Folge 5: Gefängnis und Flucht vor einem weiteren Gefängnis
In der letzten Ausgabe haben wir davon berichtet, wie Dieter Weihs und Baumi (Walter Baumgartner) während ihrer Indienreise mit einem alten VW-Käfer in Multan eingeladen werden, in der Villa eines Bankdirektors zu übernachten. Am nächsten Morgen genießen Dieter und Baumi ein reichhaltiges englisches Frühstück – die Gastfreundschaft des Bankdirektors beschämt sie fast, und auch das Geldwechseln übernimmt er, wie versprochen. Vor ihrer Abreise besteht der Pakistani darauf, für die beiden Tiroler ein Empfehlungsschreiben zu verfassen. Sie winken ab, denn sie beabsichtigen ja, Pakistan spätestens am nächsten Tag Richtung Afghanistan zu verlassen. Dort wird ihnen das Schreiben nichts nützen. Aber sie wollen nicht unhöflich sein, stecken das Schreiben ein und verabschieden sich herzlich. Weiter geht es nach Lahore. Dieter und Baumi besichtigen die größte historische Moschee der Welt und sind ein wenig enttäuscht – trotz ihrer Größe haben sie die Moscheen in Isfahan noch mehr beeindruckt.
In Lahore besichtigen Dieter und Baumi auch das Grab Prinz Salims. Auf dem Rückweg kommen sie an einem Schlangenbeschwörer vorbei,
der eine Kobra zur Musik seiner Flöte hochsteigen lässt. Dieter macht ein Foto und wirft ein paar Rupien in den Korb. Das ist dem Alten aber offenbar zu wenig. Als sie weitergehen, schmeißt er ihnen deshalb eine Viper nach. Bei der Flucht verliert Dieter seinen Holzpantoffel, „aber ich habe mich nicht mehr zurück getraut.“
Auf der Suche nach einem Schlafplatz fahren sie nach Norden, knapp an der indischen Grenze entlang. Indien und Pakistan befinden sich damals wegen Grenzstreitigkeiten in Kaschmir im Kriegszustand (Kaschmirkrise). Aber damit haben die beiden Tiroler nichts zu tun, oder? Sie überqueren den Indus und bleiben in der Mitte der Brücke stehen. Dieter filmt und fotografiert den wunderschönen Sonnenuntergang, das letzte Licht spiegelt sich orangerot im Strom. Aber was ist das? Bei genauerem Hinsehen erkennen die Reisenden am anderen Ufer Militärfahrzeuge und Zelte.
Nun gut, sie haben nichts zu befürchten, sie können sich ja ausweisen. Zumindest nehmen die beiden das an. Sie sollten sich irren: Als sie die andere Uferseite erreichen, werden sie verhaftet –
als Spione.
Im Gefängnis
Man eskortiert sie zur Polizeistation, in der auch ein Gefängnis untergebracht ist. Die Beamten reißen den Film aus Dieters Kamera. Dass damit viele schöne Erinnerungen verloren sind, ist in diesem Augenblick das kleinste Problem der beiden Reisenden. Man könnte sie hier im Prinzip einfach im Gefängnis verschwinden lassen, ohne dass jemals jemand davon erfahren würde. Oder noch Schlimmeres. Rund um den Innenhof des Gefängnisses sind die vergitterten Zellen angeordnet, aus denen sie viele Augenpaare neugierig beobachten. „Da haben wir es schon mit der Angst zu tun bekommen“, erinnert sich Dieter. „Wir haben uns ja auch nicht verständigen können.“
Man führt die beiden in eine Zelle, das Gitter schließt sich hinter ihnen. Nun stehen auch sie hinter den Stäben und schauen nach draußen. Es herrscht Ratlosigkeit bei den jungen Männern. Plötzlich erinnert sich Dieter daran, dass ihnen der Bankdirektor in Multan ja ein Empfehlungsschreiben mitgegeben hat. Ob es in dieser Situation wohl helfen kann? Zumindest muss man es probieren! Dieter schiebt das Schreiben einem Beamten durch die Gitterstäbe entgegen. Jener nimmt es in Empfang, entfaltet es, runzelt kurz die Stirn, streckt dann den Rücken durch und nimmt Haltung an. Wie sich herausstellt, ist der Brief an den Polizeipräsidenten des Distrikts gerichtet. Sofort werden die Reisenden aus der Zelle gebeten und zum Essen eingeladen, die Stimmung ist plötzlich eine ganz andere. Sie verbringen die Nacht unter dem riesigen Gummibaum vor der Polizeistation. Über ihnen sitzt ein Affe, ganz oben ein Aasgeier. „Das war irgendwie bezeichnend für die Situation“, erinnert sich Dieter lächelnd. „Beim Abschied am nächsten Morgen haben uns die Beamten mit weißen Tüchern nachgewunken. So ein Glück muss man erst einmal haben!“
