Ein Gespräch mit Katja Gasteiger und Max Groll über neue Ansätze und den Wert individueller Therapien.
In Österreich leben aktuellen Schätzungen zufolge zirka 130.000 Personen mit einer Form der Demenz, der „Geißel des Alters“, wie die Erkrankung auch genannt wird. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2050 voraussichtlich verdoppeln. Die Diagnose Demenz oder auch Alzheimer, eine der bekanntesten Formen von Demenz, ist immer ein Schock für die Betroffenen und deren Angehörige. Viele reagieren mit Ratlosigkeit, Hilflosigkeit oder Angst. „Das ist verständlich“, so Katja Gasteiger, Wahl-Kitzbühelerin mit Schweizer Wurzeln. Sie hat in ihrer Heimat die Ausbildung zur „Pflegefachfrau FH“ absolviert und war Pflegedienstleiterin im Altersheim Brixen im Thale. In der Pflege hat sie sich auf den Bereich Demenz spezialisiert und begleitet seit Jahren Betroffene und Angehörige.
Seit einiger Zeit steht sie im Austausch mit Max Groll. Der ehemalige Pilot hat in den Räumen von „Direktfit“ in St. Johann eine Höhenkammer eingerichtet, in der sich ambitionierte Sportlerinnen und Sportler auf Touren und Expeditionen in großen Höhen vorbereiten oder ganz allgemein sehr effizient ihre Leistungsfähigkeit verbessern. Neu ist die wissenschaftliche Erkenntnis, dass der Aufenthalt in der Höhenkammer auch positiv auf die geistige Leistungsfähigkeit wirkt und damit für Menschen mit Demenz eine Rolle spielt. Warum das so ist, erklärt Max Groll: „Wenn wir uns geistig anstrengen, löst das in den Nervenzellen des Gehirns einen leichten Sauerstoffmangel aus, in der Medizin nennt man das eine funktionelle Hypoxie. Diese Hypoxie regt die Produktion von Erythropoetin (EPO) in den aktiven Nervenzellen an. Dadurch werden neue Nervenzellen gebildet, und die Zellen verbinden sich effektiver untereinander.“ Dank des geringeren Sauerstoffgehalts wird in der Höhenkammer der Effekt noch verstärkt. Max Groll nützt diesen Umstand bei der Therapie von Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Er lässt sie in der Kammer komplexe motorische Aufgaben lösen – sie arbeiten mit Bauklötzen, spielen Mikado oder mit Dominosteinen. „Wichtig ist, dass sie ungewohnte Tätigkeiten ausführen und ihre Augen-Hand-Koordination dabei gefordert ist“, weiß Groll. Bewegung auf dem Laufband aktiviert den Sauerstoffwechsel – ein weiterer positiver Effekt. Während der Therapie wechseln Patient:innen zwischen geistiger und physischer Aktivität. Auch Angehörige beziehungsweise die Begleitperson profitiert von den Effekten – ganz nebenbei.
Eine Heilung Demenzkranker kann Max Groll in der Höhenkammer freilich nicht versprechen. „Es deutet aber vieles darauf hin, dass der Verlauf der Krankheit verzögert werden kann.“
Das Körpergedächtnis bleibt lange aktiv
„Es gibt leider kein Wundermittel gegen Demenz“, betont auch Katja Gasteiger bei unserem gemeinsamen Gespräch in den „Direktfit“-Räumen. Sie weiß jedoch, wie wichtig ein neuer Therapieansatz ist – in diesem Fall ein Angebot, das sich nicht nur auf das „Leistungsgedächtnis“ konzentriere. „Es geht auch um das Körpergedächtnis. Menschen, die Geige spielen, beherrschen das Instrument auch mit einer Demenz-Diagnose noch längere Zeit, die Erinnerung kommt ganz automatisch. Menschen, die Rad- oder Skifahren, können noch lange sportlich bleiben. Es ist wichtig, auf ihre Fähigkeiten einzugehen und sie zu fördern“, erklärt sie. Diese Möglichkeit sehe sie bei Max Groll, der sehr individuell und mit viel Einfühlungsvermögen auf die Bedürfnisse der Betroffenen eingehe. „So eine individuelle Betreuung ist unheimlich wertvoll.“
Wichtig sei es, so Katja Gasteiger, dass Betroffene „Selbstwirksamkeit“ erfahren, das erhöhe ihren Selbstwert. Sie erläutert: „Viele Menschen mit Demenz haben einen niedrigen Selbstwert, weil sie im Alltag erleben, dass vieles nicht mehr geht. Wenn sie jedoch positive Erfahrungen machen und feststellen, dass einiges noch möglich ist, finden sie Bestätigung. Sie sind motiviert und leiden weniger oft an Depressionen, die nicht selten zum Beispiel mit Alzheimer-Demenz einher gehen.“ Alles, was ihnen guttue und ihre Motivation stärke, sei gut für Betroffene, ihre Gedächtnisleistung könne sich mitunter sogar wieder verbessern.
