Gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn wollen Daniela und Martijn in den nächsten Jahren auf einem Segelschiff die Welt entdecken.
Wir treffen uns Ende August beim Café Rainer auf einen Kaffee. Am Tag zuvor verkauften Daniela „Dani“ und Martijn van der Linden gerade ihre Küche. „Ich bin um zehn Kilo leichter geworden“, sagt Martijn und strahlt. Am ersten September übergaben sie schließlich ihre Wohnung in St. Johann dem neuen Besitzer. Damit fiel ein großes Stück Ballast weg. Bis Ende September arbeitete Martijn noch als Kellner in der Eisdiele „Venezia“, die Familie wohnte inzwischen in einem alten Campingbus. Mitte Oktober starteten sie mit dem Camper, um ein passendes Segelschiff zu finden und damit die Welt zu entdecken. Um andere Menschen und Kulturen kennenzulernen, ihrem Kind wichtige Werte zu vermitteln – und um ihrem wahren Ich wieder Raum zugeben.
Die Kitzbühelerin Dani (geborene Kerscher), 35 Jahre alt, absolvierte die Tourismusschule in St. Johann, arbeitete in den Ferien in der Gastronomie und jobbte als Skilehrerin bei den „Roten Teufeln“. Hier traf sie ihren jetzigen Mann Martijn, eineinhalb Jahre jünger als Dani, gebürtiger Niederländer und ebenfalls Skilehrer. Gemeinsam wurden sie für einen besonderen Auftrag ausgewählt: Sie hatten Gäste aus Griechenland zu betreuen – auf den und abseits der Pisten. „Wir wurden dafür bezahlt, eine Woche lang miteinander auszugehen“, erinnert sich Dani lächelnd. Dabei „funkte“ es zwischen den beiden gehörig. Aber Martijns Ruf als „Womanizer“ hielt Dani davon ab, sich mit ihrem Kollegen einzulassen. Während Martijn im Zuge seiner Ausbildung zum Sportlehrer immer wieder für Praktika nach Kitzbühel kam, verließ Dani ihre Heimatstadt und ging nach Kärnten und später nach Wien, wo sie in der Gastronomie arbeitete. Für acht Jahre verloren sich die beiden aus den Augen. Um sich dann im „Londoner“ in Kitzbühel eines Tages wieder – zufällig oder vom Schicksal gelenkt – über den Weg zu laufen. „Und dann wollte ich sie nimmer gehen lassen“, sagt Martijn. Und doch ging er damals noch für sechs Monate nach Australien und Südafrika. In dieser Zeit skypten er und Dani jeden Tag stundenlang. Obwohl beide sich eigentlich nicht fix binden wollten, obwohl sie sich nicht ineinander verlieben wollten. Eigentlich. Als er im Herbst 2015 zurückkam, zog Martijn direkt bei Dani ein.
Frisch verlobt
Gemeinsam unternahmen sie Reisen in ferne Länder. Meist mit dem Rucksack, ohne feste Buchungen und Ziele. In Südostasien machte Martijn seiner Liebsten einen Heiratsantrag – nachdem er Tage und Wochen zuvor auf den perfekten Moment gewartet hatte. Jener war nie gekommen, immer hatte etwas die Idylle gestört – bei der Kanufahrt war es der Plastikmüll gewesen, der am Ruder hängenblieb, am Strand die betrunkenen Mitbadenden. Martijn war deshalb schon richtig grantig. Als ihn Dani darauf ansprach, rückte er endlich mit der Sache heraus: „Weißt du was? Ich pfeife auf den perfekten Moment, der kommt sowieso nicht, und ich will nicht länger warten. Ich frage dich jetzt ganz einfach, ob du mich heiraten willst.“ Martijn und Daniela lachen herzlich, als sie davon erzählen, und tauschen bedeutungsvolle Blicke. Ring gab es damals übrigens keinen. Die darauffolgende Nacht verbrachten sie in einer Jugendherberge – in einem Mehrbettzimmer, jeder für sich in einem Stockbett. „Und ich habe auf die Pritsche über mir geschaut und mir gedacht, jetzt bin ich also verlobt“, erzählt Dani schmunzelnd. Die Begebenheit ist charakteristisch für die beiden: Sie nehmen das Leben, wie es kommt. Unkompliziert, entspannt und immer flexibel. „Wenn sich etwas richtig anfühlt, dann passt es“, sagt Dani.
Der Ernst des Lebens
2017 heirateten die beiden, letztes Jahr kam ihr Sohn Xaver zur Welt. Mit der Hochzeit und Elternschaft änderte sich das Leben für Dani und Martijn völlig. „Die Veränderung findet im Kopf statt“, erklärt Dani. Mit der Hochzeit komme das gesellschaftliche „Aber das tut man doch“. Und wenn man Kinder wolle, dann sollte man sich um ein Eigenheim kümmern, Nest bauen, für Sicherheit sorgen, Wurzeln schlagen. Dani und Martijn fanden die Wohnung in St. Johann, starteten die Finanzierung und fügten sich in die neue Situation. „Plötzlich bist du von ,Wir ziehen mit dem Rucksack durch die Welt und wissen nicht, wo wir morgen sind’ bei ,Du musst Betrag X für Kredit und Leasing jeden Monat parat haben’“, formuliert es Dani. In den letzten fünf Jahren trat Verantwortung an die Stelle von Leichtigkeit und Freiheit. Der „Ernst des Lebens“ holte das Paar ein. Es stellte sich zuletzt die Frage, ob diese Lebensweise richtig ist, ob sie die kleine Familie glücklich macht. Die Antwort lautete: nein.
