Die besten Tanz-Dozenten der Welt unterrichten in New York, Amsterdam, Paris, und einige von ihnen auch in St. Johann. Wie Beate Stibig-Nikkanen die Marktgemeinde zur Tanz-Metropole machte.

Als Beate Stibbig-Nikkanen 1989 nach St. Johann kam, um hier eine Ballettschule zu eröffnen, gaben ihr die Nachbarn zwei Jahre – dann würde sie mit wehenden Fahnen untergehen, so ihre Überzeugung. Das gestanden sie ihr allerdings erst nach Jahrzehnten. Nach Jahrzehnten, in denen sie St. Johann zum Nabel der Tanzwelt in Westösterreich gemacht hatte. In denen sie eine Ballettschule mit sieben Standorten in den Bezirken Kitzbühel und Kufstein etabliert, die Tanz-Kompanie „DanceUp“ eingerichtet, die Austria Tanz Akademie (ATA) gegründet und gemeinsam mit ihrem Sohn Timo das Dance Alps Festival ins Leben gerufen hatte. Für das Festival mit seinen spektakulären Aufführungen und den gefragten Workshops kommen seit Jahren (außer zu Pandemie-Zeiten) die weltbesten Tänzer und Dozenten in den Ort. Stibig-Nikkanen ist nicht untergegangen, St. Johann ist aufgestiegen in den Tanz-Olymp.

Aus der Art geschlagen

Schon immer drehte sich alles im Leben der geborenen Pfälzerin um das Tanzen. „Es war einfach in mir drin. Wenn ich fröhlich war, wenn ich traurig war, ich habe immer getanzt“, erzählt sie von ihrer Kindheit. Sie besuchte die Tanzakademie in Mannheim und tanzte darauf am Nationaltheater. Der Liebe wegen zog es sie recht bald nach Salzburg, wo sie für einen Kollegen aushalf und so in den pädagogischen Bereich hineinschnupperte. Sie fand sofort Gefallen an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Da zur gleichen Zeit erste gesundheitliche Probleme mit den Knien auftraten, entschied sie sich schließlich, ganz auf die Pädagogik zu setzen und eine eigene Ballettschule zu eröffnen. Über verschiedene Stationen kam sie vor über 30 Jahren damit nach St. Johann. „Ich war komplett perplex, wie stark das Interesse von Anfang an war“, erinnert sie sich. Kinder in Tutus zu stecken und damit die Träume ihrer Mütter zu erfüllen, war der Tanzschulleiterin aber immer schon zu wenig. Sie wollte mehr: Leidenschaft, Ausdruck, künstlerisches Schaffen.

Internationale Erfolge

Schon 1992, noch bevor es den Tanzsommer in Innsbruck gab, lud die Wahl-St. Johannerin Ismael Ivo, den künstlerischen Leiter der Wiener Tanzwochen, als Dozent nach Sainihåns ein. Genauso wie Nina Corti, die weltbeste Flamenco-Tänzerin, oder weltberühmte Solisten wie Iwan Wolf von der David-Parson-Dance-Company in den USA. Die Tanzschule entwickelte sich schnell zum heißen Insidertipp bei den heranwachsenden Profis. Das Trainingsniveau war bald recht hoch, die DanceUp Company gewann internationale Preise, zum Beispiel die Gold- und Silbermedaille beim Unesco Tanzwettbewerb. Ein Tanztheater-Video, eingereicht beim „Art Video Award“ in Las Vegas, dem größten Kunst-Video-Wettbewerb der Welt mit einigen tausenden Teilnehmern, erreichte vor zwanzig Jahren gar den ersten Preis und lief ein Vierteljahr auf einer Großleinwand in der Metropole. „Wir konnten es damals selbst kaum glauben und dachten, die hätten sich vertan. Aber nein, es war schon so, wir waren die Gewinner“, erzählt Beate und schwelgt in den schönsten Erinnerungen. Zu den Tanztheaterproduktionen kamen irgendwann Sommerworkshops, aus denen das Dance Alps Festival entstand, eines der größten Tanzfestivals in den Alpen.
Wir führen das Gespräch in ihrem Haus am Hinterkaiserweg, das sie gemeinsam mit ihrem Sohn Timo bewohnt. Timo wird heuer 26 Jahre alt, er ist mit der Tanzschule, mit den Tanztheaterproduktionen und den vielen internationalen Gästen aufgewachsen. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum er sich erst mit 18 Jahren zum ersten Mal selbst in einen Kurs einschrieb. Hospitier-Aufenthalte bei den Festspielen Erl und später das Studium des Eventmanagements ließen ihm keine Zeit mehr für das Tanzen. „Profi wäre ich ohnehin nie geworden“, sagt er. Er entlockt damit seiner Mutter ein entrüstetes Schnauben. „Dafür bist du viel zu alt!“ Die beiden lachen herzlich.
Timo leitet inzwischen die Ballettschulen in St. Johann und Bad Reichenhall mit seinen insgesamt über 300 SchülerInnen und ist als Obmann des Vereins ICP auch Chef-Organisator des Dance Alps Festivals. Er managt das Wirtschaftliche, bringt sich aber auch künstlerischer Hinsicht ein. „Ich versuche immer, einen roten Faden zu finden, die Aufführungen sollen eine Geschichte erzählen“, schildert er sein Tun.

