Zum 25. Mal bricht Albert Wex heuer mit einer Gruppe Radbegeisterter zur Chiemsee-Tour auf.
Um sieben Uhr morgens geht es los, meist bei strahlendem Sonnenschein. Alle sind ausgeschlafen und fit, die Vorfreude kribbelt in den Waden. Es wird gescherzt und gelacht. Noch ein letzter Check: Passt der Luftdruck in den Reifen? Genug zu trinken dabei? Schon kann es losgehen. Die „Zugpferde“ setzen sich an die Spitze, die anderen folgen dicht auf dicht. Im Pulk geht es nach Kössen, über die deutsche Grenze in Richtung Reit im Winkl, nach Marquartstein und weiter nach Bernau am Chiemsee, im Uhrzeigersinn rund um den See, zurück nach Marquartstein, weiter nach Schleching und über Klobenstein nach Kössen und schlussendlich zurück nach St. Johann.
140 Kilometer haben die „Chiemsee Radler“ in gut vier Stunden reiner Fahrzeit bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 32 bis 33 Kilometer pro Stunde zurückgelegt, wenn sie mittags verschwitzt, aber vollgepumpt mit Glückshormonen und einem breiten Lächeln im Gesicht zurückkommen. Heuer werden sie zum 25. Mal zur See-Umrundung aufbrechen.
„Der Windschatten ist das Entscheidende“
Organisiert wird die jährliche Ausfahrt seit 25 Jahren von Albert Wex. Der St. Johanner lernte Ende der 80er Jahre seine Frau Claudia kennen – schon damals eine ambitionierte Rennradfahrerin. Um gemeinsam sporteln zu können, legte sich Albert ein Rennrad zu und entwickelte schnell Begeisterung für den Sport. Zu zweit oder auch einmal zu dritt oder zu viert ging es auf den „Stamm-Runden“ bis nach Kössen und retour, oder man nahm die Pillersee-Runde in Angriff. In Albert wuchs bald der Wunsch nach „mehr“, nach weiteren Strecken. „Doch alleine ist das immer eine Herausforderung“, sagt er bei unserem Gespräch bei ihm daheim. „Das Entscheidende ist der Windschatten“, erklärt er. „Fahren in der Gruppe und im Windschatten spart zwanzig bis dreißig Prozent der Kraft im Vergleich zur selben Geschwindigkeit ohne Windschatten. Je größer die Gruppe, desto höher die Kraftersparnis.“ Das bedeute, dass auch schwächere Fahrer und Fahrerinnen in einer Gruppe längere Strecken bewältigen können, so der 58-Jährige. „Man sieht das bei den Rennen: Ganz vorne wird gestrampelt, die hinteren Fahrer hingegen tun sich leichter oder rollen einfach mit. Nicht umsonst ist Rennrad-Fahren ein Teamsport. Dadurch, dass sich die Fahrer bei der Führungsarbeit abwechseln, sparen alle Kraft und sind schneller unterwegs.“
Testtour zu dritt
1998 kam Albert auf die Idee, einmal mit dem Rennrad den Chiemsee zu umrunden – von St. Johann aus. Er studierte die Landkarte, maß die Entfernung und stellte fest: In einem Team ist das machbar! Gemeinsam mit zwei weiteren ambitionierten Radlern ging es los. Die drei Männer tauschten sich an der Spitze ab, zogen die anderen einmal mit oder sparten im Windschatten ihre Kraft. So gelangten sie ohne Probleme bis zum See, wo sie eine Rast einlegten und sich ein „Cola“ kauften – schließlich braucht man Energie. Auch eine kleine Jause gab es, bevor die drei wieder zurück nach Hause radelten und dort bis zum Scheitel voll mit Endorphinen eintrafen. Sie beschlossen, die Tour unbedingt im nächsten Jahr zu wiederholen. Das taten sie auch, und in den folgenden Jahren schlossen sich ihnen immer mehr und mehr Hobbyradfahrer an. An die 50 unterschiedlichsten Radsportler waren schon mit dabei – die größte Gruppe bestand einmal aus 20 Fahrern. Inzwischen hat es sich auf zehn bis fünfzehn Radler und Radlerinnen eingependelt, die mit dabei sind. „Fünfmal schloss sich uns jeweils auch eine Dame an, es hat immer gut geklappt“, betont Albert. Es ist keine eingeschworene Gruppe, die zur großen Tour aufbricht, sondern ein bunt gemischter Haufen an Gleichgesinnten, wie es Albert ausdrückt.
