Anna Aichholzer ist Soldatin in der Wintersteller-Kaserne in St. Johann. Von Gehorsam, ihrer Stärke als Frau und mehr.

Dort drüben ist die Frau Wachtmeister“, antwortet ein junger Mann in Uniform auf meine Frage nach Anna Aichholzer. Da geht sie auch schon über den Kasernenhof auf mich zu. Oder besser gesagt: Sie schreitet, ihr Schritt hat nichts Bummelndes. Sie ist ungefähr so „groß“ wie ich – um die 1,60 Meter würde ich sagen, die Figur sehr drahtig. Langes, brünettes Haar, das zu einem Zopf geflochten ist. Und Augen in Vergissmeinnicht-Blau. „Komm, wir setzen uns ins Kasernen-Café!“, sagt sie. Presseoffizier Major Mag. (FH) Christoph Seidner gesellt sich zu uns.
Bei einer Tasse Kaffee erzählt Anna, wie es dazu kam, dass sie die Bundesheer-Uniform trägt.
Sie stammt aus Kärnten und wächst mit den Eltern und ihrer jüngeren Schwester in der Nähe des Faakersees auf. Sie spielt mit den Kindern in der Nachbarschaft, und auch mit Puppen. Allerdings, so sagt sie, sei sie immer ein „renitentes“ Mädchen gewesen. Also ziemlich widerspenstig. „Goschert“, konkretisiert sie lachend. Spitzbübisch sei sie gewesen. Und auf jeden Fall immer schon sehr sportlich. Laufen, radeln, klettern, Skitouren gehen … schon als Kind ist Anna liebend gerne draußen unterwegs. Sie ist aber auch eine gute, ehrgeizige Schülerin, macht die Matura und zieht nach Innsbruck, um dort Betriebswirtschaft zu studieren. Natürlich schließt sie es auch ab, denn: „Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, ziehe ich es durch. Auch wenn etwas vielleicht einmal nicht so toll laufen sollte, will ich es zum Abschluss bringen.“
Als sie in Innsbruck ihre Wohnung bezieht, fällt ihr Blick aus dem Fenster auf die Nordkette mit ihren steilen Flanken und Gipfeln. Ein Anblick, der für sie nicht auszuhalten ist – sie muss hinauf! Bereits in den ersten beiden Wochen in Innsbruck erklimmt sie alle Gipfel der Nordkette. Danach kann sie wieder beruhigt aus dem Fenster sehen. Sie absolviert Wettkämpfe, platziert sich beispielsweise beim „Pitz Alpine Glacier Trail“ (2.800 Höhenmeter, 44 Kilometer) unter den besten zehn, wird beim Karwendelmarsch Vierte. „Ich mache halt gerne Sport“, sagt sie dazu. Als wären solche körperlichen Höchstleistungen das Normalste auf der Welt.
Nach dem Studium möchte die heute 34-Jährige gleich in die Berufswelt einsteigen  – doch es ist gar nicht so einfach, einen passenden Job zu bekommen. Sie ist enttäuscht. Inzwischen ist auch ihre Schwester zum Studieren nach Innsbruck gezogen, bei einem „Schwesternabend“ verfolgen die beiden im Fernsehen eine Reportage über die Alpinausbildung beim Bundesheer. Es wäre gar nicht so übel, das Hobby, den Sport, beim Bundesheer zum Beruf zu machen, überlegt Anna. Sie hatte noch nie etwas mit dem „Barras“ zu tun. Aber was sie im Fernsehen sieht, gefällt ihr. Sie wendet sich an das Heeres-Personalamt und gibt dort eine Freiwilligenmeldung ab. Damals, vor sieben Jahren, kommt für sie als Frau nur die 18-monatige Kaderanwärterausbildung für Unteroffiziere in Frage, heute können Frauen – wie ihre männliche Kollegen – ihre Karriere beim Heer über den Grundwehrdienst beginnen. Oder auch über das Bundesheer studieren.

