FOLGE 10: „Mit dieser ollen Karre kommt ihr nie nach Hause!“
In der letzten Folge haben wir davon berichtet, wie Dieter Weihs und „Baumi“ (Walter Baumgartner) auf ihrer Indienreise mit einem alten VW-Käfer nach einem Unfall und der Gerichtsverhandlung ihre Fahrt fortsetzen – in einem „rollenden Blechhaufen“. Sie gelangen in die Hauptstadt Persiens, Teheran. Ihr erster Weg führt sie zur österreichischen Botschaft, doch hier erleben sie eine grobe Enttäuschung: Ein Mitarbeiter der Botschaft, ein unfreundlicher Burgenländer, ist nicht bereit zu helfen. Die beiden werden nicht einmal auf ein Mittagessen oder eine Dusche eingeladen, obwohl sie mit ihrem schmutzigen Verbandszeug wirklich zum Erbarmen aussehen. Gastfreundschaft, wie sie sie so oft schon erlebt haben, pflegen wohl nur die Einheimischen. Wieder einmal müssen sie sich selbst durchschlagen. Sie finden eine große, sehr moderne VW Werkstatt. Doch hier dasselbe „Spiel“: Der Chef, ein Norddeutscher, ist nicht daran interessiert, den Tirolern zu helfen. Als er den zerfledderten Käfer sieht, meint er nur: „Mit dieser ollen Karre kommt ihr nie nach Hause. Kooft euch en Motorrad!“ Doch das ist für die beiden keine Option, erhobenen Hauptes ziehen sie ab. Da packt den Deutschen dann doch das schlechte Gewissen, und er schickt ihnen einen Mechaniker nach, der sie gerade noch am Tor erreicht. Jener leiht ihnen ein Fahrrad und schickt sie damit auf den Basar, um Ersatzteile zu besorgen. Und wirklich haben Dieter und Baumi Erfolg, sie können Kotflügel und Scheinwerfer erstehen, nur eine Frontscheibe ist nicht aufzutreiben. Das entmutigt den geschickten Mechaniker nicht: Er schafft es, die Scheibe eines ausrangierten Lieferwagens zu montieren. Die Tür ersetzt er mit einem Stück Blech. „Wir haben dann nur mehr bei der Fahrerseite einsteigen können, aber das war uns egal. Hauptsache war, dass unser VW Käfer wieder einigermaßen fahrtüchtig wurde“, erzählt Dieter. Die Reparatur kostet nur eine Kleinigkeit.
Im Sandsturm
Da der Wagen nun wieder einigermaßen „in Ordnung“ ist, beschließen die beiden, sich auf ihrem Rückweg nach Hause in das „wilde Kurdistan“ zu wagen. „Leider haben wir fast kein Fotomaterial mehr gehabt, deshalb konnten wir unsere Erlebnisse nur schriftlich festhalten“, bedauert Dieter. Bei Qazvin biegen sie nach Südwesten in Richtung Hamadan ab. Sie sind erst ein paar Minuten unterwegs, als plötzlich ein fürchterlicher Sandsturm aufkommt. Im offenen Wagen können sie sich kaum schützen. Sie finden ein Stück Spanplatte und versuchen, damit die offene Seite abzudichten und binden sich Tücher um den Kopf. Es heißt, das Auto in Bewegung zu halten, damit der Sand nicht in den Motor eindringt. Im Schritttempo geht es voran, der Sturm heult und tobt, und die beiden wissen bald nicht mehr, wo sie sich befinden. Doch dann, vor Hamadan, ist der Spuk plötzlich vorbei. Die Stadt liegt auf fast 2.000 Meter Seehöhe und hat eine sehr bewegte Geschichte. Unter den Assyrern und Medern war sie Reichshauptstadt. Um 560 vor Christus machte sie Kyros, Gründer des persischen Großreichs, zur Sommerresidenz der Achämeniden. Hier in Hamadan, dem ehemaligen Ekbatana, plante Alexander der Große seine weiteren Unternehmungen wie die Verfolgung des flüchtenden König Darius.
Nach 550 Kilometern erreichen die Abenteurer Bisotun, wo sich ein Relief von Darius dem Großen befindet. Sie sind nun inmitten des Kurdengebiets, um das es jahrhundertelang Kämpfe gab, und noch heute herrscht dort kein nachhaltiger Frieden. Das Interesse der Tiroler an den kulturellen Schätzen hält sich inzwischen aber in Grenzen: Vordringlichstes Ziel ist es nun, mit der „Karre“ irgendwie nach Hause zu kommen.
