Energiegemeinschaften wachsen derzeit aus dem Boden wie die Primeln in Frühling. Was hat es damit auf sich, für wen sind sie interessant?
Zwei Profis erklären das Prinzip.

Ich habe mich mit dem Thema befasst, weil mich viele meiner Kundinnen und Kunden fragten, ob es nicht eine lukrativere Möglichkeit gebe, den überschüssigen Strom aus ihrer Photovoltaik­anlage abzugeben“, erzählt Walter Kernmaier, Elektro-Techniker in Erpfendorf. Anbieter wie die Tiwag würden – je nach Jahreszeit – nur mehr ein paar Cent pro eingespeister Kilowattstunde vergüten. Für die Besitzer von PV-Anlagen ist das enttäuschend wenig. „Energiegemeinschaften bezahlen mehr für den eingespeisten Strom, und zugleich bezahlen jene, die den Strom von der Energiegemeinschaft beziehen, weniger als beim regulären Stromlieferanten“, erklärt der Elektroprofi. „Der Schlüssel dazu sind reduzierte Netzkosten“, weiß Andreas Wallner von Exenberger Elektro-Technik. „Die Netzgebühren machen fast 50 Prozent des Strompreises aus und werden in Zukunft wohl die Preistreiber sein, da in das Stromnetz viel investiert werden muss. Wer also weniger für die Netzgebühren bezahlt, ist preislich deutlich im Vorteil.“ Außerdem, so Kernmaier, entfallen in einer Energiegemeinschaft die Elektrizitätsabgabe sowie der Erneuerbare-Förderbeitrag – beides lässt den Preis zusätzlich sinken.

Unterschiedliche Energiegemeinschaften

Was ist eine Energiegemeinschaft eigentlich? Im Internet findet sich diese kurze­ Beschreibung: „Eine Ener­gie­­-
gemeinschaft (kurz EG) ist der Zusammenschluss von mindestens zwei Teil­nehme­r:innen zur gemeinsamen Produktion und Verwertung von Energie.“ Das heißt: In einer EG gibt es einerseits Produzenten, die Strom einspeisen – durch PV-Anlagen oder auch z.B. Wasser-Kleinkraftwerke – und andererseits Abnehmer, die den Strom beziehen. Ein Beispiel: Auf dem Dach eines Mehrparteienhauses erzeugt eine PV-Anlage Strom und schickt den Strom im Haus an alle Wohnungseigentümer:innen. Alles, was die Eigentüme­r:innen nicht brauchen, geht ins Netz und wird zum normalen Preis beim jeweiligen Anbieter eingespeist.
EGs können auf unterschiedlichen Ebenen agieren: Bei einer gemeinschaftlichen Erzeugungsanlage innerhalb eines Hauses oder einer Wohnanlage entfallen die Netzgebühren komplett.
Die nächste Stufe ist die EG aller Haushalte, die über einen Trafo miteinander verbunden sind. Hier sind die Netzgebühren um 57 % reduziert. Alle Haushalte, die über eine regionale EG von einem Umspannwerk aus versorgt werden, profitieren von immerhin noch 28 % Nachlass bei den Netzgebühren. Sogenannte Bürgerenergiegemeinschaften arbeiten überregional, Strom kann in ganz Österreich eingespeist und bezogen werden. „Hier entfällt jedoch der Vorteil der reduzierten Netzkosten gänzlich“, weiß Andreas Wallner. „Um in den Genuss reduzierter Preise zu kommen, bieten sich also vor allem die regionalen EGs an.“
Walter Kernmaier ist Initiator der regionalen EG St. Johann, die auch die Gemeinden Erpfendorf, Teile von Going, Oberndorf, Schwendt, Waidring und Fieberbrunn umfasst. Sie soll ab diesem Frühjahr aktiv sein, Interessenten sowohl auf der Einspeise- als auch auf der Abnehmerseite gebe es genug, so Kernmaier. Für die Verwaltung und Abwicklung der EG St. Johann hat man ein spezialisiertes Unternehmen engagiert.
Exenberger Elektro-Technik hat 2024 bereits eine regionale EG im Brixental gegründet, sie umfasst Haushalte in Kirchberg, Brixen und Westendorf. Die zweite regionale EG wurde kürzlich in Kitzbühel im Versorgungsgebiet der Stadtwerke Kitzbühel ins Leben gerufen.
Raiffeisen hat 2024 übrigens die „Energiegenossenschaft Kirchdorf-Oberndorf-St. Johann gegründet.