Liebe auf den zweiten Blick

Die Kärntnerin unterzieht sich in Wels der viertägigen­ Kadereignungsprüfung: Sie muss beweisen, dass sie sowohl körperlich als auch psychisch belastbar und team­tauglich ist.
„Die Tage haben gut gepasst“, sagt Anna. Schon in Wels entscheidet sie sich, nach der Ausbildung nach St. Johann zu gehen – hier sind die „Jäger“ stationiert, hier ist die Alpinausbildung das Hauptthema. Aber zuerst geht’s zum Grundwehrdienst nach Spittal, wo Anna eine von acht Frauen unter 70 Männern ist. „Kein Problem!“, sagt sie. Was ihr mehr Kopfzerbrechen beschert, ist die Tatsache, dass man wenig Sport macht, sie hat sich das alles ganz anders vorgestellt und beschließt, nach den sechs Monaten auszusteigen. Ihr Vorgesetzter aber überredet sie weiterzumachen. Aus gutem Grund: „Im zweiten Teil war Action, gleich in den ersten drei Tagen stand Marschieren auf dem Programm, das hat mir getaugt.“ Anna ist damals die einzige Frau unter zirka 70 Männern. Kein Thema, sie ist topfit. „Außerdem sind die Männer ja auch nicht alle Weltklasse!“ Sie kann locker mithalten. Aber wie ist das mit so vielen männlichen Kollegen? Gibt es da nicht Sticheleien oder vielleicht sogar Belästigungen und Übergriffe? „Nein, diese Erfahrung habe ich persönlich nie gemacht, das läuft alles sehr korrekt. Wenn man verbal und mit Körpersprache klar kommuniziert, passt das“, so Anna. Natürlich sei sie mit ihren Kollegen abends auch einmal ausgegangen, habe ein Bier oder zwei mit ihnen getrunken. In der Feldlagerwoche schlafe man Kopf an Kopf. Aber das habe sie nie als unangenehm empfunden.
Vor der Öffnung des Bundesheeres für Frauen habe im Vorfeld viel Ausbildung und Sensibilisierung stattgefunden, erklärt Presse­offizier Seidner. Man reagiere sehr sensibel, sollte es Probleme geben. „Eine dickere Haut zu haben ist in diesem Beruf nicht verkehrt, weil man bei Übungen doch auf engstem Raum viel Zeit miteinander verbringt. Das sind schon Belastungsproben für Teams. Da gibt es schon Reibereien, aber die gibt es auch unter Männern, das gehört dazu“, sagt Anna. Sie fühle sich von ihren Kollegen durchaus geschätzt, meint sie. „Wenn man irgendwo hineinkriechen muss, bin ich gefragt, dann ist meine Körpergröße ein Vorteil. In anderen Situationen wiederum bitte ich um Hilfe. Die Kompanie ist ein Abbild der Gesellschaft, sie lebt von der Vielfalt.“ Jeder müsse sich beweisen: Auch Männer, die klein gewachsen seien. Oder „Muskelpakete“, die beim Dauerlauf ihre Probleme haben. Aber: „Wenn man vom Charakter oder der Einstellung her sehr sensibel ist, dann geht das nicht beim Bundesheer. Auch für Männer nicht.“ Zweimal am Tag die Unterhose zu wechseln, würde sich nicht immer ausgehen, meint sie augenzwinkernd. Anna ist also keine „Prinzessin“? „Die bin ich schon manchmal“, sagt sie lachend, „aber nur daheim.“
Wie ist das eigentlich mit der Unterordnung? Anna war, wie sie selbst erzählt, ein renitentes Mädchen, auch heute noch ist sie offensichtlich alles andere als auf den Mund gefallen. Man lerne, sich zu beherrschen, sagt Anna. „Manches denke ich mir halt einfach.“ Loyalität sei ihr wichtig, im Leben wie in der Kompanie. Damit sei eben auch ein gewisses Maß an Gehorsamkeit verbunden.
Auch mit der Uniform hat sie übrigens kein Problem: „Die schaut schneidig aus und erfüllt ihren Zweck. So muss ich mein eigenes Gewand nicht schmutzig machen und mir in der Früh nicht überlegen, was ich anziehe.“

