Antje Jähnig ist Selbstbehauptungs- und Resilienztrainerin – sie hilft Kindern und Jugendlichen, die gemobbt werden.
Antje sieht eine dieser Situationen immer noch vor ihrem inneren Auge: Sie ist zwölf Jahre alt und mit ihrer Familie von Dresden in ein Dorf gezogen. Sie ist „die Neue“ und wird von einigen Schulkameraden gehänselt, ausgelacht, ausgegrenzt. Gemobbt, sagt man heute. Kaum etwas ist damals schlimmer für sie als dieses Ausgeschlossensein, dieses Gefühl, nicht gut genug zu sein. Es sollte sie noch lange begleiten. Doch dann, als sie ihren Sohn eines Tages vor ähnliche Probleme gestellt sieht, beschließt sie, etwas dagegen zu tun: Aufzuräumen mit den alten Belastungen, stark und selbstbewusst zu werden. Für sich und ihren Sohn. 2021 absolviert sie die Ausbildung zur Selbstbehauptungs- und Resilienztrainerin und wird zusätzlich Sozial- und Lebensberaterin.
So die Kurzfassung des Weges, den Antje Jähnig ging; inzwischen lebt sie mit ihrer Familie in Kramsach und geht auf in ihrer Berufung.
Sie hat sich im Zuge ihrer Ausbildung intensiv mit der Thematik des Mobbings auseinandergesetzt und weiß heute, dass sie als Kind nicht nur Opfer, sondern auch Täterin war – sich selbst gegenüber: „Ich bin nicht für mich eingetreten, damit habe ich mir selbst geschadet.“ Als sie den Druck nicht mehr aushielt, schlug sie als Jugendliche zu – und wurde so auch nach außen hin zur Täterin. „Das war der falsche Weg, mit der Situation klarzukommen.“ Damit ist sie nicht allein: Immer haben auch Täter:innen einen Leidensdruck. Sie fühlen sich nicht geliebt, überfordert oder haben schlichtweg Angst, in einer Gruppe selbst nicht angenommen zu werden. Um diese Gefühle zu kompensieren, machen sie andere schlecht, grenzen aus, mobben. „Jedes Opfer ist auch Täterin oder Täter, jede Täterin/jeder Täter auch Opfer“, sagt Antje Jähnig. „Die Täter:innen weinen auch, aber sie tun es heimlich.“
Wer mobbt, hat Defizite
Das Wissen um die wahre Gefühlslage von Täter:innen könne Opfern sehr helfen, so Jähnig. „Gemobbte Kinder denken oft, sie seien nicht schlau oder hübsch genug. Dabei liegen die Defizite in Wahrheit bei den Mobber:innen.“ Wer sich geliebt, ausgeglichen und stark fühle, habe es nicht nötig, andere klein zu machen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen müsse man deshalb auch auf die vermeintlich „Starken“ schauen, die Schwächere drangsalieren. „Sie müssen lernen, sich die Aufmerksamkeit und Beachtung, die jeder von uns braucht, auf liebevolle Weise zu holen – bevor es schlimmer wird und ihre Handlungen später vielleicht sogar noch schwerwiegendere Folgen nach sich ziehen.“
In ihren Seminaren lernen Kinder und Jugendliche unter anderem in Rollenspielen, sich in konkreten Situationen für sich einzustehen, von Mobbing abzugrenzen. Schlagfertigkeit braucht es dazu nicht, und auch nicht Muskelkraft. Die Kraft muss von innen kommen: „Wir schauen uns Stärken und vermeintliche Schwächen an und trainieren ein gesundes Selbstvertrauen. Jeder von uns darf sich annehmen, so wie er ist“, erklärt sie. Das sei wichtig, denn: „Wenn man selbst schon der Meinung ist, dass man nicht in Ordnung ist, haben die anderen leichtes Spiel.“ Blickkontakt halten, sich groß machen, die Schultern gerade halten – auch das helfe, wenn andere stänkern und nach einem Opfer suchen. „Mit einer guten Körperhaltung fällt es leichter, Beleidigungen abprallen zu lassen wie von einer zweiten Haut.“
Liebe dich selbst!
Selbstliebe sei der Schlüssel zu einem guten und wertschätzenden Miteinander, weiß Antje Jähnig. Nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern in der gesamten Gesellschaft. „Liebe sollte man nicht im Außen suchen, sie darf von innen kommen. Wenn ich mir selbst nichts wert bin, wie sollen mich andere wertschätzen?“
Sie lädt nicht nur betroffene Kinder und Jugendliche in ihre Seminare ein, sondern alle. Denn wenn alle die Systeme, die hinter Mobbing stehen, erkennen und verstehen, können Probleme viel schneller gelöst werden.
Antje Jähnig wünscht sich, dass die Gesellschaft wieder mehr zusammenfindet, dass wir mehr füreinander da sind und jenen die Hände reichen, die Hilfe brauchen. „Ich denke, wir sollten mehr hinschauen. Dann wäre schon viel getan.“
Sie würde sich auch wünschen, dass Schulen ein Budget für die Aufarbeitung von Mobbingfällen und eine allgemeine Information zum Thema hätten – oft können und wollen sich Schulen ihr Coaching nicht leisten. Dabei wäre es so wichtig. Damit wir nicht zutiefst negative und belastende Gefühle aus unserer Kindheit und Jugend mitschleppen müssen. Sondern ganz viel Freude und das Vertrauen darauf, dass die Menschen in unserer Umgebung es gut mit uns meinen.
Antje sucht übrigens Sponsor:innen, die ihr Training an Schulen finanzieren. Vielleicht könnt ihr mithelfen?
Doris Martinz