Der St. Johanner Inspektionskommandant Jürgen Graser über schwierige Covid-19-Situationen und ungewohnte Polizeiarbeit.

Das letzte Jahr war für uns alle verbunden mit speziellen Herausforderungen, denen wir uns zu stellen hatten. Das galt und gilt noch für viele Bereiche und Berufsgruppen, auch für die Polizei. Die Pandemie habe den Alltag der Polizeiinspektion St. Johann ziemlich auf den Kopf gestellt, so Kommandant Jürgen Graser. Graser, ein echter „Sainihånser“, wie er selber sagt, wurde 2015 zum Kommandanten der Marktgemeinde ernannt, zuvor war er in Fieberbrunn und Jochberg stationiert.

Die Anfänge der Pandemie in Österreich, die in Ischgl für internationale Schlagzeilen sorgte, habe man in St. Johann ohne Dramatik erlebt, berichtet er. Was dann jedoch auf sein Team zukam, war völliges Neuland: Kontrollen an den Gemeindegrenzen, Überprüfung der Einhaltung von Quarantänebestimmungen, Überwachen der Ausgangsbeschränkungen, Ein- und Ausreisekontrollen am Flugplatz St. Johann und so weiter. Nach anfänglichen Unklarheiten bei den Zuständigkeiten wurde mit all diesen Aufgaben die Polizei betraut – immer auf Ersuchen der Gesundheitsbehörde. Das heißt: Die Behörde (BH) erteilt Aufträge, die Polizei führt sie aus. So kam es, dass im letzten Frühjahr/Sommer MitarbeiterInnen der Behörde in Begleitung der Polizei in Lokalen auftauchten, um mit dem Zahlstab die Abstände zwischen den Tischen zu messen. Glücklich war man darüber bei der Polizei nicht. „Ich sehe das nicht als unsere Aufgabe. Wenn es massive Probleme und Beschwerden gibt, gehen wir dem natürlich nach. Sonst hat sich die Polizei immer möglichst zurückgehalten und nicht jede Kleinigkeit beanstandet“, so Graser.

 

Dem Nachbarn „eins auswischen“

Gerade am Anfang der Pandemie gab es kaum Beanstandungen, die Menschen waren sehr einsichtig und brachten viel Verständnis für die Maßnahmen und Beschränkungen auf, deren Einhaltung die Polizei kontrolliert. Mit den Wochen und Monaten änderte sich jedoch die Stimmung, Frust und Aggression wuchsen. Allerdings nicht gegenüber der Polizei: „Wir haben sicher einige wenige, die sagen, das ist alles Blödsinn, auch bei Kontrollen. Aber das Gros der Leute ist sehr diszipliniert und zeigt Verständnis dafür, dass wir unseren Job machen.“ Es gebe auch sehr wenige Verstöße gegen Maskenpflicht und Abstandhalten. Was allerdings feststellbar sei: Die Zahl der Anzeigen aufgrund unerlaubter privater Zusammenkünfte habe zugenommen. „Wenn das Nachbarschaftsverhältnis vor Corona vielleicht schon nicht so gut war, haben einige die Pandemie genützt, um dem Anderen die Polizei ins Haus zu schicken“, berichtet Graser. Um gleich darauf klarzustellen: „Im privaten Bereich hat die Polizei aber nichts verloren. Nicht wegen Corona.“ Anders sei es natürlich bei häuslicher Gewalt oder Gefahr im Verzug. „Aber nur, weil es der Nachbar will, können wir nicht in Wohnungen kontrollieren. Das liegt nicht im Bereich unserer Befugnisse.“ Das gegenseitige Anzeigen habe im Frühjahr 2020 ungeahnte Ausmaße angenommen. „Das ging soweit, dass wir gerufen wurden, weil drei Kinder im Hof gemeinsam gespielt haben“, erinnert sich Graser. Für ihn ist klar: Für die zwischenmenschlichen Beziehungen hat sich Corona als denkbar schlecht erwiesen.

 

Einbruch bei den Kriminalitätszahlen

Die neuen Aufgabenbereiche, die die Pandemie für die Polizei brachte, machte jene „eher unglücklich“. „Das ist keine Polizeiarbeit. Dafür sind wir nicht zur Polizei gegangen“, sagt Graser.

Nach einem fast „normalen“ Sommer brach im Herbst 2020 die neue Welle los, die für Graser und seine KollegInnen vor allem eines brachte: Kontrollen, Kontrollen und nochmals Kontrollen – vor allem der Quarantänebestimmungen. An Spitzentagen waren es über 100. Auch die Zustellung der Absonderungsbescheide an alle, die keinen E-Mail-Account haben, musste und muss noch die Polizei übernehmen. Und das alles neben dem üblichen „Tagesgeschäft“, das sich allerdings massiv veränderte, wie Graser berichtet: „Im März 2020 brachen die Kriminalitätszahlen stark ein. Körperverletzungen, Diebstähle, Ladendiebstähle, Verkehrsdelikte, Einbrüche, Sachbeschädigungen, … in diesen Bereichen verzeichnete man einen Rückgang von gut einem Drittel.