Die Sache mit den Waffen

Seit fünf Jahren ist Anna nun beim Bundesheer, sie hat es noch keine Minute bereut. Heuer im Mai wurde sie zur Nachschubs-Unteroffizierin befördert und verwaltet nun das komplette Gerät der Kompanie. Ihr Lebensgefährte ist ebenfalls Soldat, die beiden wohnen im Pillerseetal. Wollen sie bald eine Familie gründen? „Nein, solange es keine Umstandsmode für Kletterinnen gibt, ist das kein Thema“, sagt Anna scherzend. Ein Kind passe wirklich nicht in ihr Lebenskonzept, sie wolle unabhängig und frei sein, so Anna. Und gemeinsam mit ihrer Schwester noch den einen oder anderen Viertausender bezwingen.
Sport ist nur ein Bereich beim Bundesheer, der Waffengebrauch ist ein anderer. Im äußersten Fall der Fälle, der hoffentlich niemals eintritt, gibt Anna in der Wintersteller-Kaserne die Waffen aus. Kann sie sich vorstellen, ihr Sturmgewehr gegen einen Menschen zu richten? Sie überlegt. Und sagt dann: „Im Krieg sind alle Gesetze außer Kraft gesetzt. Ich glaube, bevor mir jemand das Leben nimmt, bin ich lieber schneller.“
Auf jeden Fall würde sie für ihre Truppe, und auch für ihr Vaterland, alles tun, was notwendig ist. Ein gewisser Patriotismus gehöre dazu, meint sie. Sie vertrete ihr Land auch im Ausland und in jeder Lebenslage. Ihr Beruf mache sie stolz und erfülle sie. „Eigentlich hat sich noch kein einziger Tag wie Arbeit angefühlt.“ Sie hat viel gelernt in den Jahren. Auch eine der Grundregeln beim Bundesheer, die mir der Presseoffizier verrät: „Alles, was sich bewegt, wird gegrüßt. Alles, was sich nicht bewegt, wird geputzt.“

Schule fürs Leben

Anna hat beim Bundesheer bereits viele schöne Momente erlebt. Dazu zählt sie Übungen, die ihre Truppe zusammengeschweißt haben. Und interessanterweise auch eine „Sickerübung“, bei der sie sich fünf Tage lang alleine im Gelände durchschlagen musste. Bei strömendem Regen. Das Wetter habe die Freude schon ein wenig gebremst, räumt sie ein. Aber sonst sei es einfach super gewesen. Es fühle sich gut an, an seine Grenzen zu gehen und sie auch einmal zu überwinden. Nicht nur körperlich, auch mental. Aus fordernden Übungen nehme sie viel mit fürs Leben, sie sei als Soldatin im zivilen Leben noch belastbarer und gelassener geworden.
Ein Moment, der ihr in Erinnerung bleibt, ist auch jener, als sie beim Grenzschutz im Burgenland im Einsatz war. Man hielt einen Transporter mit 40 Flüchtlingen an, darunter auch Frauen und Kinder. „Sie waren furchtbaren Bedingungen ausgesetzt, hatten nichts zu trinken, waren vollkommen verzweifelt. Das einmal zu erleben, öffnet einem die Augen.“
Dass sie, eine Frau, bei diesem Einsatz dabei war, habe sich als „Goldes wert“ erwiesen, erzählt Anna. Sie habe die Identitätsfeststellung übernehmen können. „Und außerdem wirkt eine Frau, auch wenn sie  – wie ihre Kollegen  – bewaffnet ist, immer beruhigender auf die Menschen, vor allem auf Kinder. So können Situationen gedämpft werden.“ Im Übrigen hätte sich auch schon so mancher Grundwehrdiener in der Kaserne mit persönlichen Pro­blemen an sie gewandt – mit einer Frau rede es sich leichter.
Anna ist mit Herz und Seele Soldatin, sie hat ihren Platz in der Wintersteller-Kaserne gefunden. „Staudenhupfen“ nennen manche scherzend die Truppenübungen im Gelände. Für Anna sind sie nicht Qual, sondern das pure Vergnügen. Weil sie dabei über sich selbst hinauswächst. Die 1,60 Meter Körpergröße sind nur eine Zahl.

Doris Martinz