Die Diätologin Patricia Riedl über die Sinnhaftigkeit des Fastens, über den stundenweisen Verzicht und wie „Chocoholics“ mit ihrer „Droge“ umgehen können.
Das Osterfest steht vor der Tür. Für gewöhnlich feiern wir es mit Familienessen, bei denen herrliche Bratenstücke auf den Tisch kommen, zartes Lamm vielleicht oder eine Kalbsschulter. Die bunten Ostereier dürfen beim Fest nicht fehlen, der süße Zopf aus Germteig auch nicht, und natürlich gibt es für alle ein Stück von der gehaltvollen Ostertorte. Bis zum großen Osterschmaus üben sich viele von uns jedoch noch in Enthaltsamkeit, sie entsagen in der Fastenzeit dem Alkohol, Süßem, Fettem oder anderen Dingen wie dem übermäßigen Konsum von TV-Soaps. Die Motivation dahinter: Wir wollen abnehmen oder uns selbst beweisen, dass wir in der Lage sind, Körper und Geist zu kontrollieren und zum Beispiel auf Schokolade oder Serien-Marathons zu verzichten. Das ist oft alles andere als einfach. Aber es macht Sinn. Oder?
„Das kommt darauf an, welches Ziel man verfolgt“, sagt Patricia Riedl, Diätologin und damit medizinische Ernährungsberaterin in St. Johann. Wenn man aus religiösen oder spirituellen Gründen faste, müsse man sich die Sinnfrage nicht stellen. „Abgesehen davon aber sollte jede Veränderung zum Positiven, die wir anstreben, immer langfristig angelegt sein.“ Es nütze nichts, wenn wir zwei Wochen lang oder auch die gesamten vierzig Tage in der Fastenzeit auf etwas verzichten, das uns nicht gut tut. Ziel müsse immer eine dauerhafte Ernährungsumstellung sein, sonst würden wir von den Einschränkungen, die wir uns selbst auferlegen, nicht profitieren. Ganz im Gegenteil – Stichwort „Jojo-Effekt“. Wie kommt es eigentlich, dass wir nach einer auf den ersten Blick erfolgreichen Diät wieder Gewicht zulegen, und danach oft sogar mehr Kilos auf die Waage bringen als zuvor? „Wenn wir die Nahrungsaufnahme stark reduzieren, baut unser Körper zuerst nicht Fett, sondern Muskeln ab. Je weniger Muskelmasse, desto weniger Grundumsatz hat der Körper, desto weniger Energie verbrennen wir. Wenn wir nach einer Diät also wieder „normal“ essen, nehmen wir zu“, so Patricias einleuchtende Erklärung.
Ernährungstherapeutische Unterstützung
Für die Kitzbühelerin und seit einem Jahr Wahl-St. Johannerin selbst ist Übergewicht kein Thema, sie ist zart gebaut. Dabei verzichte sie beim Essen auf nichts und sei durchaus eine Naschkatze, wie sie gesteht. Ihr Geheimnis: Regelmäßig Bewegung an der frischen Luft und ausgewogene Ernährung, die alles einschließt, auch Schokolade – aber alles in Maßen.
Die 25-Jährige hat ihr Studium der Diätologie mit dem Bachelor abgeschlossen und klärt im Rehabilitationszentrum in Kitzbühel Patientinnen und Patienten darüber auf, wie sie über die Ernährung Krankheiten positiv beeinflussen oder in manchen Fällen sogar heilen können. „Gerade bei Diabetes, quasi mein Spezialfach, kann man mit der Ernährung sehr viel bewirken, im guten wie im schlechten Sinn“, so die Spezialistin. Es gebe viele weitere Erkrankungen, die man ernährungstherapeutisch unterstützen könne – angefangen von Problemen mit dem Verdauungstrakt, mit dem Knochenstoffwechsel, dem Bewegungsapparat bis hin zu rheumatischen Erkrankungen.
Patricia selbst litt als Kind an einigen Allergien. Die Beschwerden sind längst verschwunden, auch deshalb, weil ihre Mutter viel frisch kochte, auf Zusätze wie Glutamat verzichtete und oft auch das Brot für die Familie selber backte. Die Freude am Kochen mit frischen Zutaten hat Patricia von ihrer Mutter übernommen. „Ich habe mich schon immer viel in der Küche aufgehalten, ich koche mindestens genauso gerne wie ich esse“, erzählt sie lächelnd.