Die Landschaft ist grandios, zwischen steilen Felsgebirgen liegen fruchtbare Täler. Die beiden fahren noch bis nach Sanandaj. „Das war damals eine bezaubernde und sehr saubere Stadt. Als wir dort ankamen, war Feiertag, und die kurdische Bevölkerung war zum Teil in ihre traditionelle, farbenprächtige Tracht gekleidet“, erzählt Dieter.
Zurück in der „Zivilisation“
Die Landschaft in Kurdistan verändert sich und gleicht mehr und mehr jener in Tirol, die beiden jausnen auf einer „Almhütte“. Beim Rückweg zum Auto sieht Dieter in einem Kuhfladen etwas glänzen – es ist der Schlüssel der Schaltsperre, der ihm zuvor aus der Hose gerutscht ist. „Ohne Schlüssel wären wir in dieser einsamen Gegend aufgeschmissen gewesen, wieder einmal haben wir großes Glück gehabt!“, erzählt Dieter.
Am Tag darauf führt sie ihre Reise an die türkische Grenze nach Ostanatolien. Endlich! Die Erleichterung ist groß: Alle notwendigen Stempel für den Käfer sind im Carnet vermerkt, durch die Ausfuhr des Wagens ist Großmuttis Sparbuch mit 25.000,- Schilling gerettet.
Nach dem Grenzübertritt in die Türkei fahren sie am Ararat entlang und genießen die herrliche Landschaft. Die Idylle ist vorbei, als sie auf einem Pass in Nebel und Regen geraten. Der VW Käfer hat ja keine Scheibenwischer mehr, auf der Fahrerseite fehlt das Fenster, und die Frontscheibe ist nicht dicht – das Wasser spritzt ihnen ins Gesicht, die Sicht ist miserabel. „Blindflug!“
Mit viel Glück gelangen sie noch vor Anbruch der Dunkelheit nach Erzurum und fahren dort direkt ins Militärspital. Ein Arzt nimmt ihnen die Nähte der Wunden heraus, die sie beim Unfall in Persien davongetragen haben. Im Krankenhaus sind alle sehr nett zu den Reisenden, für die Behandlung müssen sie nichts bezahlen. Am nächsten Tag wird auch der VW Käfer noch „verarztet“, ein Mechaniker nimmt Schweißarbeiten bei Achse und Radkasten vor. Jetzt läuft er noch stabiler.
Nach ihren Erlebnissen während der letzten Wochen in Persien, Pakistan und Afghanistan erscheinen die Dörfer und Menschen auf der Etappe nach Trabzon geradezu gepflegt.
Warten auf Benzin
Als sie in Trabzon ankommen, erfahren sie, dass im Zuge des 6-Tage-Kriegs in Palästina eine Pipeline gesprengt wurde und in der Osttürkei kein Benzin zu bekommen ist. An eine Weiterfahrt ist deshalb nicht zu denken. Sie entdecken einen kleinen Obstgarten, in dem schon Engländer, Franzosen und Australier auf Benzin warten, am Abend kommt noch ein nettes Ehepaar aus Österreich dazu. Schnell ist der Kontakt hergestellt zur Familie Dressler aus Krems, die schon oft in St. Johann war und mit einer bekannten Familie von Dieter befreundet ist. Sie kennen Dieter von früher. Wie klein die Welt doch ist! Aber Benzin gibt es immer noch keins.
Dieter und Baumi führen angeregte Gespräche mit den Dresslers: über Kunst, Bergsteigen und mehr. Frau Dressler möchte sie mit Marillenknödel verwöhnen. Denn die Früchte, die auf den Bäumen rundherum hängen, schmecken einfach herrlich. Was fehlt, sind allerdings Semmelbrösel. Dieter wird in den Ort geschickt, um welche zu besorgen. Aber wie soll er den Einheimischen klar machen, was Semmelbrösel sind? „Ich habe mit Händen und Füßen erklärt und schließlich altes Fladenbrot auftreiben können, das wir zerrieben haben. Die Knödel schmeckten himmlisch!“, erinnert sich Dieter mit einem Lächeln im Gesicht. Die Wunden der beiden jungen Männer, die sie beim Unfall in Persien erlitten haben, heilen beim Baden im Salzwasser des Schwarzen Meers sehr gut, die Reisenden erholen sich langsam von den Strapazen und Aufregungen der Fahrt. Aber Benzin gibt es immer noch nicht, und auch die Aussichten darauf sind schlecht. Mit den Tagen wird den beiden das Warten zu langweilig, außerdem sollten sie bald einmal zuhause sein. Sie überlegen fieberhaft, wie sie nach Istanbul kommen könnten.
Wird es eine Lösung für das Problem geben, oder verbringen Dieter und Baumi noch längere Zeit im Obstgarten und lassen sich mit Marillenknödel verwöhnen? Ihr erfährt es in der nächsten Ausgabe, bleibt dran!
Doris Martinz