Vor 11 Jahren gründete Manuela Erber einen Kindergarten im Kongo, heute beschäftigt sie 170 Mitarbeiter:innen.
Die Kommunikation ist nicht ganz einfach. Manuela schickt mir im Sommer Sprachnachrichten über WhatsApp, meist in der Nacht, weil zu dieser Zeit das Internet am besten funktioniert. Sie erzählt mir von ihrem Projekt, das sie vor elf Jahren in Angriff genommen hat. Als 20-Jährige zog sie aus, um in der Demokratischen Republik Kongo einen Kindergarten aufzubauen. Heute gibt es neben dem Kindergarten auch eine Grundschule, eine Krankenstation, ein Landwirtschafts- und Ernährungsprogramm, ein Nähstudio und eine Holzwerkstatt. Derzeit wird am eigenen Krankenhaus und an der Sekundarschule gebaut.
Den Sommer verbringen Manuela und ihre zweijährige Tochter Elodie im Kongo, während ihr Mann Kerby in Südafrika in der US-amerikanischen Botschaft arbeitet. Elodie braucht ein wenig, um sich nach der Zeit in Tirol wieder in Afrika einzugewöhnen: Alles ist hier anders, das Essen, das Moskitonetz über dem Bett, in das man abends hineinkriechen muss, die Menschen, die Dunkelheit am Abend. „Wenn die Sonne untergeht, ist es hier dunkel, nirgendwo ist Licht“, erzählt Manuela. Mit einem kleinen Lämpchen sorgt sie im Haus für Beleuchtung.
Morgens, wenn es hell ist, läuft Elodie hinaus, ruft „Nyima, Nyima!“ und damit nach dem Nachbarbuben, er ist der beste Freund der Kleinen. Auch mit den vielen anderen Kindern spielt sie gerne. Wenn sie zwischendurch hungrig wird, gibt es ein Stück Obst, zum Beispiel eine Banane. Die Auswahl an Essbarem ist klein, und Kühlschrank gibt es keinen.
Die Mutterschaft hat Manuela verändert, sie ist jetzt viel vorsichtiger als früher. Abends bleibt sie im Haus, sie meidet große Menschenansammlungen und lässt auch bei Elodie regelmäßig Bluttests machen. Immer wieder taucht Typhus in der Region auf, die Krankheit ist leicht übertragbar. Und doch ist Tshumbe Manuelas zweites Zuhause. „Elodie erfährt hier, dass man nicht immer alles Materielle hat im Leben, sie taucht in zwei Lebenswelten ein, und das finde ich gut“, sagt sie über WhatsApp. Vor allem aber lerne ihre Tochter, dass alle Menschen gleich sind, unabhängig von Hautfarbe oder sozialem Status. „Menschen sind hier Menschen.“
Früher Tagesbeginn
Für gewöhnlich steht Manuela um halb sechs Uhr morgens auf, es ist dann noch dunkel. Um halb sieben trifft sie die ersten Mitarbeiter des Projekts, die dies und das von ihr brauchen.
Die tägliche Morgenbesprechung findet um halb acht mit allen Beteiligten statt. Man klärt, was an jenem Tag zu tun ist, welche Probleme und welche Lösungen es dafür gibt, teilt ein, wer in welcher Abteilung hilft und mehr. Im Prinzip sei das Projekt wie eine Firma zu managen, so Manuela. Sie hat 107 fixe Mitarbeiter:innen und insgesamt oft 120 Leute, die einzuteilen sind. Damit ist ihr Unterfangen, das aus mehreren kleineren Projekten wie der Schule und dem Krankenhaus besteht, der größte Arbeitgeber der Provinz. „Jeder muss wissen, was er zu tun hat.“ Kaum jemand von den Leuten, die sie beschäftigt, hatte jemals zuvor einen fixen Arbeitsplatz, viele haben keine Schule besucht und sind Analphabeten. „Im Umgang mit all den Menschen braucht es viel Einfühlungsvermögen, das ist schon eine tägliche Herausforderung.“ Ihre Mitarbeiter:innen haben nie gelernt, wie man mit Lohn umgeht, wie man Ersparnisse anlegt oder Vorräte einkauft. Sie wissen auch nicht, wie man sich vor Typhus schützt. „All das lehren wir sie in persönlichen Gesprächen und Workshops. Die Menschen sind sehr wissbegierig und lernen schnell.“
Glück und Leid
Wenn alles geklärt ist, schaut Manuela in der Schule vorbei, im Kindergarten und in der Krankenstation. Elodie ist mit dabei oder sie bleibt unter der Obhut einer guten Freundin. Auf ihrem Rundgang wird Manuela mit unzähligen Schicksalen und Herausforderungen konfrontiert. „Jeden Tag geht es um Leben und Tod, ganz schnell stirbt jemand. Aber man kann auch oft helfen.“ Am belastendsten ist es für sie, wenn ein Kind stirbt. Mit stockender Stimme berichtet sie von einer armen Familie, deren Hütte durch einen Blitzeinschlag in Brand gesetzt wurde. Dabei kamen drei Kinder ums Leben. Beim Erzählen ringt sie um die Worte, sie kämpft hörbar mit den Tränen. „Vieles sind sinnlose Tode, die mich echt fertig machen“, gesteht sie. Sie arbeitet in Tshumbe auch an Blitzschutz für die Hütten. Es gebe so viele traurige Momente, niemand könne sich vorstellen, was die Leute in der Region mitmachen müssen. „Sie sterben aufgrund schlechter medizinischer Versorgung. Ein Zustand, den man sich bei uns nicht mehr vorstellen kann.“
Aber es gibt auch so viele schöne Erlebnisse, die ihr die Kraft geben zum Weitermachen. Nie werde sie vergessen, so Manuela, wie sie zum ersten Mal Kinder beim Essen einer Mahlzeit zugesehen habe, die im Kindergarten ausgegeben wurde. „Da gibt es kein Herummäkeln oder Beschweren, diese Kinder sind einfach nur froh um eine Mahlzeit. Den Kindern beim Essen zuzusehen, ist immer noch schön.“
Gegen 15 Uhr gibt’s Mittagessen, es wird am Abend nochmal gegessen. Manuela hat oft keine Zeit und keinen Hunger, aber auf Elodie schaut sie gut. Alles wird am Lagerfeuer zubereitet, das Kochen dauert immer ein paar Stunden. Danach bleiben Manuela und Elodie meist am Gelände; die Kleine spielt, und ihre Mama widmet sich dem Management, sie telefoniert und organisiert. Wenn Elodie abends unter ihrem Moskitonetz in den Schlaf gefallen ist, arbeitet sie oft bis Mitternacht weiter am Computer, macht die Buchhaltung und bereitet den nächsten Tag vor. Da in den Nachtstunden, wie schon erwähnt, das Internet am besten funktioniert, steht sie oft gegen drei oder vier Uhr morgens auf, um Nachrichten zu posten, E-Mails abzurufen und im Internet so gut es geht zu recherchieren. Dann schläft sie noch ein, zwei Stündchen, bis ein neuer Tag beginnt. Er wird wieder viele Herausforderungen bringen, aber noch viel mehr gute Momente, die Manuela deutlich machen, wofür sie alles auf sich nimmt.
Vieles hat sie in Tshumbe erreicht, noch vieles ist zu tun. Helft mit!
Doris Martinz