FOLGE 11: EIN KÄFER „FLIEGT“ NACH HAUSE

In der letzten Folge haben wir davon berichtet, wie Dieter Weihs und „Baumi“ (Walter Baumgartner) auf ihrer Indienreise mit einem alten VW-Käfer in der Osttürkei in einem Obstgarten darauf warten, dass es Benzin für die Weiterfahrt gibt. Doch es sieht schlecht aus.
Die Lösung findet sich schließlich im Hafen von Trabzon: Der erste Uniformierte, auf den Dieter stößt, ist der Kapitän eines Frachtschiffs. Dieter erklärt ihm mit Händen und Füßen die Situa­tion, und er willigt ein, den VW-Käfer samt seiner „Besatzung“ mit an Bord zu nehmen.
Es heißt Abschied nehmen von der Familie Dressler. Im Hafen hebt der Schiffskran den schwer ramponierten VW an, er „fliegt“ durch die Lüfte und wird an Deck abgesetzt. Schon wenig später sticht der Frachter in See. Über eintausend Kilometer Seereise liegen vor den jungen Männern. „Für die Überfahrt haben wir umgerechnet 300,– Schilling bezahlt, wir durften an Deck im Auto schlafen und haben uns während der beiden Tage der Schiffsreise mit unseren letzten Reserven selbst verpflegt“, erzählt Dieter. Wieder einmal hatten die beiden Glück, eine Lösung – in diesem Fall für das Benzinproblem – zu finden.

Auf hoher See

Auf hoher See genießen die beiden Abenteurer nach der Hitze der Wüste den kühlen Fahrtwind und träumen in den Tag hinein. Die großartigen Erlebnisse der vergangenen Wochen ziehen an ihrem geistigen Auge vorüber. Mit Leukoplast schreiben sie „Vom Inn zum Indus“ und „Austria-Kaschmir“ auf die Wagentür und auf das Seitenblech – in der Hoffnung, dass sie mit ihrem „Expeditionsauto“, das nach dem Unfall im Prinzip nur mehr ein Wrack ist, auf der weiteren Heimfahrt bei Polizisten auf Verständnis stoßen werden. Am 29. August fahren sie bei Sonnenuntergang in den Hafen von Istanbul ein. Jetzt zieht es sie gewaltig nach Hause.
Am nächsten Tag starten sie schon sehr früh und wechseln sich alle drei Stunden beim Fahren ab. Problemlos passieren sie die türkisch-bulgarische und später die bulgarisch-jugoslawische Grenze. Die Fahrt auf der guten Asphaltstraße ist geradezu ein Vergnügen. „Das Abenteuer fängt dort an, wo der Asphalt aufhört“, das wissen die beiden mittlerweile.
Am 1. September 1967 erreichen sie die österreichische Grenze. Der Zöllner am Loibl­pass in Kärnten macht große Augen, als er den Wagen sieht. Er drückt aber beide zu, obwohl nicht zu übersehen ist, wie wenig straßentauglich er ist.
In Völkermarkt dann ein großer Moment: Es heißt Abschied nehmen, denn Baumi bleibt dort, er ist hier daheim. Großartiges haben die beiden Tiroler gemeinsam erlebt, sie haben wunderbare Landschaften und Menschen kennengelernt. Aber sie haben auch viele Probleme gelöst und gefährliche Situationen gemeistert. Immer konnten sie sich dabei aufeinander verlassen. Dreimal hat man die jungen Tiroler festgenommen, sie haben mit viel Glück bei 50 Grad Hitze heil die Wüste Lut durchquert und einen schlimmen Unfall überlebt. Nie gab es auch nur den Anflug eines Konflikts zwischen den beiden. „Ich hätte mir keinen besseren Reisegefährten wünschen können“, sagt Dieter noch heute dankbar. Beim Abschied umarmen sie sich innig und versprechen, sich so bald als möglich wieder zu treffen.

Wieder daheim

Es ist ein ungewohntes Gefühl für Dieter, alleine im Auto zu sitzen. Die Fahrt durch Kärnten verläuft ohne Probleme, von Böckstein nach Gastein geht es via Tauernschleuse mit der Bahn. Nördlich der Tauern beginnt es zu regnen – ohne Scheibenwischer ist das Fahren sehr unangenehm, die Sicht entsprechend schlecht. Als endlich der Wilde Kaiser vor ihm auftaucht, weiß Dieter: Er ist daheim. Seine Eltern empfangen ihn herzlich und sind sehr erleichtert, dass bei dem schweren Unfall, von dem sie erst jetzt erfahren, nicht mehr passiert ist. Sie staunen über Dieters phantastische Berichte.

