Ashwin Kamlani und seine Familie leben seit August in St. Johann. Wie sie ihr Leben gestalten, wovon sie träumen und mehr.

Wir haben uns im „Rainer“ verabredet. Ashwin ist unschwer zu erkennen, sein Name lässt ja auf eine Herkunft weit weg von St. Johann schließen – es gibt unter den Gästen an jenem Tag nicht viele mögliche Ashwins. Seine Eltern stammen aus Indien, erzählt er bei einem Cappuccino. Sie seien ausgewandert, er und seine beiden älteren Brüder in Miami geboren. Während die Brüder Rechtsanwalt und Investmentbanker wurden, studierte Ashwin Spanisch und Psychologie und wusste eigentlich nicht so recht, was er damit anfangen sollte. Zu dem Zeitpunkt, an dem er sein Studium abgeschlossen hatte, stellten sich Freunde von ihm in einem Technologie-Consulting-Unternehmen vor und ermunterten ihn, es ihnen gleichzutun. Ashwin wurde gemeinsam mit fünf anderen jungen Männern aus 300 Leuten ausgewählt. Er lernte viel über Technologien, arbeitete in Elektronik- und Pharma-Unternehmen und in der Finanzbranche, immer im Technikbereich. „Aber eigentlich gefiel mir nichts davon“, erzählt Ashwin. Er wechselte zu einer Firma, die sich mit E-Commerce, also mit elek­tronischem Handel, beschäftigte – als eine der ersten überhaupt. Und Aswhin lernte alles über E-Commerce. So richtig begeistern konnte ihn aber auch das nicht. „Ich habe mich dann gefragt, was mich glücklich machen würde, und ich kam auf die Hotellerie“, erinnert er sich. Er meldete sich in einer angesehenen Hotelfachschule an. Zuvor aber reiste er nach Indien, Nepal, Thailand und Australien. Er liebt es, fremde Kulturen kennenzulernen, neue Sprachen und Menschen anderer Ethnien.

Anfänge im E-Commerce

In der ersten Woche, in der er schließlich die Hotelfachschule in New York besuchte, veränderte „9/11“ die Welt. Der heute 46-Jährige hielt dennoch an seinem Plan fest und absolvierte sein erstes Praktikum bei „Meliá“, der größten spanischen Hotelkette mit Häusern auf der ganzen Welt. Man schickte ihn nach Mexiko, um dort das Team in einer Filiale zu unterstützen. Aber worin? Es gab keine Gäste, der Tourismus war aufgrund der Anschläge völlig zusammengebrochen. Aber irgendetwas musste Ashwin doch tun!? Er fragte den Hotelmanager, ob man im Haus etwas über E-Commerce wisse. Jener hatte noch nie davon gehört und war, als Ashwin ihn darüber aufklärte, geschockt von seiner eigenen und der Unwissenheit der Leute im ganzen Unternehmen. Er forderte die Manager in der Zentrale­ auf, den Inder, den sie ihm geschickt hatten, für den Bereich E-Commerce anzustellen. Ashwin sollte für die Stelle die Schule abbrechen, aber davon wollte er nichts wissen. In den Ferien jedoch arbeitete er für Meliá und blieb so mit dem Unternehmen verbunden. Nach Abschluss der Hotelfachschule beauftragte man ihn damit, den Bereich E-Commerce aufzubauen und die Mitarbeiter:innen zu schulen. Dafür sollte er alle Häuser der Hotelkette besuchen, was er gerne tat.

Die große Liebe

In Puerto Vallarta, Mexiko, stand eines Tages ein Treffen mit der Verkaufsdirektorin des dortigen Meliá-Hotels am Programm. „Und dann kommt diese wunderschöne, blonde Frau herein, eine Österreicherin“, erinnert sich Ashwin mit leuchtenden Augen. Er sei sofort wie elektrisiert gewesen. „Mir fielen fast die Haare vom Kopf“, erzählt er lachend, „und ich habe viele Haare!“ Bei der Verkaufsdirektorin handelte es sich um Sina Schreiber. Sie und Ashwin spürten sofort die Verbindung zwischen ihnen – aber Sina hatte damals einen festen Freund, dachte gar schon an Hochzeit. Ashwins Herz zerbrach in jenen Tagen, wie er erzählt, aber das Leben ging weiter. Einige Jahre lang baute er auf der ganzen Welt für Meliá den Bereich E-Commerce auf. Dann wechselte er in ein Unternehmen, das im Internet in der Reisebranche schnelles Geld machen wollte – Ashwin konnte sich auf der Dauer mit dieser Philosophie nicht identifizieren und kündigte. Und dachte immer öfter an die schöne, blonde Österreicherin, zu der er über die Jahre losen Kontakt gehalten hatte. Als er erfuhr, dass sie irgendwann „Single“ war, war er selbst in einer festen Beziehung. Aber als jene in die Brüche ging, wollte er es wissen: Er setzte sich ins Flugzeug, um Sina zu sehen. In Sinas Leben hatte sich inzwischen vieles geändert, sie hatte Meliá verlassen und war nach Afrika gegangen. In einer kleinen Dorfschule in Ghana unterrichtete sie die Kinder der ansässigen Familien. Dorthin kam Ashwin – obwohl seine Freunde sagten, er sei komplett verrückt. Als sich die beiden trafen, war die Verbindung sofort wieder da. Bei seiner Abreise schlug Ashwin vor, Sina solle nach ihrem Afrika-Aufenthalt zu ihm nach Miami kommen, dann würde man weitersehen. Sina kam und blieb. Sie heirateten und bekamen zwei Töchter, Luka und Taj, heute elf und zehn Jahre alt.

