Christoph Holz über den Umgang mit Unwahrheiten und gefälschten Bildern im Internet.
Noch nie zuvor waren in der Geschichte der Menschheit der Allgemeinheit so viele Informationen zugänglich, sie prasseln via Internet und Social Media im Bruchteil von Sekunden auf uns ein. Aber können wir alles glauben, was in der digitalen Welt behauptet wird? Nein, zumindest diese Gewissheit können wir haben. Aber wie können wir die Wahrheit von der Lüge unterscheiden, News von Fake News?
Ich richte diese Fragen an den Informatiker und Keynote-Speaker Christoph Holz. Eine einfache Antwort hat auch er nicht für mich parat, aber er erzählt von einem Beispiel: Rund um den ersten Wahlkampf von Donald Trump vor vier Jahren habe es Fake-News-Produzenten gegeben, die die Nachricht verbreiteten, Trumps Konkurrentin Hillary Clinton habe unter dem Deckmantel einer Pizzeria im Keller des Lokals einen Pädophilenring betrieben. Es sei so weit gekommen, dass ein Bewaffneter in besagte Pizzeria eindrang, Geiseln nahm und verlangte, in den Keller geführt zu werden, um die Kinder zu befreien. Er musste erfahren, dass das Gebäude gar keinen Keller hat. Er ergab sich und wurde zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt. „Die Leute glauben, was sie glauben wollen“, sagt Christoph dazu.
Das Erfinden von Fake News sei eigentlich keine einfache Sache, denn die Nachrichten müssen bestimmte Kriterien erfüllen, um überhaupt in den Bereich der Glaubwürdigkeit zu kommen. Um das zu schaffen, werden oft Verschwörungstheorien strapaziert – auch für soziale Phänomene oder Ereignisse, die eigentlich zu komplex sind, um sie durch eine Verschwörung auszulösen. „Jeder, der schon einmal einen großen Plan gemacht hat, weiß, wie schwer das ist. Wenn man diesen Plan dann auch noch geheim halten muss, wird es noch schwieriger“, so Christoph. Für weltumspannende Verschwörungen, so der Experte, müssten tausende Menschen dichthalten. Das sei mathematisch unmöglich. Er hat ein weiteres Beispiel für mich parat: „Wäre die Mondlandung gefälscht worden, hätte man das vielleicht im ersten Jahr geheim halten können, möglicherweise noch ein weiteres Jahr. Aber dann hätte es jemanden gegeben, der die Fälschung zugegeben hätte.“
Chancen und Risken
Es liege in der Natur des Menschen, so Christoph, dass wir Nachrichten, die in uns Ärger oder Frust auslösen, bereitwilliger teilen. Ein Problem sei auch, dass die Leute nicht wirklich lesen würden, bevor sie teilen. Ein Beispiel: Der bekannte Wissenschaftler Martin Moder berichtete, sein erfolgreiches Video während der Pandemie sei jenes mit dem Titel „Masken gefaket?“ gewesen. Es erklärte im Anschluss, warum Masken funktionieren und wichtig sind. Weil sie nur den Titel überflogen, teilten auch viele Maskengegner das Video. „Negative Nachrichten bringen hohe Reichweiten“, weiß Christoph. Darum bekommen wir ein so verzerrtes Bild von der Welt voller Hass und Gewalt. Die Realität ist zum Glück anders – wie in der St. Johanner Zeitung zu lesen steht …
Wenn man über Deepfakes (mit Künstlicher Intelligenz verfälschte Medieninhalte, Anmerkung der Redaktion) spreche, müsse man auch erwähnen, dass die Technik viele positive Anwendungen ermöglicht, beispielsweise in der Kriminalistik und Forensik. „Derzeit ist der Nutzen größer als der Schaden, der entsteht“, so Christoph. Schlimm findet er, dass die Technik in Zukunft von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, dafür genutzt werden wird, um jede Schuld von sich zu weisen. „Deepfake wird für viele die Ausrede für alles werden.“
Die Verantwortung darüber, welche Nachrichten wir teilen und welche nicht, welche wir glauben und welche nicht, liege vor allem bei uns selbst, so Christoph. „Die Fakes werden besser, aber die Leute werden auch immer wachsamer.“ Das sei gut so – aber auch schade. Weil wir generell misstrauischer allem gegenüber werden. Dennoch: Wir müssen kritischer werden, meint er. Und dass es gut wäre, in der Schule ein Unterrichtsfach für den Umgang mit Medien einzuführen. Und den Hausverstand zu trainieren. „Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Präsidentschaftskandidatin, die ohne Zweifel viel Geld verdient, einen Pädophilenring betreibt?“
Seelenheilung?
Christoph hofft, dass uns die Digitalisierung Netzwerke bringt, die unsere Einsamkeit behebt. Denn die Industrialisierung habe uns zwar wohlhabend, aber auch einsam gemacht. „Von der Digitalisierung verspreche ich mir, dass sie uns Zugehörigkeitsgefühl, im weltweiten Sinne, schenkt. Dass sie unsere Seele heilt.“ Kann eine Videokonferenz ein persönliches Gespräch ersetzen? „Ja!“, sagt Christoph. Er sieht Zoom-Meetings und Co längst nicht mehr als Überbrückungstechnik. Er habe über Gruppenkonferenzen Freunde gewonnen und einen wirklich guten Freund, mit dem er seit drei Jahren in Kontakt steht, noch nie physisch getroffen – er lebt in Australien. „Wir führen gute Gespräche, und die Erinnerung an sie fühlt sich so gut an, als hätten wir uns real getroffen.“
Vielleicht sollten wir uns generell öfter den Vorteilen und Chancen zuwenden, die uns moderne Technik bietet, anstatt uns an den Risiken zu verbeißen. So geht Christoph mit den Themen um. Kritisch sein, Hausverstand einschalten, genau hinschauen – so bekommen wir alle das Thema Fake-News in den Griff.
Doris Martinz