Von St. Johann aus in die ganze Welt

2012 gründete Stibig-Nikkanen gemeinsam mit Bettina Huber die Austria Tanz Akademie, ATA. Parallel zu ihrer Schul- absolvieren die Eleven der ATA hier ihre Tanzausbildung in St. Johann. Immer wieder schaffen einige von ihnen den Sprung in eine der großen europäischen Tanzakademien und haben damit reelle Chancen, ihren Traum wahrzumachen und auf den größten Tanzbühnen der Welt zu brillieren. Und das von St. Johann aus. Wahnsinn, finde ich. In einer der nächsten Ausgaben der St. Johanner Zeitung werde ich mit einem Schüler oder einer Schülerin der ATA sprechen und berichten …
Die Eleven der ATA waren es auch, die 2016 das große Show on Snow Projekt mit gestalteten – eine Winter-Open-Air Show der Superlative am Rueppenhang mit 1.500 Quadratmeter Projektionsfläche und zahlreichen Mitwirkenden wie den Skischulen im Ort, der Koasapass und vielen weiteren. Bei der Generalprobe herrschten Temperaturen um minus zwanzig Grad Celsius – ein Desaster: der Beamer fror ein, der Stromkreislauf brach zusammen, nichts funktioniert. Das Chaos führte Stibig-Nikkanen an ihre Grenzen, gesteht sie im Nachhinein. „Das war das erste Mal im Leben, dass ich ein Vaterunser gebetet habe.“ Aber aufgeben war noch nie ihr Ding, man zog die Show durch, alles ging gut, und die 2.000 BesucherInnen waren begeistert. „Als wir sahen, dass es funktioniert, sind wir uns in die Arme gefallen und sind vor Freude herumgehüpft wie die Hasen“, erzählt sie lächelnd.

Die Planungen laufen

2020 wurde das Dance Alps Festival aufgrund Covid-19 abgesagt. Als kleinen Trost für die SchülerInnen, Dozenten und ZuseherInnen produzierte man ein kurzes Video: Die Dozenten, die eigentlich in St. Johann unterrichten sollten, bekamen dafür den Ausschnitt eines Musikstücks zugeschickt, schrieben ihre eigene Choreografie und tanzten jene bei ihnen zuhause. Das Ergebnis des Zusammenschnitts: fantastisch! Seht und staunt selbst, einfach den nebenstehenden QR-Code scannen! In Kooperation mit dem TVB entstand auch die Aktion „Dancing the Hotels“, bei der Solisten in verschiedenen Hotels in St. Johann auftraten. Der TVB und auch die Gemeinde St. Johann sind mittlerweile wichtige Partner, betont Beate. Man habe die touristische Bedeutung erkannt, die das Tanzen mit seinen Festivals und anderen Veranstaltungen haben kann. „Da steckt noch viel Potential drin!“
Während des Lockdowns wurden alle SchülerInnen der Ballettschule und der Akademie einmal wöchentlich per Zoom unterrichtet, es gab auch kostenlose Zoom-Kurse für Erwachsene. „Damit wir alle verbunden bleiben“, sagt Stibig-Nikkanen. Langweilig ist ihr und Timo nicht, ganz im Gegenteil. Die Planungen für das heurige Festival laufen auf Hochtouren, im Mai wird entschieden, ob es stattfinden kann.
In Planung ist auch eine Festivalwoche im Lincoln Center in New York, die eigentlich schon im Juli 2020 hätte stattfinden sollen – eine Tanzreise für Fortgeschrittene mit den besten Tänzern des Broadways als Lehrer. Ob die Pandemie die Reise heuer zulässt, ist fraglich. „Und sonst spätestens 2022“, zeigt sich Timo zuversichtlich.
Er ist dabei, sein Netzwerk in Richtung Japan auszudehnen und will Dozenten aus dem fernen Osten nach St. Johann bringen. Und neue Ideen für „Dancing Special Places“ gibt es natürlich auch schon. Gemeinsam mit Tom Jank sucht man nach neuen, ausgefallenen Orten für eine Tanzvorstellung der besonderen Art mit anschließender Technoparty. 2019 fand die Veranstaltung im der Halle bei Steinmetz Stefan Neumayr statt – ein voller Erfolg.

Stars zu Besuch in St. Johann

Durch ihre Arbeit haben Beate und Timo viele Weltstars der Tanzszene kennengelernt, nicht wenige sind ihnen zu Freunden geworden. Im Sommer gibt es immer ein großes „Familientreffen“, wie es Beate formuliert. Timo beugt sich zu ihr und flüstert hinter vorgehaltener Hand: „Das wollte ich gerade sagen“. Die beiden denken und tun oft dasselbe. „Wir sind halt doch irgendwie verwandt“, scherzt Beate.
Beim Gartenfest hinterm Haus stellen sich bis zu 80 Leute ein, darunter Top-Stars der Szene. Auch solche, die sonst für gewöhnlich ihre Nase vielleicht ein wenig höher tragen, wie Beate augenzwinkernd sagt. TänzerInnen, die sonst zwischen den Metropolen der Welt hin und her gondeln, genießen es, für einige Zeit in einer so wunderschönen Region zu arbeiten. Bilder aus der Gemeinde gehen dann per Whatsapp oder Skype rund um den Globus.
Die Freundschaften zu so vielen außergewöhnlichen Menschen sind ein großes Geschenk, dessen ist sich Beate bewusst. Es sind Leute, die sich wie sie selbst über die Kunst ausdrücken, die aus Tanz und Musik ihre Inspiration, ihre Lebensenergie beziehen. Es ist eine kraftvolle Quelle, wie man an Beate und Timo sieht – die beiden sprühen vor Energie. Gemeinsam planen, organisieren, träumen, spinnen sie, wie sie sagen. An Ideen mangelt es nicht. „Das ist schon schräg, wenn du dir vor Augen führst, dass wir von hier aus mit den wichtigsten Tanz-Hotspots der Welt verbunden sind und in einem Atemzug mit New York und Paris genannt werden“, sagt Beate, lacht und schüttelt den Kopf. Ja, eigentlich ist es komplett verrückt. Im positivsten Sinne.

Doris Martinz