Brigitte Staffner erzählt von „Wunschfahrten“, die sie als Freiwillige mit dem Samariterbund unternimmt.

Die großen blauen Ster­ne auf dem weißen Auto fallen auf: „Macht Wünsche wahr“, steht darauf geschrieben. Wann immer der adaptierte Rettungswagen des Samariterbunds mit den Sternen unterwegs ist, wird tatsächlich ein sehnlicher Wunsch wahr – oft der letzte.
Der Rettungsdienst erfüllt schwerstkranken Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ihre Herzenswünsche: Noch einmal den Heimatort besuchen, für ein paar Stunden bei der Taufe des Enkels dabei sein oder auch nur ein letztes Mal die Pferde auf der Weide streicheln. So bescheiden manche Wünsche sind: Familie und Freunde können sie nicht erfüllen, weil es der schlechte Gesundheitszustand der erkrankten Person nicht zulässt.
Seit 2017 gibt es das Angebot des Samariterbunds, über 60 Wunschfahrten wurden 2023 österreichweit mit zwei Autos unternommen – eines davon ist in Tirol stationiert. Die Fahrten werden durch Spenden finanziert und von Rettungssanitäter:innen und ausgebildeten Pflegekräften begleitet, die ehrenamtlich im Einsatz sind. Eine Angehörige/ein Angehöriger darf kostenlos mitfahren.
Zu den freiwilligen Begleitenden zählt die St. Johannerin Brigitte. Schon mehrere Male hat sie heuer als Pflegefachkraft eine Wunschfahrt mitgemacht. Aufmerksam auf die Aktion wurde die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und Kräuterfachfrau in den Medien. „Ich habe mir sofort gedacht, dass das ideal wäre für mich, weil man sich nur meldet, wenn man zum ausgeschriebenen Termin Zeit hat“, so Brigitte.

Auf die Alm und rund um den See

Im Jänner dieses Jahres ging Brigitte das erste Mal auf Wunschfahrt. Mit einer 74-Jährigen, die seit ein paar Monaten im Pflegeheim gewohnt hatte, fuhr das Team zu einem Berggasthof am Niederndorferberg. Brigitte nahm an, dass die Dame mit dem Gasthof eine ganz besondere Erinnerung verband, bekam auf ihre Frage hin aber eine überraschende Antwort: „Ich möchte gerne da hin, weil meine Freundinnen erzählen, dass es dort so nett ist. Das will ich mir ansehen und ein Schnitzel essen!“ Gewünscht – organisiert. Es kamen Verwandte und viele Freunde, man verbrachte gemeinsam fröhliche Stunden. Obwohl die Dame in den letzten Wochen sehr schwach gewesen war, wollte sie sich nicht hinlegen. „Sie hat alle verbliebenen Kräfte zusammengenommen und in ihrem Rollstuhl durchgehalten“, erinnert sich Brigitte. Als die Partie die Rückfahrt antrat, sei die Reiselustige wie eine Königin im Wunschauto gesessen und habe über das ganze Gesicht gestrahlt. Und dann gefragt, ob es wohl möglich wäre, eine Runde um den Walchsee zu drehen – weil sie in Walchsee aufgewachsen sei. Auch diesen Wunsch konnte man ihr erfüllen. Danach bat sie darum, einen Sprung in ihrem Zuhause vorbeizufahren, damit man nach einem Rosenkranz suchen könne, den sie verlegt hatte. Und weil man ja schon da war, besuchte man gleich auch noch den Onkel, 95 Jahre alt, der nebenan wohnt. „Es war ein freudiges, ergreifendes Wiedersehen“, schildert Brigitte die Szene. „Die beiden haben sich an den Händen gehalten, geplaudert, es flossen Tränen. Die beiden wussten, dass es das letzte Wiedersehen war.“ Später brachte das Team die Dame wieder zurück ins Pflegeheim. Sie stand danach nicht mehr auf, verließ das Bett nicht mehr und starb vier Tage später. „An jenem Tag hat sie Abschied genommen von ihrem Leben und konnte loslassen. Das kommt nach einer Wunschfahrt oft vor.“

Ins Burgenland und auf den Berg

Durch intensives Training mit dem Rollator bereitete sich eine andere Dame in der Steiermark auf die Wunschfahrt vor. „Sie hatte Angst, dass wir sie im Rollstuhl nicht mitnehmen“, schmunzelt Brigitte. Mit der 91-Jährigen ging es auf einen letzten Besuch bei ihrer Tochter im Burgenland. Einmal noch im Garten gemeinsam Kaffee trinken, zum Neusiedlersee fahren, zusammen Zeit verbringen, all das konnte man ihr ermöglichen. „Die Dame war in den Wochen zuvor mehrmals sterbend, an diesem Tag hätte sie nichts davon abhalten können, mit dem Rollstuhl die kurzen Strecken in Angriff zu nehmen.“
Eine dritte Dame wiederum wurde liegend auf eine Alm transportiert, die sie früher oft mit ihrem Mann besucht hatte. Die Wirtsleute trauten ihren Augen kaum und freuten sich sehr, als sie ihren lieben Gast nach langer Zeit wieder sahen. Es wurden ausgelassene Stunden. Der Wirt spielte mit der Ziehharmonika auf und die Dame, die zuvor zu kaum einer Bewegung mehr imstande gewesen war, machte Anstalten zu dirigieren. „Bei den Wunschfahrten erleben wir bewegende Momente, die das ganze Team nicht mehr vergisst“, so Brigitte.
Das gilt auch für den Augenblick, in dem ein alter Mann auf dem Brandstadl zu „seinem“ Wilden Kaiser hinüberblickte. Er hatte sich die Fahrt auf den Berg gewünscht und meinte, er werde am nächsten Tag wieder fahren. Das ließ er sich nicht ausreden, er war völlig überzeugt davon. Er starb am nächsten Tag. „Ich denke, dass er das gewusst hat und symbolisch gesprochen hat“, meint Brigitte.
„Es sind bescheidene Wünsche, die schwerkranke Menschen äußern. Sie möchten gerne noch einmal liebe Menschen sehen, manchmal auch Tiere oder Plätze in der Natur aufsuchen. Noch niemals, so Brigitte, seien materielle Wünsche geäußert worden. „Solche Dinge verlieren am Ende des Lebens an Wert.“ Das Einfangen von Erinnerungen und positiven Gefühlen an schönen Orten und mit lieben Menschen stehe im Vordergrund und ermögliche ein gutes Loslassen. Vielleicht ist uns im Leben nicht immer bewusst, was wirklich zählt. Wenn es zu Ende geht, wird es uns offensichtlich klar.
Doris Martinz

Alle Infos zur Wunschfahrt findet ihr hier:
www.samariterbund.net