Christine Lindner über die Balance zwischen Jung und Alt, Tradition und Moderne und warum küchenarbeit dem Herzen guttut.

Es ist bereits kurz vor 21 Uhr, die meisten Gäste lehnen sich mit gut gefülltem Magen zufrieden in ihre Sessel zurück und lassen den lauen Abend noch gemütlich bei einem Gläschen ausklingen. Ich treffe Christine im Vier-Sterne-Hotel Penzing­hof in Oberndorf und ihre strahlenden Augen sowie das freundlich lächelnde Gesicht zeigen nicht die geringste Spur von Müdigkeit, obwohl sie schon einige Stunden im renommierten Familienbetrieb auf den Beinen steht. Sie lädt mich ein, mich in den gemütlichen Stubenbereich zu setzen, dessen Wand gerahmte Familienfotos in Schwarz-Weiß zieren und so lehne auch ich mich im Sessel zurück, um ihrer Geschichte zu lauschen.
„Ich wusste schon mit Sieben, dass ich mal kochen werde,“ so Christine schmunzelnd. „Ebenso, dass ich mal als Selb­ständige einen eigenen Betrieb führen möchte.“ Daher erschien es Christine recht klug, wie ihre drei älteren Geschwister die dreijährige Ausbildung in der Villa Blanka in Innsbruck zu absolvieren – sollte sie die Aufnahmeprüfung schaffen. Warum sie sich für die Villa Blanka statt den Tourismusschulen am Wilden Kaiser in St. Johann in Tirol bewarb, beantwortet sie mit: „Ich wollte einfach mal weg und freute mich auf das Internatsleben.“ So sehr sie die praktischen Fächer liebte, so wenig konnte sie sich für Fremdsprachen erwärmen – aber dies minderte ihren Erfolg an der Schule nicht im Geringsten. „Als ich für mein zweites Praktikum, das ich eigentlich im Servicebereich machen hätte sollen, einen Platz bei Johanna Maier in Filzmoos bekam, drückte der Schuldirektor ein Auge zu – er meinte, bei dieser Ausnahmesituation wäre es durchaus angebracht, ein zweites Mal in der Küche das Praktikum zu machen,“ so Christine lachend.
Nach ihrem Abschluss an der Villa Blanka setzte sie ihren Weg in Österreichs besten Küchen fort: „Ich ging für ein Jahr ins Hotel Oberauer in Werfen. Das war eine harte Schule, aber die beste Schule.“ Nach nur zwei Monaten in der Patisserie wurde sie an den Platz vom Rotisseur, der für die Fleischzubereitung zuständig ist, geholt. „Sie haben mir gesagt, dass mir bewusst sein muss, dass an jenem Platz vor mir noch nie eine Frau, geschweige denn eine 17-jährige vor mir gestanden ist,“ so Christine ehrfurchtsvoll.
Auf jenes ereignisvolle Jahr folgte eine herrliche Zeit in der Villa Joya in Portugal, wo sie fast ein Jahr blieb – doch dann wurde der Ruf nach der Heimat stetig lauter. „Im November dachte ich mir, dass es schön wäre, eine Wintersaison zu Hause zu arbeiten,“ erinnert sich Christine. Sie sprach sich mit ihrer älteren Schwester Barbara ab, die zu jener Zeit in der Schweiz arbeitete und der Plan war klar – für einen Winter nach Hause zu gehen – und dann wieder ab in die Ferne.

Gekommen, um zu bleiben

Nur kurze Zeit, nachdem die Schwestern wieder zurück zum Penzinghof kamen, erkrankte die Mama schwer. So kam es, dass Christine mit 19 die Küche im Penzinghof übernahm. „Ich musste der Mama aber versprechen, sobald es ihr wieder besser ginge, meinen ursprünglichen Plan zu verfolgen und wieder fortzugehen – denn zum Bleiben wäre es noch viel zu früh.“ Doch in jener Zeit wuchs die Familie eng zusammen, Barbara leitete die Rezeption und beide jungen Frauen hatten Riesenspaß – wenngleich es mal zu Auseinandersetzungen, auch mit langjährigen Mitarbeitern, kam: „Ich war natürlich noch sehr jung und wollte oft meine Ideen und Kopf umsetzen – da flogen schon mal kurz die Fetzen.“ Die Eltern standen jedoch immer hinter ihr und der Vater hat eines Tages alle Mitarbeiter an einen Tisch geholt, um ihnen klarzumachen: „Wenn jemand ein Problem mit meinen Töchtern hat, dann kann er jetzt gerne aufstehen und gehen.“
Die Zeit flog nur so dahin und nach einigen Saison dachten weder Barbara noch Christine ans Gehen. „Mit 23 war mir dann klar, dass ich genau da war, wo ich gerne sein wollte.“ Im Jahr 2003 übergab Stefan Lindner sen. seinen beiden Töchtern Christine und Barbara den Penzinghof. Seine Worte bei der Unterschrift weiß Christine heute noch genau:“ Er hat gesagt: eines müsst ihr mir versprechen – egal was ihr daraus macht oder wie ihr den Betrieb führen werdet – dass ihr nie zu spät übergebt.“