Martijn: „Die spontane, lustige, freiheitsliebende Dani von früher existiert fast nicht mehr, die ist in den Hintergrund getreten.“ Er habe die andere Dani, die vernünftige und ernsthafte, auch geliebt und gebraucht. Aber er vermisse die Dani von damals, gesteht er. „Ich vermisse die Dani von früher selbst am meisten“, sagt Dani. Das sei auch der Grund gewesen, warum der Plan gewachsen sei. Der Plan, die Wohnung zu verkaufen und mit einem Segelschiff in ein neues, freieres Leben zu navigieren.
Leben 2.0 beginnt
Wobei die Sache mit dem Segeln so einfach nicht ist, zumal weder Dani noch Martijn segeln können – oder, besser gesagt, konnten. Inzwischen haben beide den Segelschein gemacht. Mit professioneller Hilfe werden sie im Oktober auf die Suche nach einem passenden Schiff gehen und dann – immer mit Unterstützung von erfahrenen Segler – zusammen mit ihrem kleinen Sohn die Anker lichten. Dann beginnt ihr Leben 2.0.
Es ist keine Weltreise, die sie antreten. Es ist die Erfüllung des Traumes, dass sie sich weiterhin die Welt ansehen und ihrem Kind wichtige Werte vermitteln können: Wenn du Träume hast, erfülle sie dir! „Das muss man vorleben“, sagt Dani. „Ich möchte, dass uns unser Kind so kennenlernt, wie wir wirklich sind.“ Xaver soll die „echte Dani“ kennenlernen, nicht nur die Mutter, die den Alltag organisiert. Er soll vom „echten Martijn“ lernen, nicht nur von jenem, der in der Eisdiele das Geld zum Leben verdient. Dani sagt, sie sei sehr dankbar für die letzten Jahre, für die Zeit, in der sie und Martijn wachsen durften. Sie habe ihnen vieles klar gemacht. Vor allem auch, dass es sich für sie nicht richtig anfühlt, die Betreuung ihres kleinen Kindes in die Hände anderer zu geben, um selbst einen FulltimeJob anzunehmen, damit die Wohnung zu finanzieren ist.
Erfahrungen teilen
Vielleicht wird es irgendwann einmal über den Atlantik gehen. „Unser Plan ist, keinen Plan zu haben“, so Dani. Sie und Martijn lassen sich alle Optionen offen. Sicherheit ist bei der Unternehmung aber ein sehr wichtiges Thema. Dani: „Better safe than sorry!“ Sie lassen es beim Segeln ganz langsam angehen und wollen viel Erfahrung sammeln, bevor sie sich an ferne Ziele wagen. Wenn überhaupt. Ihr Schiff wird zunächst wohl im Mittelmeer unterwegs sein. Dort, wo sie vor Anker gehen, werden sie sich manchmal auch einen Job suchen, den sie sich vielleicht sogar – wenn möglich – teilen. Beide kommen aus der Gastronomie, etwas Passendes zu finden, sollte nicht schwer sein. Sie wollen sich zudem mit den landwirtschaftlichen Produkten der jeweiligen Region auseinandersetzen, Produzenten besuchen, Gerichte kochen und ihre Erfahrungen und auch Rezepte über die Sozialen Medien mit Menschen aus aller Welt teilen. „Hochwertige Lebensmittel verdienen unsere Wertschätzung, das wollen wir auch unserem Kind vermitteln. Xaver und unsere Follower, die wir hoffentlich gewinnen können, sollen erleben, wie viel Arbeit und Liebe hinter ihrer Produktion stecken“, so Dani.
Sollte sich nach einem halben Jahr herausstellen, dass doch alles ganz anders ist als erwartet, dann wird das Projekt abgebrochen. Das ist jederzeit möglich. Wenn alles klappt, will die junge Familie erst dann wieder zurückkommen, wenn Xaver eingeschult wird, also in etwa fünf Jahren. Denn dann sei das soziale Umfeld für ihn wichtiger als im Kleinkindalter, so Dani. Xaver soll die Möglichkeit haben, in einem Team zum Beispiel Fußball zu spielen und bleibende Freundschaften zu schließen. Danis und Martijns Wunsch ist es, bei ihrer Rückkehr in der Region ein kleines Hotel zu übernehmen und dort mit der Familie einzuziehen. Doch bevor sie sich wieder fest an einen Ort binden, wollen sie noch einmal hinaus in die Welt. Frei von vielen Zwängen, selbstbestimmt und ohne großen Plan. Darüber, wie es ihnen dabei ergeht und was sie alles erleben, werden wir immer wieder einmal berichten.
Doris Martinz