Pepi Dessl erzählt von seiner Zeit als „Mau-Mau“, von unzähligen ehrenamtlichen Einsätzen und seinem zweiten Glück.
Er hat sich auf unser Gespräch bei ihm daheim vorbereitet und drückt mir die Kopie eines Lebenslaufes in die Hand. Auch eine Aufstellung aller Auszeichnungen, Verdienstmedaillen und Orden bekomme ich – sie füllte eine ganze A4-Seite. Er blättert in einem dicken Ordner, in dem alle Dokumente gesammelt sind, auch einige Andenkenbildchen sind dabei. Als ihm jenes seiner ersten Frau Norma in die Hände fällt, fällt ein Schatten über sein Gesicht. „Viel zu früh, nach 48 Ehejahren, ist sie gestorben“, sagt er bekümmert. Sie wurde nur 66 Jahre alt, ihr Tod liegt mehr als 20 Jahre zurück.
Ein Jahr nach ihrem Ableben habe seine Tochter Silvia gesagt, er könne unmöglich alleine bleiben, er würde schon „spinnen“, erzählt der heute 90-Jährige schmunzelnd. „Und ich habe geantwortet, dass ich sicher nicht nach einer neuen Frau suchen gehen werde.“ Suchen musste er letztendlich auch gar nicht: Seine zweite Ehefrau Gerlinde Bendler lief ihm im Ortszentrum von St. Johann über den Weg. Ihr Mann war ungefähr zur selben Zeit verstorben wie Norma. Pepi lud sie auf einen Kaffee ein, und die Geschichte nahm ihren Lauf. Vor 18 Jahren war das, Gerlinde und Pepi waren damals 70 bzw. 72 Jahre alt. Vor 17 Jahren feierten die beiden ihre kirchliche Trauung und könnten bis zum heutigen Tag nicht glücklicher sein. Das versichert mir auch Gerlinde selbst, die zum Gespräch hinzukommt. Die beiden kennen sich seit ihrer Jugend, es hätte sich früher auch fast einmal „etwas angebahnt“, aber dann rückte Pepi in die B-Gendarmerie ein und verließ St. Johann. (Als B-Gendarmerie wurde im besetzten Nachkriegsösterreich die Vorgängerorganisation des Bundesheeres bezeichnet.) Nach Normas Tod und längst zurück in Sainihåns, nahm Pepi an, dass Gerlinde liiert sei. Diese Annahme erwies sich jedoch als Irrtum, wie sich beim ersten schicksalhaften gemeinsamen Kaffee herausstellte.
Mit Leib und Seele Soldat
Josef „Pepi“ Dessl wird 1933 in St. Pankraz in Oberösterreich geboren. 1938 wandert seine Familie nach Deutschland aus, er und seine drei Schwestern wachsen in einem kleinen Ort in der Nähe von München auf. Der Vater fällt im Krieg, 1947 kehrt die Mutter nach Österreich zurück – nach Schwendt, weil der Großvater dort Wagnermeister ist. Pepi beginnt in Schwendt eine Lehre als Feinmechaniker, doch als sein Chef nach Schweden auswandert, steht er ohne Job da. Pepi beschließt, sich für die nächste Stelle, die frei wird, zu bewerben. Zufällig ist es die des Schusters beim Schuhmacher Golser in St. Johann. Er macht sich zu Fuß auf den Weg und marschiert viele Stunden lang, um sich in der Markgemeinde vorzustellen. Nicht umsonst: Er bekommt den Lehrplatz, er wird Schuster. „Als Lehrling war ich sogar Bundessieger“, erzählt Pepi heute nicht ohne Stolz. Aber das viele Sitzen ist für ihn damals auf die Dauer nicht zu ertragen – er geht zur B-Gendarmerie in Walchen. Von Walchen wird Pepi später nach Wörgl und dann nach St. Johann bzw. Hochfilzen versetzt. Bei der B-Gendarmerie und beim späteren Bundesheer durchläuft Pepi viele Ausbildungen. Er ist unter anderem Heeres-Hochalpinist, wird dem Grenzschutz zugeteilt und während des Ungarnaufstandes 1956 an der Grenze zu Ungarn eingesetzt. Von 1968 bis 1991 ist er als Spieß auf dem Truppenübungsplatz in Hochfilzen tätig und hat 150 Männer unter sich. Auch das Ausbildungs- und spätere Flüchtlingslager gehört zu seinem Wirkungskreis. „Ich bin durch und durch ein ,Bundesheeringer’, mit Leib und Seele Soldat“, sagt Pepi. Die Kameradschaft unter den Männern habe ihn ein ganzes Berufsleben lang fasziniert und begeistert, sagt er. Man habe ihn überall gekannt und von ihm gehört, sogar bis nach Wien, bis in die Ministerien hinein. Im positiven Sinne, meint er augenzwinkernd. Er war bekannt für seine starke Stimme, wenn es um bestimmte Anliegen ging. „Nach Wien braucht er ein Telefon, aber bis St. Pölten schreit er“, habe man über ihn gesagt. Das Heer war sein Ein und Alles, und doch ging er mit 58 Jahren in Pension – eine Frage von Gebühren und Bezügen.