Ein Marathon, kein Sprint
Die Diagnose Demenz bedeute zuerst einen Riesenschock für die Betroffenen und ihr gesamtes Umfeld, weiß Katja. Der Umgang damit sei unterschiedlich, es gebe „Tun-Menschen“ und „Seins-Menschen“. Während die erste Kategorie aktiv werde, nach Therapien und alternativen Behandlungsmethoden suche, vertraue die andere auf Medikamente (die im Übrigen keine Heilung bringen, sondern den Verlauf der Erkrankung nur verzögern können).
Der Verlauf der Erkrankung bringe viele kleine Abschiede vom gewohnten Leben mit sich, entsprechend lang und immer wieder intensiv sei der Trauerprozess für Betroffene und Pflegende – eine belastende Situation. „Angehörige von Demenzkranken sind die am meisten gefährdete Gruppe, an Burnout zu erkranken“, so die Demenz-Spezialistin. Die Begleitung Demenzkranker sei kein Sprint, sondern ein Marathon.
Bei ihrer beratenden Tätigkeit arbeitet Katja nach den Richtlinien der „EduKation demenz®“ nach Prof. Dr. Sabine Engel, dem wissenschaftlich aktuellsten Modell, das immer wieder evaluiert wird. Im Mittelpunkt steht dabei die Kommunikation mit den Betroffenen. In zehnwöchigen Kursen (insgesamt 20 Stunden) lernen die Angehörigen von ihr, was im Gehirn dementer Personen passiert und wie sie am besten mit dem oder der Erkrankten umgehen. Und wie sie sich selbst vor vollständiger Überlastung schützen und ihre Batterien wieder aufladen.
Es braucht individuelle Angebote
Immer wieder hört Katja Gasteiger von pflegenden Angehörigen die Aussage: „Wir schaffen das schon, wir übernehmen die Pflege bis zum Schluss daheim.“ Ein zu hohes Ziel, weiß die 43-Jährige: „Irgendwann ist das Heim der richtige Ort, hier finden Erkrankte die Struktur und den Halt, den sie brauchen.“ Es sei wichtig, schon früh ein Netzwerk aufzubauen, damit der oder die Betroffene noch neue Kontakte aufbauen kann zu Menschen, die später bei der Betreuung helfen. Jene ende ja nicht damit, dass Erkrankte zur Betreuung ins Heim wechseln. „Die innere Zuständigkeit hört nie auf.“
„Manche Menschen mit Demenz könnten wohl länger daheim betreut werden, wenn ihre Angehörigen mehr Entlastung hätten“, meint Max Groll aus seiner Erfahrung heraus. „Ein positives Lebensgefühl ist wichtig für die Erkrankten, aber genauso wichtig ist es auch für die Betreuenden.“ In seinen Räumen bietet er ihnen Behandlungen wie „Dry Floating“, eine wirksame Methode gegen Stress, an.
Gerade am Anfang einer Demenzerkrankung können Therapien noch viel bewirken. Da die Emotionen der Betroffenen oft recht ungefiltert an die Oberfläche kommen, können Beziehungen in der Familie sogar besser werden, so Katja Gasteiger. „Es gibt ein gutes Leben mit Demenz, doch es braucht individuelle Angebote.“ Das Training in der Höhenkammer ist eines davon. Katja Gasteiger und Max Groll setzen sich beide auf ihre Weise dafür ein, Demenzerkrankte und ihre Angehörigen zu unterstützen und ihnen den Weg ein wenig leichter zu machen.
In der „Servicestelle Demenz“ der Caritas in der Fieberbrunner Straße in St. Johann ist Katja Gasteiger einmal wöchentlich persönlich anzutreffen. Einfach einen Termin vereinbaren!
Tel. 0676/848210-336, der Service ist kostenlos.
Infos zum Höhenkammertraining auf www.direkt.fit
Doris Martinz