Folge 2: Aufbruch nach Indien.
In unserer Juni-Ausgabe berichteten wir darüber, wie die Familie Weihs einst nach St. Johann kam sowie über Dieters erste Reisen. Der Artikel endet damit, dass sein bester Freund Helmut Baumgartner vulgo „Bumsti“ eines Tages im Jahr 1967 zu ihm in die Universitätsbibliothek in Wien kommt und ihm vorschlägt, nach dem Studienabschluss gemeinsam mit dem Auto nach Indien zu fahren – auf den Spuren Alexander des Großen. Dieters Antwort lautet damals: „Das machen wir!“
Die Route ist bald festgelegt, sie soll so nah wie möglich an den Feldzügen des Eroberers entlangführen. Da für Syrien und den Irak kein Visum zu bekommen ist, wird die Fahrt durch die Türkei, Persien (mit einer Durchquerung der Wüste Lut), nach Pakistan und zurück über Afghanistan gehen. Ein Großteil der Strecke ist auf Schotterstraßen zu meistern. Doch das werden die Burschen schaffen, davon sind sie überzeugt.
Es gibt damals nur ein klitzekleines Problem: Weder Dieter noch Bumsti besitzen ein Auto. Aber das kann man ja ändern. Dieter fällt Hans Neckham ein, ein väterlicher Freund und Gründungspräsident des Lions Clubs in Kitzbühel. Er hat doch einen alten VW-Käfer, den er nur mehr für die Jagd auf der Steinplatte nutzt? So ist es. Kilometerstand: 160.000. Wird er tausende weitere verkraften? „Ich habe nicht daran gezweifelt und das Auto gekauft“, erzählt Dieter. Heute schüttelt er ob dieser unerschütterlichen Zuversicht den Kopf, damals ist die Sache ganz klar. Zumindest von seiner Seite aus. Es stellt sich jedoch bald ein größeres Problem:
Omi hilft
Der ÖAMTC verlangt eine Kaution in der Höhe von 25.000 Schilling, damit die Abenteurer den Wagen in Persien nicht verkaufen konnten (damals wurden viele alte Autos in den Osten verschoben). Eine Summe, die die jungen Männer selber unmöglich aufbringen können. Der Traum vom großen Abenteuer scheint zu platzen, Dieter erzählt seiner Großmutter mit hängendem Kopf davon. Und was macht die Omi? Sie überlässt ihr Sparbuch mit dem Geld, das sie sich über Jahrzehnte mühsam zusammengespart hat, den „Buben“. „Damit war auch besiegelt, dass wir mit dem Auto zurückkommen mussten, ganz egal, was auch passieren sollte. Wir mussten meiner Omi ja das Sparbuch zurückgeben.“ Ein weiteres Hindernis ist überwunden, es geht weiter mit den Planungen. Der Wagen bekommt einen zweiten Ölfilter, damit er „wüstenfit“ ist. Auf dem Dachträger montiert Dieter eine Kiste aus Spanplatten, in der ein zweites Reserverad, ein Benzinkanister, Wassertanks und ein kleines Zelt verstaut werden. Als die ersten Impfungen anstehen, meldet sich Bumsti bei Dieter. Er hat Nachrichten, die im Prinzip sehr erfreulich sind und trotzdem alles auf den Kopf stellen: „Ich kann nicht mitkommen, ich heirate im Sommer Sicca“, sagt er. Dieter ist geschockt. Alleine auf die große Fahrt zu gehen, kommt nicht in Frage. Wo soll er so schnell einen Ersatz herbekommen? Gegen alle Erwartungen ist schon bald ein neuer Gefährte gefunden: Wolfgang Zelzer, ein anderer guter Freund, will mit ihm das Abenteuer wagen. Dieters Erleichterung ist groß. Doch sie dauert nicht lange. Nach seiner ersten Impfung ruft Wolfgang nämlich an und sagt: „Ich kann leider nicht mitkommen, ich heirate demnächst Dagmar.“ Soll das Unternehmen wirklich an Hochzeiten scheitern? Es sieht so aus, Dieter steht mit seinen großen Plänen wieder alleine da. In jenen Tagen zieht im Haus in Wien, in dem Dieter wohnt, ein neuer Kollege ein – Walter Baumgartner vulgo „Baumi“, ein Cousin von „Bumsti“. Er hat gerade den Präsenzdienst geleistet, er war Hauptmannfahrer und ist daher ein guter Lenker mit viel Erfahrung hinterm Steuer. Dieter kennt ihn nicht besonders gut, aber er kann ihn für die Reise begeistern. Der junge Mann – er ist damals 21 Jahre alt und damit um fünf Jahre jünger als Dieter – sollte sich als idealer Reisegefährte erweisen. Endlich kann es losgehen!