Kaschmir lockt
Als sie auf ihrer weiteren Fahrt in Rawalpindi Rast einlegen, sprechen die beiden über Kaschmir. Die Region und die damit verbundene Krise hat den Abenteurern bislang nicht viel Glück gebracht. Aber schön wäre es schon, dorthin zu kommen, überlegen sie. Da das Gebiet nur mit dem Flugzeug zu erreichen ist, buchen sie in einem sogenannten „Reisebüro“ ein Flugticket nach Gilgit. „Das hat ja quasi nichts gekostet damals“, sagt Dieter. Allerdings kann der Flieger nur starten, wenn das Wetter passt. Um abzuwarten, fahren die beiden nach Muree, einer Ortschaft, die auf rund 2.300 Höhenmeter liegt. Dort ist es endlich kühler. Als die beiden neben dem Fußballplatz ihr Zelt aufstellen wollen, lädt sie ein alter Mann in fließendem Englisch ein, in der Villa ganz in der Nähe zu übernachten. Sie nehmen gerne an und genießen für die paar Tage des Wartens puren Luxus: Ein Zimmer mit zwei Bettgestellen und einem gekachelten Bad. Als das Flugwetter endlich passt und die beiden abreisen, erweist sich der alte Mann als Hausmeister der Villa – und als schlechter Gastgeber: Er verlangt Geld für die Übernachtungen. Dieter und Baumi sind jedoch nicht bereit, ihm die geforderte Summe zu bezahlen, schließlich wurden sie eingeladen. „Wir haben ihm stattdessen unser Schweizer Taschenmesser überlassen“, so Dieter. Als sie mit ihrem Käfer wegfahren, winkt ihnen der Alte mit der Faust nach.
Am nächsten Tag sind sie im Flugzeug die einzigen Touristen. Aber waren sie das nicht schon an so vielen Orten? Kein Grund zur Sorge. Der Flug: ein Traum! Dieter und Baumi schauen hinunter auf grüne Seen, leuchtende Schneefelder und ein unüberschaubares Meer an Gipfeln, sie fliegen am Nanga Parbat vorbei. Nach der Landung stellt sich bei der Polizeikontrolle allerdings heraus, dass die „Tirolerbuam“ für die Einreise nach Kaschmir eine Sondergenehmigung des Ministeriums gebraucht hätten. Wieder stehen die beiden unter Spionage-Verdacht, wieder reißen Beamte den Film aus der Videokamera. Die geplanten Ausflüge sind gestrichen, mit dem nächsten Flug soll es wieder retour nach Rawalpindi gehen. Wann der nächste Flieger startet, ist unklar. Aber für die Unterkunft ist gesorgt: Die beiden Männer sind unter Arrest gestellt und werden ins sechs Kilometer entfernte Gefängnis abgeführt. Man stellt ihnen einen bärtigen, alten Mann zur Seite, der mit einem noch älteren Gewehr aus der K.u.K.- Zeit „Made in Austria“ bewaffnet ist. Was für ein schöner Gruß aus der Heimat! Als sich ihr „Begleiter“ an einer Bude neben der Straße Zigaretten kauft, geben sich Dieter und Baumi ein Zeichen: Sie hauen ab!
Einzeln unterwegs in Kaschmir
Sie rennen, als ginge es um ihr Leben und verstecken sich unter der Hängebrücke, die über den Gilgit, einen Nebenfluss des Indus, führt. Kurz sehen sie über der Brüstung den Lauf der Gewehres, sie ducken sich. In Todesangst? „Nein, der Alte hätte uns wahrscheinlich nichts getan. Aber wir wollten nicht schon wieder ins Gefängnis“, erzählt Dieter schmunzelnd. Als sie annehmen, dass ihr Bewacher weg ist, laufen sie auf einem schmalen Schotterpfad flussabwärts. Nach einiger Zeit gelangen sie zu einem schönen Plätzchen, sie duschen unter einem Wasserfall und strecken sich auf einer kleinen, grasgrünen Wiese aus. Wunderbar! Wie es weitergehen wird, wissen die beiden nicht. Egal, erst einmal rasten an diesem einladenden Ort! Doch schon bald taucht wie aus dem Nichts ein Bub vor ihnen auf und fragt: „Have you stamps?“ Ob sie Briefmarken besitzen? Dieter und Baumi sehen sich fragend an. Und stöbern in ihren Geldbörsen. Sie finden tatsächlich ein paar Briefmarken, die sie während ihrer Reise durch die Türkei nicht gebraucht haben, und überreichen sie dem Jungen. Jener strahlt über das ganze Gesicht und zieht zufrieden ab. Nach etwa zwanzig Minuten kommt er zurück und bedeutet den Männern, ihm zu folgen. „Come on, Come on“, fordert er sie auf. „Dann sind wir halt mitgegangen“, erzählt Dieter.
Wer ist der Junge, und wohin wird er sie bringen? Ihr erfahrt es in der kommenden Ausgabe!
Doris Martinz