sonst müssen wir wieder was unternehmen.“ Jede Welle habe ihre Eigenheiten. Neu sei, dass nun so viele MitarbeiterInnen betroffen seien und ausfallen.
Im Allgemeinen sei das Krankenhaus St. Johann aber gut durch die Krise gekommen – auch dank der guten Arbeit des Gemeindeverbands. In St. Johann wurde im Mai 2021 eine eigene Corona-Intensivstation in Betrieb genommen – die einzige in ganz Tirol. „Das hat die Abläufe sehr erleichtert. Aber die Krankheitsverläufe sind schon sehr schwer“, sagt der Dr. Reitter mit Betroffenheit in der Stimme. Als er an die Bilder in den letzten beiden Jahren denkt, schüttelt selbst der erfahrene Intensivmediziner den Kopf. „Es sterben nach wie vor täglich 30 bis 40 Leute in Österreich an Corona. Es wird jetzt verharmlost, es ist aber nicht so.“ Für den kommenden Herbst sei man auf jeden Fall gut aufgestellt – was immer er auch bringen mag.

Der Patient im Mittelpunkt

Auch als ärztlicher Direktor steht Primar Dr. Reitter täglich im Operationssaal. „Die PatientInnen stehen an erster Stelle. Sie müssen gut versorgt sein, dafür tue ich alles.“ Mit Disziplin und guter Organisation schafft er es, die Verwaltung und seinen ursprünglichen Beruf unter einen Hut zu bringen. Es ist ihm wichtig, für das Team in seiner Abteilung da zu sein. Schwierig sei es in der heutigen Zeit, gute MitarbeiterInnen zu bekommen. Die kollegiale Führung setze aber alles daran, im Haus gute Bedingungen für die Teams zu schaffen, damit die Leute gerne kommen. Der aktuelle Mangel an Pflegepersonal sollte mit Ende des Jahres behoben sein – dank der Absolventen der Pflegeschule, die unbesetzte Stellen füllen werden und dank des Gemeindeverbands, der den Lohn des Pflegepersonals erhöht und an die Salzburger Verhältnisse angeglichen hat.

Lebensretter

Primar Dr. Reitter ist Arzt mit Leib und Seele, wie während des Gesprächs offensichtlich wird, und wie er selbst ja auch betont. Wie ist er ursprünglich auf diese Berufswahl gekommen? Er überlegt kurz und erzählt dann, er komme aus einem katholischen Haus, die Nächstenliebe sei wohl immer ein Thema gewesen. Er habe schon früh etwas Soziales machen wollen, studierte schließlich in Innsbruck und wurde der erste Ebbser im Arztkittel. „Das war schon schön. Ich könnte mir keinen anderen Beruf vorstellen. Wenn ich im OP stehe und den Menschen, vor allem den älteren, helfen kann, dann gibt es für mich nichts Schöneres. Gerade in der Anästhesie handelt man ja unmittelbar und rettet damit Leben, das gibt mir auch nach vierzig Jahren immer noch ein gutes Gefühl.“ Freilich bringe der Beruf auch viele belastende Situationen und Erlebnisse mit sich. Als Intensivmediziner steht Dr. Reitter quasi ja „an vorderster Front“. Wie geht er damit um? „Den Umgang mit schwierigen Situationen lernt man“, erklärt der Mediziner. Man müsse sich distanzieren, zugleich aber auch aufpassen, dass man nicht abstumpfe. „Demütig muss man halt sein, vor allem als Anästhesist, der Mensch hat nicht alles in der Hand.“ Die Verantwortung, die er als Arzt trage, wiege schwer: „Oft muss man innerhalb Sekunden Entscheidungen von enormer Tragweite treffen. Das kann belastend sein, das ist das Schwierige. Zugleich bleibt das Fach aber immer interessant und herausfordernd.“ Als Politiker­ oder Netzwerker sieht sich Dr. Reitter aber nicht: „Ich mag das Wort Netzwerker überhaupt nicht. Ich habe mir immer alles selbst erarbeitet“, sagt er mit Nachdruck und fügt dann doch noch hinzu: „Mit diesem Begriff kann man natürlich aber auch viel Positives verbinden.“

Keine Unterschiede

Wir kommen noch einmal auf Corona zurück: Auf der Intensivstation habe das Team es meist mit Ungeimpften zu tun, so Dr. Reitter. Dennoch sei es ihm noch nie in den Sinn gekommen, ihnen zu sagen, dass sie sich besser hätten impfen lassen sollen. Er macht keinen Unterschied zwischen „geimpft“ oder „ungeimpft“, zwischen Frau und Mann oder verschiedenen Ethnien.
Neu ist für ihn, dass er in den letzten beiden Jahren als Mediziner so oft mit Anzeigen bedroht wurde wie nie zuvor. Corona verändere nicht nur die PatientInnen, sondern auch ihre (gesunden) Angehörigen. „Trotzdem darf man sich nicht drausbringen lassen, die meisten Leute wissen zu schätzen, was man tut.“ Obwohl die Pandemie ihm das Leben nicht gerade einfacher macht, bleibt Primar Dr. Reitter in dieser Hinsicht völlig neutral. Er erinnert sich allerdings an eine Online-Sitzung mit allen Intensivstationen im Land, an der auch Landesrätin Annette Leja teilnahm. „Das war damals gerade am Höhepunkt der Welle, und wir wussten nicht, wohin mit den Patienten. Wir beratschlagten, wie wir uns gegenseitig helfen können, als wir durch das Mikrofon der Frau Landesrätin die Leute am Landhausplatz hörten, die gegen die Maßnahmen oder gegen die Impfpflicht demonstrierten. Das ist paradox, da fragt man sich dann schon, …“
Dr. Reitter setzt kurz ab und fährt dann fort: „Man muss sich dann motivieren weiterzumachen.“

Er wolle aber nicht jammern, das bringe niemanden weiter. Es gebe ja auch viel Positives in diesen Tagen, zum Beispiel die wertvolle Unterstützung durch die Bürgermeister, die gute Organisation und Ausstattung im Haus und die Dankbarkeit der Menschen, die er und sein Team doch in vielen Fällen spüren. Für einen Arzt mit Leib und Seele gibt es nichts Schöneres.

Doris Martinz