Heuer knackt man die 30.000 Kilometer-Marke
Die Fahrt wird nur bei gutem Wetter unternommen. Früher stand Albert um fünf Uhr morgens auf, um im Fernsehen Satellitenbilder zu studieren; das Internet macht die Prognose heute einfacher. Das Wetter muss passen, denn die Fahrt soll ein Genuss und keine Plage sein. Und schon gar kein Rennen. „Bei unserer Fahrt steht das Miteinander im Vordergrund, die Freude, in der Gemeinschaft etwas zu machen.“ Das Tempo orientiert sich immer am langsamsten Teammitglied, Albert übernimmt die Koordination der Gruppe. Sie setzt sich aus Leuten zusammen, von denen sich manche nur einmal im Jahr – eben bei der Chiemseerunde – treffen. Sie kommen verstreut aus dem Bezirk, aber auch von weiter her, zum Beispiel aus Innsbruck oder sogar aus Altenmarkt. „Manche reisen extra für die Tour an“, erzählt Albert. Er führt über jede Ausfahrt Statistik und weiß, wer in welchem Jahr mit dabei war. Er weiß daher auch, wie viele Kilometer die Chiemsee-RadlerInnen in den letzten 24 Jahren zurückgelegt haben: Mit der heurigen 25. Jubiläumstour werden sie die 30.000 Kilometer-Marke knacken. Sie haben damit gemeinsam eine Streckenlänge zurückgelegt, die der längsten Straße der Welt, der Panamericana, entspricht. Jene führt von Alaska über zwei Kontinente, 17 Länder, sechs Zeit- und vier Klimazonen bis zur Südspitze Argentiniens. Alberts Augen leuchten, als er davon erzählt. „Es ist schon beeindruckend, was man gemeinsam schaffen kann!“
Die Altersspanne – also der Altersunterschied zwischen dem jüngsten und dem ältesten Teilnehmer – liegt bei über 50 Jahren. Der Jüngste ist meist Manuel, Alberts Sohn, heute 22 Jahre alt. Schon im Alter von 14 Jahren bewältigte er zum ersten Mal mit den Großen die gesamte Strecke. Manuel ist die Begeisterung für den Radsport in die Wiege gelegt worden: Er nahm schon früh an Rennen teil und war sogar Tiroler Vizemeister auf dem Rennrad.
Gemeinsam ist alles zu schaffen
Das Gesellschaftliche spielt bei der Ausfahrt immer eine große Rolle. Albert reserviert für die Gruppe stets einen schönen Rastplatz, in den letzten Jahren immer auf der Sonnenterrasse des Hafenwirts in Seebruck. Hier ist etwas mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt, hier gönnt man sich gegen neun Uhr vormittags Butterbrezen, Weißwürstel, Kaffee und Kuchen oder wonach immer einem der Sinn steht. „Die Sonne scheint, und der Blick auf den See ist einfach wunderbar. Dazu die angeregten Gespräche, … bei der Rast haben wir es immer sehr gemütlich.“ Irgendwann heißt es dann aber doch „Aufbruch“, auch wenn es „nur“ mehr nach Hause geht, wie Albert meint. Nach Hause sind es immerhin noch fast 70 Kilometer.
Von jeder Fahrt sind alle bislang gesund und munter wieder nach St. Johann zurückgekommen, „das ist Gold wert“, sagt Albert. Es habe zwar natürlich den einen oder anderen „Patschen“ gegeben – auch mal einen Sturz bei geringer Geschwindigkeit –, aber nie ernsthafte Verletzungen. Gemeinsam war immer alles ganz leicht zu schaffen.
Auch in St. Johann setzt man sich nach der Ankunft um die Mittagszeit zusammen – bei Nudelgerichten und einem Bierchen oder zwei. Man plaudert, lässt die Fahrt Revue passieren, genießt die Glücksgefühle. „Jede Fahrt verläuft ja sehr ähnlich, und doch ist es immer wieder anders“, erzählt Albert. Jede Tour sei mit besonderen Erinnerungen verbunden, weil immer andere Leute dabei sind, sagt er. So erlebt er die Gemeinschaft immer anders, aber immer in einer schönen und einzigartigen Weise.
Die Fahrt zum 25. Jubiläum ist heuer für August angesetzt – Albert freut sich schon sehr darauf. Auf das Radeln, den Austausch mit den anderen, auf das gemeinsame Erlebnis „Chiemsee-Tour“.
Doris Martinz