Im Herzen verbunden

Christine und Barbara waren ein Herz und eine Seele, beste Freundinnen, verstanden sich blind. Barbara „An der Front“ und Christine im Hintergrund, als Küchenchefin, waren sie das perfekte Team. Mit dem Umbau im Jahr 2009 legten sie einen wichtigen Grundstein für das weitere Fortbestehen des Penzinghofs. Das Dach wurde aufgehoben, die Zimmer vergrößert, das Restaurant erneuert. Auch innerhalb der Familie entstand eine wunderbare Gemeinschaft, in der jeder seinen Platz hatte, sich einbringen konnte und vom Erfahrungsschatz des anderen profitierte. Die Mama führte das Liftradl, die Restaurantleitung hatte „Godi“ Barbara über. Erstklassige Milch- sowie Fleischprodukte lieferte schon damals der Schörgerer Bauernhof, die familiäre Landwirtschaft, die von Christines Papa sowie ältesten und jüngsten Bruder geführt wurde.
Tipp: Auf der Homepage www.penzinghof.at kann man sich die sympathische Familie mit allen Mitgliedern und deren Einsatzbereich ansehen.

„Es war von Anfang an alles so geregelt, dass wenn ich oder meine Schwester Barbara unser Glück woanders versuchen möchten, dies mit gutem Gewissen tun können,“ sagt Christine. Als Barbara bei einem Skirennen den Südtiroler Georg kennen und lieben lernte, fiel nach einigen Jahren der Überlegung 2014 die Entscheidung – sie würde zu ihm nach Dorf Tirol gehen. Seit dem wird der Penzinghof von Christine weitergeführt. Die beiden Schwestern haben aber nach wie vor eine starke Verbindung – und als Gast profitiert man von den leckeren Äpfeln sowie Weinen, die der Penzinghof nun aus Südtirol bezieht.

Der Weitblick und das Bauchgefühl

Ohne „Babsi“ musste sich Christine erstmal eine Saison ordentlich hinter die Tätigkeiten in der Rezeption klemmen – schließlich könne man alles lernen, wenn man möchte. „Außer vielleicht Fremdsprachen, obwohl wer weiß, vielleicht schaff ich auch das noch,“ so Christine lachend.
Dass einige meinten, dass es ohne Barbara den Penzinghof nicht mehr lange geben würde, überhörte Christine schmunzelnd und verwirklichte 2017 ihre Vision vom „Schwimmbad auf dem Dach“ – einem herrlichen Infinity Pool mit Blick auf die umliegende Berglandschaft. Sie erweiterte das Hotel um 17 Zimmer, eine Tiefgarage und vergrößerte den Speiseaal. Auf ihr einzigartiges Bauchgefühl konnte sie sich selbst in der Männerdomäne am Bau stets verlassen – und wurde von ihrem Vater darin bestärkt. „Er hat immer gesagt – hör auf dein Bauchgefühl, denn das hilft dir – und wenn eine weniger schöne Entscheidung ansteht, dann musst du da durch. Es bleibt kein Tag stehen – es geht dann wieder vorbei,“ so Christine. Besonders prägend ist ihr der Tag in Erinnerung geblieben, als sie nach der Fertigstellung des „neuen Penzinghofs“ mit ihrem Vater und Schwester Babsi durch die neuen Räumlichkeiten spazierte. „Es war ein sehr emotionaler Moment und es sind viele Tränen geflossen.“ Barbara hat ihr anerkennend gesagt – wäre sie heute noch im Penzinghof, würde es diesen Pool auf keinen Fall geben – das hätte sie sich nie getraut. (Anmerkung: im Örtlerhof, den Barbara mit ihrem Mann betreibt, gibt es mittlerweile auch einen Infinity Pool, mit Blick auf die Weinberge).
Als Ausgleich liebt es Christine in der Natur zu sein, im Sommer mit dem Bike und im Winter auf den Skiern. Sie führt heute zwischen 60 bis 80 Mitarbeiter, deren Wohl ihr besonders wichtig ist. Sie selbst steht nach wie vor jeden Tag in der Küche. „Das brauch ich für mein Herz,“ erklärt sie sichtbar glücklich. Wenngleich Corona auch für sie eine herausfordernde Zeit war, nutzte sie die Schließphasen beispielsweise für die Entwicklung eines Nachhaltigkeitskonzepts. Sich auf dem Erfolg auszuruhen, kommt für Christine nicht in Frage – sie tüftelt bereits voller Begeisterung und Vorfreude am Plan für die Umbauarbeiten, die sie für Frühjahr und Sommer 2024 angesetzt hat. Wir sind schon gespannt, auf welche Neuerungen wir uns im Penzinghof freuen können. Vorerst genießen wir aber Christines kreative, saisonale und regionale Küche in dem herzlichen Ambiente des Penzinghofs – und wünschen ihr und ihrem Team von Herzen alles Gute!

Viktoria Defrancq-Klabischnig