Vierzig Tage als Sprungbrett
Die Fastenzeit geht mehr oder weniger spurlos an Patricia vorüber. Denn, wie schon gesagt, von kurzfristigen und vorübergehenden Einschränkungen hält sie nichts. Die Fastenzeit könne man jedoch dazu nützen, eine positive Veränderung einzuleiten und Dinge zu tun, die das Wohlbefinden steigern. „Leute, die viel Fleisch essen, könnten sich vielleicht angewöhnen, einen vegetarischen Tag in der Woche einzulegen. Wer nur selten draußen ist, könnte sich vornehmen, jeden Tag eine Runde spazieren zu gehen – aber nicht nur in den Tagen vor Ostern. Die Fastenzeit bietet sich dafür an, eine Verhaltensänderung zu initiieren, man kann sie als Sprungbrett nützen für einen Neustart. Im Frühling gelingt das oft besser als im Herbst, wenn die Tage wieder kürzer werden“, so Patricia.
Dem klassischen Fasten aber kann Patricia wenig bis nichts abgewinnen. Auch dem beliebten „Heilfasten“ nicht, das sich über einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen zieht, in denen die Nahrungsaufnahme fast gänzlich gestoppt wird. „Das bringt wenig, wenn man danach nichts umstellt.“ Positiv sieht sie allerdings das „Intervallfasten“, bei dem man täglich zum Beispiel 16 Stunden lang auf das Essen verzichtet, indem man das Frühstück oder das Abendessen auslässt. „Dabei baut man keine Muskelmasse ab, weil man ja täglich Energie zuführt. Außerdem hat man herausgefunden, dass stundenweiser Verzicht auf Nahrung einige positive Veränderungen im Körper auslöst. So werden zum Beispiel die Zellerneuerung und der innere Reinigungsprozess angekurbelt, die Insulinresistenz wird gesenkt.“ Das stundenweise Fasten stoße die Selbstheilung an, so Patricia. Sinn mache aber auch das Intervallfasten nur, wenn man es dauerhaft praktiziere.
Tipps für Naschkatzen
Und wie ist das jetzt mit der „Schoko“? Besser, als einen gewissen Zeitabschnitt lang auf Süßes zu verzichten, sei es, so Patricia, kleine Schritte zu setzen und zum Beispiel drei Tage lang keine Schokolade zu essen oder nur am Wochenende zu einem Gläschen Bier oder Wein zu greifen. „Das bringt langfristig mehr.“ Essen soll ein Genuss sein, der nicht von Verboten überschattet sein sollte, so die Diätologin. Denn: „Alles, was man sich verbietet, wird umso interessanter.“ Wer seinen Konsum an Süßigkeiten reduzieren will, sollte grundsätzlich kleinere Gebinde kaufen – wenn die Tafel Schokolade verputzt ist, gibt es nicht mehr. Weitere Tipps für „Chocoholics“: Schokolade zu lutschen, bringt ein längeres Geschmackserlebnis und damit weniger Hunger auf mehr. Je dunkler die Schokolade, desto weniger Zucker ist drin, desto eher schafft man es, vom „Suchtstoff“ wegzukommen.
Warum hat der Mensch eigentlich solche Lust auf Süßes? „Süß ist der Geschmacksstoff, der uns seit der Kindheit begleitet, süß schmeckt ja auch die Muttermilch“, erklärt Patricia. Der Hunger auf Süßes sei evolutionär bedingt, denn Süßes war kaum giftig, sondern ein „sicheres“ Lebensmittel und Energielieferant. Wohingegen nicht wenige bittere Beeren oder Früchte giftig oder unverträglich sind.
Neben ihrer Tätigkeit im Reha-Zentrum arbeitet Patricia auf freiberuflicher Basis in den Arztpraxen von Dr. Hirn in St. Johann,Dr. Fischer in Aurach und Dr. Tschallener in Kitzbühel. „Immer mehr niedergelassene Ärzte erkennen die Bedeutung der Ernährung in der Medizin.“ Klar sei das Medikament die einfachere Wahl, aber nachhaltiger wirke auf jeden Fall die richtige Ernährung.
Wer auf dem Weg zum gesünderen Essen Unterstützung braucht, ist bei Patricia Riedl bestens aufgehoben. Und weil ihre Konzepte auf Langfristigkeit ausgelegt sind, spricht auch nichts gegen den Osterbraten. Wir wünschen ein frohes, genussvolles Fest!
Doris Martinz