Wie man das System maximal nützt

Prinzipiell kann sich jeder Haushalt nicht nur einer, sondern insgesamt fünf EGs anschließen – Besitzer großer PV-Anlagen ebenso wie die Mieter kleiner Wohnungen. Da die meisten Lieferanten ihren Strom untertags über eine PV-Anlage produzieren, braucht es Abnehmer, die untertags Strom verbrauchen. Nur so können alle vom System profitieren. Die Betreiberfirmen haben die ausgewogene Bilanz im Auge. Die Elektroprofis bieten auch Beratungen an, wie Mitglieder maximalen Nutzen aus dem System ziehen können. „Den Geschirrspüler nicht abends, sondern am Vormittag in Betrieb setzen oder erst am nächsten Tag die Waschmaschine einschalten, wenn schönes Wetter vorhergesagt ist: Wer seine Gewohnheiten anpasst, kann maximal profitieren“, weiß Wallner. Auch Heizstäbe zur Aufbereitung von Warmwasser würden Energie sparen. Dass das System funktioniert, beweist das Ergebnis der EG Brixental. „2024 wurden 97 Prozent des erzeugten Stroms innerhalb der EG verbraucht“, so Wallner.
Was allen Interessenten klar sein müsse, ist, dass es neben der EG immer auch den regulären Stromlieferanten brauche, sagt Walter Kernmair. Jener liefere, wenn die EG keine Energie zur Verfügung hat, zum Beispiel in der Nacht. „Die Teilnahme an einer EG bedarf aber keiner Änderung von bestehenden Energieverträgen“, so Wallner.

Mehrfacher Nutzen

Nicht nur wirtschaftlich sei die EG für alle Mitglieder interessant, meint Walter Kernmaier: „Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass man den Strom verbraucht, der direkt im eigenen Umfeld, vielleicht sogar auf dem Dach des Nachbarn, erzeugt wurde.“
„So bleibt die Wertschöpfung in der Region“, drückt es An­dreas Wallner aus. Ein weiterer Pluspunkt sei die Preisstabilität der Energie.
Die Preise werden nämlich von der EG selbst beziehungsweise vom Vorstand der EG festgelegt, die als Verein oder Genossenschaft organisiert ist. Exenberger oder die betreuende Firma beraten hinsichtlich der Preisgestaltung, doch der Vorstand entscheidet. „Allgemeine Preissteigerungen bei der Energie muss der Verein oder die Genossenschaft nicht mittragen, weil die Kosten für die Erzeuger für gewöhnlich nicht steigen“, so Andreas Wallner. „Es soll immer der maximale Nutzen aller Teilnehmer im Fokus stehen.“
Die Mitglieder können dem Verein beziehungsweise der Genossenschaft beitreten und jederzeit wieder aussteigen, wenn gewünscht. Nicht alle Mitglieder müssen zwangsweise denselben Tarif bezahlen. Es können auch individuelle Tarife pro Zählpunkt vereinbart werden. Somit besteht die Möglichkeit, bedürftigen Personen eine finanzielle Unterstützung zu bieten.

Viel Potential

Energiegemeinschaften seien­ eine gute Sache, so Walter­ Kernmaier, aber sie seien noch nicht fertig gedacht.
„Da kommt noch einiges in den nächsten Jahren. Es wird wohl Speichersysteme brauchen, damit EGs auch in der Nacht Strom liefern können.Um EGs auch im Winter attraktiver zu machen, also zu einer Zeit, in der die heimischen PV-Anlagen kaum Strom produzieren, wird man günstigen Strom an der Börse einkaufen, damit die EG-Speicher befüllen und damit die Mitglieder nach Bedarf versorgen.“ Tatsache sei, dass wir in Zukunft immer mehr Strom benötigen werden – ganz unabhängig davon, ob sich die Elektromobilität bei uns durchsetzt. Man darf also gespannt sein, was noch alles geschehen wird auf diesem Sektor … 

Doris Martinz

 

Anmeldung bei den Energiegemeinschaften:

EG St. Johann: neoom.com
EG Kitzbühel: www.energiegemeinschaft-kitzbuehel.at
Raiffeisen Energiegenossenschaft Kirchdorf–Oberndorf–St. Johann:
www.regenerative.at/vernetzen