Erfahrungen fürs Leben

Eine außergewöhnliche Reise, die in seinem Leben tiefe Spuren hinterlassen hat, ist nun zu Ende. Innerhalb von zwei Monaten legten Dieter und Baumi 16.000 Kilometer zurück und durchquerten dabei sechs Länder, zur Hälfte auf Schotterpisten oder schlechten Straßen. Die 1.000,– ­D-Mark (zirka 500,– Euro), die jeder von ihnen zur Verfügung hatte, mussten für alle Ausgaben (Verpflegung, Benzin, Reparaturen, Eintrittsgelder, Flugtickets nach Gilgit, Schiffspassage ,…) reichen. Dieter brachte sogar noch 700,– Schilling (zirka 50,– Euro) mit nach Hause. Auf ihrer Reise tranken er und Baumi fast nur selbst gekochten Tee und aßen Fleisch aus mitgebrachten Dosen, dazu meist Kartoffeln oder Nudeln. Zurück daheim, waren sie um einige Kilogramm leichter.
Sie lernten wunderbare Menschen kennen und genossen ihre großzügige Gastfreundschaft. „Wir haben große Achtung gewonnen vor der Art, wie Menschen unter schwierigsten Bedingungen ihr Leben meistern“, sagt Dieter. Die gewonnenen Erfahrungen prägen seinen Umgang mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen bis heute. Nur ganz selten fühlten er und Baumi sich bedroht. Die Fahrt führte durch die unterschiedlichsten Landschaften, sie erlebten großartige Gebirge, einsame, heiße Steinwüsten, fruchtbare Landstriche, Palmenwälder, zwei Meere, Flüsse und Ströme sowie eindrucksvolle Dörfer und Städte. Sie bekamen Einblicke in die bewegte Geschichte der Länder und standen staunend und voller Bewunderung vor den Zeugnissen ihrer Kultur.
Unvorstellbar ist für Dieter nach wie vor, wie Alexander der Große und seine Truppen die enormen Entfernungen zu Fuß oder zu Pferd zurücklegen und die damit verbundenen Strapazen ertragen konnten. Dafür und für die von ihm hinterlassenen kulturellen und politischen Spuren verdient Alexander der Große – trotz aller kritischer Betrachtung seiner grausamen, brutalen Eroberungen – seiner Meinung nach Bewunderung. Sein großes Ziel, die Vereinigung der helenistischen und persischen Kultur, ist nur zum Teil gelungen. Der Einfluss der Griechen bis zum Indus ist aber bis heute spürbar.
Übrigens: Da Dieter seine erste Stelle als Lehrer in Kufstein antrat, benötigte er ein Auto. In Kitzbühel entdeckte er die Karosserie eines VW-Käfers, der verschrottet werden sollte. In diesen Wagen baute man den intakten Motor des Abenteurer-Fahrzeugs ein, und Dieter war noch einige Jahre lang damit unterwegs.

Wir sind nun am Ende unserer elfteiligen Fortsetzungsgeschichte angelangt und hoffen, dass ihr, liebe Leserinnen und Leser, Dieters Schilderungen mit Spannung und Vergnügen verfolgt habt. Es war mir eine Ehre, mit Dieter einzutauchen in seine Erinnerungen an diese abenteuerliche Reise, aus der wir heute noch die eine oder andere Lehre ziehen können. Vielen DANK an ihn für die Bereitschaft, seine Memoiren und Fotoalben mit uns zu teilen! 

Doris Martinz

Reisefakten:

Start: 3. 7. 1967
Entferntester Punkt: Multan, Pakistan, (6.800 Kilometer)
Rückkehr: 1. 9. 1967
Reisedauer: 2 Monate
Kilometer: 16.000
durchquerte Länder: 6
das ehemalige Jugoslawien, Bulgarien, Türkei, Iran,
Pakistan (bis zum Indus,
Grenze zu Indien*),
Afghanistan

* In den Staat Indien konnten die Reisenden nur hinüberschauen – sie hätte erst nach dreiwöchigem Aufenthalt im Land ein Ausreisevisum bekommen. So blieb es für die beiden beim indischen Subkontinent.