Karin Czedziwoda arbeitet seit sechs Jahren in der „Tafel“ des Roten Kreuzes in St. Johann. Sie erzählt von ihren Erfahrungen …
Seit einigen Jahren betreibt das Rote Kreuz in der Ortsstelle St. Johann eine „Tafel“ – eine Lebensmittelausgabestelle für Menschen mit geringem Einkommen. Karin Czedziwoda ist eine von insgesamt 14 Mitarbeiterinnen, die sich in den Dienst der guten Sache stellen, die gespendete Lebensmittel zum Teil selbst bei den Supermärkten abholen und an ihre KlientInnen aushändigen. Die 60-jährige St. Johannerin erzählt, sie habe vor sechs Jahren in einer Zeitung gelesen, dass dafür Leute gesucht würden. „Da habe ich mir gedacht, uns geht es doch allen so gut, wir haben von hinten bis vorne alles. Aber es gibt aber auch viele andere. Ich tu mal was Gutes und melde mich da.“ Gedacht, getan. Seitdem nimmt sie sich jeden Samstag Zeit für ihren „Job“. Sicher, ihre Kinder sind längst erwachsen und flügge, aber Familie und Hunde nehmen sie immer noch ziemlich in Beschlag, sie muss sich die Zeit schon nehmen. Einmal im Monat gibt sie die Lebensmittel selber aus, das Sortieren von Obst und Gemüse beim Händler vor Ort übernimmt sie aber jeden Samstag selber. „Das ist für mich eine schöne Abwechslung“, sagt sie. Sie bringt die Ware dann zur Tafel, wo sie ihre Kolleginnen zwischen 16 bis 17 Uhr abgeben.
Es gibt immer zwei Arten …
Viele Einheimische meinen, nur „Ausländer“ würden das Angebot der Tafel in Anspruch nehmen, noch dazu „gewisse Ausländer“. Karin dazu: „Ich werde dir etwas sagen: Es gibt zwei Arten von Ausländern. Und es gibt zwei Arten von Einheimischen.“ Sie hebt vielsagend die Augenbrauen. Und erzählt von einem Iraker, der seit vier Jahren in der Tafel mithilft. „Er ist so nett und eine so treue Seele. Er hat zwei negative Asylbescheide bekommen und darf jetzt nicht mehr arbeiten, dabei möchte er das so gerne.“ Sie hat in der Tafel gelernt, Vorurteile abzulegen und die Menschen anzunehmen, wie sie sind. AusländerInnen genauso wie Einheimische.
Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass mehr Menschen als je zuvor in die Tafel kommen, auch in St. Johann. Tirolweit verzeichnet das Rote Kreuz einen Zuwachs von 30 Prozent. „Da sind jetzt Leute dabei, die nie dachten, dass sie einmal in die Lage kommen würden, Lebensmittel in der Tafel zu holen“, sagt Karin. Die Menschen, die kommen, schämen sich nicht. „Weil sie die Erfahrung machen, dass sie in der Tafel mit Respekt behandelt und herzlich aufgenommen werden“, weiß Isabella Mitter, beim Roten Kreuz Kitzbühel für die Öffentlichkeitsarbeit und den Sozialbereich zuständig. Sie erklärt, dass auch Ware, deren Ablaufdatum überschritten ist, ausgehändigt werde. „Alle KlientInnen unterschreiben, dass sie die Lebensmittel durch Riechen und Schmecken auf ihre Qualität überprüfen. Meistens ist die Ware ja auch noch lange nach dem Ablauf des Datums völlig in Ordnung.“ Am Tag unseres Gesprächs stehen neben Lebensmitteln auch einige Kartons Babylotion und Spülmittel in den Regalen. Die kann man bestimmt noch sehr lange verwenden.
Doch längst nicht alles ist abgelaufen, die Lebensmittelmärkte spenden auch viel frische Ware wie Milchprodukte, Kuchen, Eier, Obst, Gemüse und Brot. Von den Skihütten kamen im Winter große Mengen an Kartoffeln, Kraut und Zwiebeln – Einlagerware, die dann nicht gebraucht wurde. In der Tafel fand fast alles Abnehmer. Auch die vielen „Überraschungseier“, die ebenfalls von den Skihüttenbetreibern gespendet wurden. „Die sorgten für viel Freude“, sagt Karin schmunzelnd.
Wertschätzung und Dankbarkeit
Die KlientInnen der Tafel – jeden Samstag sind es ungefähr 20 bis 25 – sind dankbar für alles, was sie bekommen. Bei ihrem ersten Besuch melden sie sich an, unterschreiben eine Selbsterklärung betreffend ihres Einkommens und bekommen dann ihre Zugangskarte, die zum kostenlosen Bezug der Ware berechtigt.
Karin investiert jede Woche ein paar Stunden in die Tafel und bekommt dafür Wertschätzung und Dankbarkeit zurück. Und das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Sie hat schon Bekannte und FreundInnen motivieren können, ebenfalls zu helfen. „Weil man auf diese Weise der Gesellschaft etwas zurückgeben kann“, sagt sie. Außerdem pflege das Tafel-Team eine nette Gemeinschaft, es erschließe sich ein neuer Bekanntenkreis. Und der Job relativiert das Weltbild. „Was jammern wir nicht oft. Andere haben wirklich Grund zum Klagen und tun es nicht.“ Es gibt auch Menschen, die das Angebot der Tafel nützen könnten und sollten – und es doch nicht machen. „Das ist sehr schade“, sagt Isabella Mitter, „denn wir haben mehr Ware vorrätig, als wir aktuell brauchen.“ Karin und ihre Kolleginnen sind auf jeden Fall gerne für alle da, die kommen …
Doris Martinz
Öffnungszeiten:
jeden Samstag: 16 bis 17 Uhr
Ausgabestelle:
Österreichisches Rotes Kreuz, Ortsstelle St. Johann in Tirol, Salzburger Straße 14