Mediator Stefan Pletzer erklärt, wie wir Konflikte lösen können.
Die Welt – ein einziger Scherbenhaufen. Diesen Eindruck könnte man derzeit tatsächlich gewinnen. Die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten zeigen, wie groß und scheinbar unüberwindbar Differenzen zwischen den Menschen sein können. Aber auch kleine Streitereien haben das Potential, uns das Leben zu vermiesen und uns schlaflose Nächte zu bescheren. Dabei gibt es Auswege – das weiß der Mediator Stefan Pletzer. Sein Tipp: „Einmal die Seite wechseln und in den Schuhen des Gegenübers gehen. Auf der anderen Seite sieht die Welt ganz anders aus.“
Der 61-Jährige lebt mit seiner Familie in Kirchdorf. 2022 gründete er zusammen mit einigen Kolleg:innen den Verein „Mediation löst“, dem derzeit zehn Mediator:innen angehören. Ihr Ziel: Konflikte lösen und Mediation als außergerichtliches Verfahren bekannter machen. Österreich hinkt in dieser Beziehung im internationalen Vergleich nämlich hinterher: In den USA wird bei Gericht kaum ein Streitfall zugelassen, bei dem nicht versucht wurde, ihn im Vorfeld mittels Mediation zu lösen. Denn eine außergerichtliche Lösung spart Geld, Zeit und Ressourcen.
Auch wenn sich Stefan Pletzer heute intensiv mit dem Thema Mediation auseinandersetzt: Ursprünglich kommt er beruflich aus einer ganz anderen „Ecke“: Er war fast 30 Jahre lang bei EGGER in St.Johann beschäftigt, davon 22 Jahre lang als Divisionsleiter und Geschäftsführer im Bereich Fußboden. 2018 verließ er das Unternehmen – im besten Einvernehmen mit der Führung –, um seinem Lebensplan zu folgen. Jener sah mehr Zeit für sich und die Familie, aber auch neue Herausforderungen vor. Und hat doch Bezug zur Vergangenheit: „Die Division, für die ich bei EGGER gearbeitet habe, ist sehr international aufgestellt und beschäftigt viele Mitarbeiter:innen. Natürlich gab es da immer wieder Konflikte. Gemeinsam mit den Beteiligten an Lösungen zu arbeiten, habe ich immer als spannend und bereichernd empfunden“, so Stefan. Nach seiner beruflichen Veränderung engagierte er sich als Mentor von Jungunternehmern im Startup-Bereich. Und er absolvierte in Salzburg die Ausbildung zum Mediator – beides lässt sich sehr gut verbinden. Als Mitglied der Expert Group „Wirtschaftsmediation“ der Wirtschaftskammer Tirol liegt einer seiner Schwerpunkte im Bereich Wirtschaft. Darüber hinaus hat er sich auf Mediationen in den Bereichen Familie, Nachbarschaft und Soziales spezialisiert.
Druck schafft Konflikte
Konflikte zwischen den Menschen sind nicht neu, schon die Neandertaler schlugen sich im Streit um Nahrung oder andere Begehrlichkeiten die Köpfe ein. Was Stefan feststellt, ist, dass die Pandemie die Situation verschlechterte, dass das Zwischenmenschliche schwieriger geworden ist. Er nimmt die Menschen ganz allgemein als selbstbezogener und egoistischer wahr. Einen Grund dafür sieht er in der Unzufriedenheit mit ihren Lebensverhältnissen: Zuerst bremste uns Corona aus, inzwischen ploppen an allen Ecken und Enden ernsthafte Krisen auf, die uns Sorgen bereiten. „Wir alle wurden aus der gewohnten und jahrzehntelang gelebten Infrastruktur (Komfortzone) herausgerissen und in einen Krisen-Dauermodus versetzt. Das stresst.“ Wer gestresst und nicht in seiner Mitte sei, dem falle es schwer, seinem Umfeld mit Verständnis und Entgegenkommen zu begegnen, so Stefan. Der Druck ist groß – und er sorgt für Konflikte.
Möglichkeiten der Konfliktlösung
Nun haben Konflikte, so Stefan, die blöde Eigenschaft, dass sie nicht verschwinden, wenn sie sich erst einmal gebildet haben. Ganz im Gegenteil: Meist schaukelt sich das Problem auf. Was tun? Der Mediator nennt drei Möglichkeiten, einen Konflikt zu lösen: Die erste: durch Macht. Jemand spricht ein Machtwort und bestimmt, was zu geschehen hat. Die zweite: durch Rechtsprechung – dabei gibt es immer einen Gewinner und einen Verlierer.
Die dritte Möglichkeit ist der Interessensausgleich. Dabei versucht man, die Parteien auf eine Ebene zu heben und ein gemeinsames Interesse zu finden. Wenn sich Eltern beispielsweise nach einer Trennung über Unterhaltszahlungen streiten, ist das Wohl des Kindes das gemeinsame Interesse. Bei Konflikten in Erbschaftsfragen sind es die guten familiären Beziehungen, die erhalten bleiben sollen. Und wenn Nachbarn über einen Baum streiten, der zu viel Schatten spendet, ist die Harmonie in der Nachbarschaft das gemeinsame Ziel – man will sich wieder mit einem guten Gefühl in die Augen sehen können.
Von allen drei Möglichkeiten der Konfliktlösung sei im Prinzip der Interessensausgleich die einzig wirklich wirksame, so Stefan. Denn wer ein Machtwort oder ein gerichtliches Urteil spricht, beendet zwar den Konflikt, löst ihn aber nicht wirklich. Damit verbessert sich auch die Beziehung zwischen den Konfliktparteien meistens nicht, oft verschlechtert sie sich sogar.
Mediation für einen gelungenen Interessensausgleich ist also gefragt. „Die Schuldfrage ist dabei kein Thema“, weiß Stefan. Es geht darum, eine zukunftsorientierte Lösung zu finden, welche die Interessen aller Beteiligten bestmöglich widerspiegelt.
Am besten lässt man einen entstehenden Konflikt – egal, ob im privaten oder betrieblichen Umfeld – erst gar nicht größer werden, sondern sucht bald nach einer Lösung. Wann ist der richtige Zeitpunkt, sich dafür eventuell Hilfe zu holen? „Spätestens dann, wenn sich ein ungutes Bauchgefühl einstellt. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich ein Streit nicht mehr einfach so löst“, so der Mediator.
80 % der Konflikte, die die Mediatoren begleiten, können zur Zufriedenheit beider Parteien aus der Welt geschaffen werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass alle bereit sind, auch einmal die Perspektive zu wechseln und sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Jeder muss willens sein, einen Schritt auf den anderen zuzugehen, „sonst hilft auch keine Mediation“. Nicht nur Private und Unternehmer:innen können
die Dienste der Mediator:innen in Anspruch nehmen, auch die Kommunen profitieren von ihrer Erfahrung.
Gemeinsame Interessen sind auch in den großen Konflikten unserer Zeit gegeben – wollen nicht alle Menschen in Frieden und Sicherheit leben? Bleibt zu hoffen, dass sich diese Einsicht irgendwann durchsetzt.
Doris Martinz