Im Ruhestand half Pepi viele Jahre lang im Schuhhaus Golser als Schuster aus. Und er engagierte sich weiterhin intensiv in lokalen Vereinen und Institutionen. Er war einer der ersten Biathlon-Kampfrichter und kam als solcher weit herum in der Welt, bei der Militär-WM als Mannschaftsführer sogar bis zum Polarkreis. Bei den Olympischen Spielen 1964 und 1976 in Innsbruck war er als Kampfrichter im Einsatz. Auch beim Radweltcup in St. Johann war er jahrzehntelang als Funktionär im Einsatz. Selbst war er auch immer sportlich: „Der Kaiser war mein Revier. Da gibt es kaum ein Spitzel, auf dem ich nicht war.“
Jeden Tag genießen
Seit Jahrzehnten ist Pepi Mitglied des Kameradschaftsbundes, 23 Jahre lang war er Obmann. Unzählige Stunden widmete er sich den Belangen des Vereins. War er denn auch manchmal daheim anzutreffen? „Nur am Wochenende“, gesteht Pepi. Norma habe sich um die beiden Kinder Reinhold und Silvia gekümmert. Dennoch sei ihre Ehe eine gute gewesen und Normas Tod ein schmerzvoller Einschnitt in sein Leben. Pepi erzählt, wie er seine erste Frau kennengelernt hat: Er steht damals als B-Gendarm – die Leute nennen die B-Gendarmen damals scherzhaft „Mau-Mau“ – mit ein paar Kollegen am „Dampfl-Eck“, als Norma vorbeigeht. Sie trägt ein Päckchen Butter in Händen. Pepi spricht sie an, die 17-Jährige erschrickt wohl und lässt die Butter fallen. Der junge „Mau-Mau“ hebt das Päckchen vom Boden auf, drückt es ihr in die Hand und verabredet sich mit dem Mädchen schon für den nächsten Tag zum Kinobesuch. Von da an waren sie ein Paar …
Was ist das Wichtigste im Leben, frage ich den St. Johanner. „Die Gesundheit“, antwortet er. „Ansonsten bin ich wunschlos glücklich.“ Er und Gerlinde meistern den Alltag gemeinsam, sie helfen zusammen. Die 88-Jährige hat fünf Kinder, ein Sohn verstarb im Alter von 20 Jahren beim Bergsteigen. Ein Schmerz, der nie verheilt. „Man denkt sich, das Leben ist lang. Nichts ist lang, es geht so schnell dahin“, sagt sie.
Pepi hat im Herbst seinen 90er gefeiert. Mit der ganzen Familie, darunter drei Enkel und vier Urenkel. Wie alt will er werden? 100? „Ich möchte einfach so lange leben, wie es mir gut geht und jeden Tag mit Gerlinde genießen“, sagt er. Wichtig sei für ihn auch die Harmonie in der Familie, dass sich alle verstehen und miteinander reden können. Zum Glück sei das der Fall in seiner Familie, und in Gerlindes auch.
Noch bevor Pepi zu Gerlinde zog, übernachtete er natürlich schon bei ihr. Pepi erinnert sich an eine lustige Begebenheit: Als er eines frühen Morgens das Haus verlässt, läuft er ein paar Straßen weiter dem Bäcker in die Arme. Jener fragt ihn, woher er denn komme so früh am Tag. Die Wahrheit will ihm Pepi nicht unbedingt auf die Nase binden, deshalb antwortet er: „Vom Zeitung-Austragen!“ Als er denselben Bäcker bald darauf wieder frühmorgens antrifft, fragt ihn jener mit wissendem Lächeln: „Und, kommst du heute wieder vom Zeitung-Austragen?“ Pepi und Gerlinde lachen herzlich. „Wir könnten es nicht schöner haben“, meint Gerlinde. Beide haben spät im Leben noch einmal die Liebe gefunden.
Aber ist es mit einem Spieß daheim nicht manchmal ein Spießrutenlauf, will ich von Gerlinde wissen. „Nein“, sagt sie, „wir haben den Spieß umgedreht.“ Mehr gibt es dazu wohl nicht zu sagen …
Doris Martinz