Über Umwege nach St. Johann

Ashwin gründete sein eigenes Unternehmen, das sich mit einem Reservierungssystem für Hotelwebsites beschäftigte. Er verkaufte es später und arbeitete danach einige Jahre für die Firma. In dieser Zeit beschlossen er und Sina, Miami zu verlassen – die Großstadt war für sie nicht der geeignete Platz, um Kinder aufzuziehen. Die Familie übersiedelte in eine kleine Stadt in Virginia, sie war freundlich und sauber – aber auch sehr amerikanisch. „Sina war davon nicht so begeistert. Sie wollte nie, dass unsere Kinder so amerikanisch aufwachsen“, so Ashwin. Er und Sina seien viel gereist, hätten viele Kulturen kennengelernt. Das wollten sie auch ihren Töchtern ermöglichen. Also legten sie eine Landkarte Europas vor sich auf den Tisch und überlegten, wohin es gehen sollte. Paris machte das Rennen, zwei Jahre lang lebten die Kamlanis in der französischen Hauptstadt. Die anfängliche Liebe zur Metropole erkaltete allerdings, Rom war deshalb die nächste Station. „Rom ist eine großartige Stadt, Italien ein wunderbares Land, die Küche einfach herrlich“, schwärmt Ashwin. Allerdings wünschten er und Sina sich mehr Internationalität für ihre Kinder. Und dass sie besser die Sprache ihrer Mutter sprechen, Deutsch. So gelangte die Familie letztendlich nach Österreich. Sina wuchs in St. Pölten auf, die Gegend kam für sie nicht in Frage. Tirol sollte es sein! Nach längerer Suche nach einem geeigneten Zuhause landeten die Kamlanis im August letzten Jahres schließlich in St. Johann. Da im Haus noch kein Internet installiert war, arbeitete Ashwin für einige Zeit im „Weltraum“. Der Coworking-Space des Ortsmarketings war damals noch gar nicht fertig und zum Teil noch Baustelle – Ashwin störte es nicht. „Man hatte dort eine gute Internetverbindung, und das ist für mich das Wichtigste!“ Inzwischen hat er sein „Office“ aber wieder zu sich nach Hause verlegt.

Lebensfreude in der Region

Die Familie liebt die Region – das sportliche Angebot (alle vier haben einen Skikurs besucht), die Kultur, das gute Essen, einfach alles. „Wir haben einmal römische Ausgrabungen besucht und am nächsten Tag in einem Eishotel auf einem Gletscher geschlafen“, berichtet Ashwin begeistert. Luka und Taj besuchen das Gymnasium und genießen die Freiheiten, die sie bei uns haben: einfach rausgehen und mit dem Fahrrad eine Runde drehen, mit Freunden treffen, … all das war in den großen Städten nicht so einfach möglich.
Ashwin arbeitet derzeit für ein Unternehmen mit dem Namen „Juicer“, das sich mit der digitalen Preisoptimierung im Restaurantbereich beschäftigt. Läuft zum Beispiel ein großes und wichtiges Fußballmatch im Fernsehen, sollen Speisen, die online geordert und zugestellt werden, etwas mehr kosten. Das helfe den Anbietern in schwierigen Zeiten, weiß Ashwin.
(Interessiert? Infos auf juicerpricing.com)
Sina ist derzeit vor allem Mutter und organisiert das Familienleben. Sie liebt es unter anderem, mit der Mode zu spielen und stattet oft alle in einem einheitlichen Look aus. Auch das Auto der Familie in der Farbe Pink mit weißen Tupfen geht auf ihr Konto – Lebensfreude pur.
Vielleicht wird die Familie Kamlani in St. Johann bleiben, bis die Mädchen die Oberstufe abgeschlossen haben. Vielleicht werden sie aber auch schon früher wieder umziehen – etwa nach Spanien. Damit die Mädchen auch die spanische Kultur und Sprache kennenlernen. „Unser Traum ist, dass sie dann irgendwann einmal eine sehr gute Universität in Amerika besuchen“, so Ashwin. „Aber am wichtigsten ist, dass sie später einmal das machen, was sie lieben.“ So, wie auch ihr Vater immer wieder neue Herausforderungen gesucht und keinen Weg gescheut hat, die Liebe zu finden.

Doris Martinz