 

Geändertes Dienstsystem

Um sicherzustellen, dass aufgrund Erkrankungen nicht die gesamte Inspektion ausfällt, wurde im Herbst ein neues Dienstsystem eingeführt: Man teilte das gesamte Team in zwei Gruppen, und jene noch einmal in zwei Untergruppen. Für Graser war es in den letzten Monaten eine besondere Herausforderung, das Teamgefüge und Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Inspektion aufrecht zu erhalten. „Wie alle anderen auch, haben auch wir die sozialen Kontakte vermisst, die privaten, aber auch die am Arbeitsplatz.“ Mit Juni dieses Jahres wurde die Sonderregelung aufgehoben, die KollegInnen haben sich wieder. Sicherheit bietet die hohe Durchimpfungsrate: 85 Prozent der MitarbeiterInnen sind geimpft, weitere genesen.

Als die Zahl der Infizierten im Herbst 2020 aber in der Region noch hoch war, bedeutete das auch ein höheres Risiko für die BeamtInnen, sich anzustecken. Eines, das von manchen sehr wohl wahrgenommen wurde. „Das hat einigen schon zugesetzt. Wenn man gegen jemanden vorgehen muss, der keine Maske trägt, herumschreit und spuckt, muss man ja trotzdem ran.“ Bei der PI St. Johann verzeichnete man schließlich neun positive Coronafälle. Die KollegInnen sind heute wieder alle wohlauf.

 

Ruhige Nächte

Für Graser machte die Pandemie auch ersichtlich, welche Rolle der Alkoholkonsum in „normalen“ Zeiten spielt. Denn das Nachtleben ist meist mit dem Konsum von Alkohol verbunden. „Wenn in der Nacht etwas anfällt, kann man zu 70, 80 Prozent davon ausgehen, dass Alkohol im Spiel ist. Dass der, der einen Verkehrsunfall verursacht, rauschig ist. Dass der, der seine Frau schlägt, betrunken ist. Das ist schon massiv.“ Damit liefert Graser ein Stichwort. Die häusliche Gewalt sei auch bei uns leicht gestiegen, bestätigt er. Dasselbe gilt auch für die Fälle von Suizid und versuchten Suiziden.

Im Allgemeinen jedoch waren die Nächte ruhig. Es gab kaum Körperverletzungen, niemand zog im Winter im Rausch die Schneestangen heraus, es gab kaum Unfälle. Natürlich sei das positiv. Aber: „Was tut eine Streife, wen soll man kontrollieren? So eine Nacht mit zwölf Stunden ist lange.“ Für die Motivation seines Teams sei die Zeit nicht leicht gewesen, sagt Graser. „Ein Polizist wird Polizist, weil er mit seiner Arbeit etwas bewirken will. Weil er Alkohollenker herausholen und Kriminelle aufspüren will, um damit Schaden von der Allgemeinheit abzuwenden. Und nicht Schichtarbeiter kontrollieren, die um zehn Uhr abends müde nach Hause fahren.“

Mit der Öffnung am 19. Mai kam für die Polizei auch der Alltag wieder. „Es war, als hätte man einen Schalter umgelegt“, formuliert es Graser. Sie brachte wieder mehr Verkehr und mehr „echte Polizeiarbeit“ – sehr zur Freude des Teams. So herausfordernd die vergangenen Monate auch waren, sie haben für Graser auch eines gezeigt: „Dass der Zusammenhalt bei uns auf der Inspektion groß ist, und dass, wenn es gilt, alle an einem Strang ziehen. Jeder hat seinen Job gemacht, das hat immer gepasst.“ Was wünscht sich der Kommandant für die nächste Zeit? „Normalität, wie alle anderen auch.“

Doris Martinz

 

Das Pandemie-Jahr in Polizei-relevanten Zahlen.

  • Unfälle mit Sachschaden: 270 (gewöhnlich jährlich etwa 400)
  • Unfälle mit Personenschaden: 70 (sonst zirka 90)
  • Seit Pandemiebeginn gab es zirka 2.700 Quarantäneprüfungen
  • 13 Organmandate (Strafen, die man vor Ort sofort bezahlen kann zum Beispiel bei Übertretungen der Masken- oder Abstandspflicht)
  • zirka 300 Anzeigen an die Behörde (meist, wenn mehrere Tatbestände wie Sperrstunde, Abstand, Maske vorliegen)