Das Abenteuer ruft
Nach einem Besuch bei Bumsti und Sicca starten Dieter und Baumi am 3. Juli 1967 von Kärnten aus in das große Abenteuer. Mehrmals werden sie um ihr Leben fürchten, ungeheure Strapazen erleiden und dreimal im Gefängnis landen. Dem gegenüber stehen aber auch zahllose faszinierende Erlebnisse und wunderbare Eindrücke. Die beiden Burschen haben jeweils zirka eintausend Deutsche Mark zur Verfügung – damit müssen sie auskommen.
Über den Loiblpass geht es zuerst nach Laibach. Vor Belgrad werden die Männer müde und machen zum ersten Mal ihr Fahrzeug zum Schlafen bereit: Sitze umdrehen, die kleinen Sporttaschen – das einzige Gepäck – zwischen die Sitze, fertig! Baumi ist 1,96 Meter groß, Dieter muss als kleinerer auf der Lenkradseite schlafen. Über Belgrad geht es nach ein paar Stunden weiter bis nach Istanbul. Dort ruft Dieter den ehemaligen Ministerpräsidenten der Türkei an, Ismet Inönü. Er hat ihn und seine Familie bei den „Roten Teufeln“ als Skilehrer betreut. Dieter erzählt ihm von seinen Plänen. „Der hat gemeint, wir seien wahnsinnig, im Hochsommer so eine Reise anzutreten, das sei hochgefährlich“, erinnert sich Dieter. Die Einladung zum gemütlichen Urlaub im Ferienhaus am Marmarameer schlagen die Burschen aus. „Wir haben das Abenteuer gesucht“, so Dieter. „Und wir sollten es auch bekommen.“ Einen Ratschlag gibt ihnen Inönü mit: „Fahrt niemals in der Nacht!“ Dass sie ihn nicht befolgen können, sollte schlimme Folgen haben.
Achsbruch und filmreife Action
Dieter und Baumi reisen nach Ankara und weiter nach Bogazkale, der Hauptstadt des Hethiter-Weltreichs. Die Löwentore der Stadtmauer – unvergesslich schön! Die beiden jungen Männer können sich an diesem historisch so bedeutenden Ort als einzige Besucher frei bewegen.
Bei der Weiterfahrt nach Samsun fährt der eine, der andere schläft – der zweite Sitz wird gar nicht mehr aufgestellt. Sie gelangen in eine fruchtbare Schwemmebene, Wasserbüffel suhlen sich links und rechts der Straße. Sie treffen zwei Tiroler und zwei Wiener und tauschen ihre Erfahrungen aus. Tags darauf baden sie im Schwarzen Meer und sonnen sich am Strand im kohlrabenschwarzen Sand. Über das Pontische Randgebirge geht es über viele Pässe, teilweise liegt noch Schnee. Dann führt sie der Weg den Berg Ararat entlang zur persischen Grenze. An der Hauptstraße nach Teheran wird gebaut, die Umleitungen sind kaum zu befahren. So beschließen die Männer, eine Nebenstraße zum Kaspischen Meer zu nehmen und über das Elbrusgebirge nach Teheran zu fahren. Auf einem einsamen Pass dann ein Achsbruch, an eine Weiterfahrt ist nicht zu denken. Stundenlang kommt kein Auto vorbei. Dann, endlich, ein Mercedes-Lastwagen. Er hält an, der Fahrer steigt aus. Die beiden Burschen zeigen auf das Zelt, das sie inzwischen aufgestellt haben, der Fahrer antwortet mit einer Geste des Halsabschneidens. Nicht sehr beruhigend. Schließlich verständigen sie sich mit Händen und Füßen darauf, dass der LKW in den Straßengraben fährt, sodass die drei Männer den lahmen Käfer auf die Ladefläche heben können. Gegen gutes Geld will sie der Fahrer in das hundert Kilometer entfernte Ardebil bringen, wo es einen Mechaniker gibt. Während der Fahrt müssen Dieter und Baumi in ihrem Auto sitzen bleiben, die hohen Bordwände des LKWs verstellen ihnen die Sicht. Die Fahrt wird zum Höllenritt: Der Fahrer rast wie der Teufel auf der kurvigen und holprigen Straße dahin. Der Wagen auf der Ladefläche wird hin und her geschleudert, die Abenteurer können sich in seinem Inneren kaum festhalten. Plötzlich reißt die Kette, die die Bordwand zusammenhält, den Dachträger des Käfers herunter, er knallt auf die Motorhaube. Es gelingt den Burschen nicht, den Fahrer durch Hupsignale zum Halten zu bewegen. Das Problem: Der Reservekanister ist geplatzt, das Benzin rinnt in Richtung Auspuff. Dieter und Baumi sehen sich im Geiste schon rettungslos inmitten eines Flammeninfernos gefangen. Da fasst sich Dieter ein Herz, springt aus dem Wagen, klettert während der Fahrt auf den Dachgarten der Fahrerkabine und trommelt mit den Füßen gegen die Windschutzscheibe. „Wie im Film“, erinnert sich Dieter und schüttelt den Kopf. Wie es wohl weitergehen wird?
Ihr erfahrt es in der nächsten Ausgabe der St. Johanner Zeitung, die Anfang September erscheint …
Doris Martinz