Burnout-Präventionstrainerin Susanne Wörgötter über Chancen und Risiken des „angesagten“ Arbeitszeitmodells.
Wann immer es in den Medien um die moderne Arbeitswelt geht, taucht der Begriff der 4-Tage-Woche auf. Viele feiern besagtes Arbeitszeitmodell als Lösung für alle Probleme, verspricht sie den Arbeitnehmer:innen doch mehr Freizeit – ganz unabhängig davon, ob sie die vereinbarte wöchentliche Stundenanzahl anstatt an fünf in nur vier Tagen leisten oder die Variante einer reduzierten Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich oder mit Abschlägen wählen. Vor allem junge Beschäftigte finden das Modell „Vier Tage arbeiten, drei Tage frei“ attraktiv; Unternehmen, die die 4-Tage-Woche anbieten, dürfen sich über mehr Interesse seitens der Arbeitnehmer:innen freuen. Internationale Studien belegen die Zufriedenheit aller Beteiligten, also der Arbeitgeber:innen und der Arbeitnehmer:innen: Die 4-Tage-Woche wirkt sich positiv auf Produktivität und Gesundheit der Beschäftigten aus, so der Tenor.
Susanne Wörgötter zieht die Stirn in Falten, als wir darüber sprechen. Sie sei prinzipiell nicht gegen die 4-Tage-Woche, sagt sie. Doch die Komprimierung der Arbeitszeit berge auch Risiken. „Das sollte man sich im Einzelfall immer genauer anschauen.“
Ausbildung in Deutschland
Die St. Johannerin hat in Deutschland die Ausbildung zur Psychologischen Beraterin abgeschlossen und auch jene zur Burnout-Präventionstrainerin. Obwohl sie eigentlich aus einem völlig anderen Bereich kommt: Nachdem sie die Tourismusschule mit der Matura abgeschlossen hatte, bereiste sie (fast) die ganze Welt, „ich war immer sehr neugierig und interessiert daran, wie Menschen auf anderen Kontinenten und in für mich fremden Kulturen leben“, erzählt sie. Auch mit ihrer Familie, mit den Eltern und ihrer Schwester, kam sie viel herum – im Zuge musikalischer Auftritte der „Hausmusik Pletzer“. Susanne spielte Zither, Flöte und Okarina, ihren Vater Alois kennt man vom „Sainihonsa Viergesang“ und als „Trachtensänger“. Beruflich verschlug es sie in die Gemeinde, hier war sie in den Abteilungen Hochbau und Standesamt beschäftigt. „Bald kamen viele mit ihren großen und kleinen Problemen im Amt zu mir“, erzählt Susanne schmunzelnd. Sie stellte fest, dass es ihr viel Freude bereitete, mit Menschen zu arbeiten, auf ihre Probleme einzugehen und sie zu beraten. Dieser Umstand bewog sie, sich nach einem Tätigkeitsfeld umzusehen, in dem sie ihre Fähigkeiten weiterentwickeln konnte. Da sie in Österreich nicht fündig wurde, absolvierte sie in Deutschland schließlich die Ausbildung zur Heilpraktikerin und Psychologischen Beraterin, die in etwa jener der Lebens- und Sozialberaterin in Österreich entspricht. „Mein Gewerbe muss in Österreich aber unter dem Begriff Energetik laufen“, erklärt sie. Seit 2004 empfängt sie ihre Klientinnen und Klienten daheim in ihrem Arbeitszimmer. An den Wänden hängen hier viele Zertifikate und Zeugnisse, die ihr eine vielseitige Ausbildung bescheinigen.
„Wir haben das Rasten verlernt.“
Viele Menschen, die zu Susanne Wörgötter kommen, haben das Thema Stress als Problem im Alltag mit im Gepäck. Dabei ist Stress an sich für den Menschen nichts Neues, nur die Form ist eine andere: „Die evolutionäre Dimension von Stress war jahrtausendelang eine ganz andere, da ging es um Leben und Tod. Stress wurde ausgelöst durch Gefahr, Hunger oder Durst und dauerte nicht lange an. Wer nicht flüchten oder sich erfolgreich verteidigen konnte, wer nichts zu essen fand oder bekam, starb“, erklärt die 50-Jährige. Heute sind die Situationen, die Stress auslösen, andere. Zum Beispiel rund um die Uhr per Handy oder E-Mail erreichbar zu sein, verursacht Stress. Die schönen Urlaubsbilder der Nachbarn können Druck machen, wenn man selbst nicht verreist. Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, führt zu Dauerstress. „Und darauf sind unsere Körpersysteme nicht ausgerichtet“, weiß die zweifache Mutter. Was tun? Stress reduzieren ist nicht immer einfach. Susanne nickt: „Umso wichtiger ist das Energiemanagement“, sagt sie, „der Umgang mit unseren Ressourcen“. Naturvölker würden nicht jagen gehen, wenn noch genug zu essen da ist, erklärt sie. Auch Löwen jagen nicht ohne Hunger. Nur der Mensch pflegt, zumindest in der „zivilisierten Welt“, einen Umgang mit seinen Ressourcen, als wären sie unendlich: Er arbeitet viel und setzt sich nach Feierabend – freiwillig – dem Freizeitstress aus: Manche Leute sammeln beim Sport Höhenmeter oder besuchen eine Kulturveranstaltung nach der anderen (bloß nichts versäumen). Auch stundenlanges Fernsehen hat nichts mit echter Entspannung zu tun. „Wir haben das Rasten verlernt“, fasst es Susanne zusammen. „Nach getaner Arbeit sind die Bauern früher auf dem ,Vorbeibankei‘ gesessen und haben den Tag Revue passieren lassen, es gut sein lassen. Heute weiß der Mensch nicht einmal selbst, ob er gut geschlafen hat, sondern muss auf der Smart Watch die Dauer seiner Tiefschlafphase ablesen.“
Vom Arbeits- in den Freizeitstress
Bei der 4-Tage-Woche müsse man sich auf jeden Fall die soziale Komponente ansehen, so Susanne. Bleibt noch Zeit für ein Gespräch mit den Kolleg:innen, für einen kurzen Austausch? Oder ist das Tagespensum so komprimiert, dass das Soziale auf der Strecke bleibt? „Manche müssen fokussiert arbeiten wie ein Roboter, damit sie das Arbeitsaufkommen in vier statt fünf Tagen bewältigen. Das kann nicht Sinn und Zweck sein.“ Problematisch sei es auch, dass viele an den vier Tagen abends völlig „geschlaucht“ seien, dann würden „Belohnungssysteme“ gestartet: Man gönnt sich etwas, greift zu Alkohol oder Schokolade. Für das Kochen gesunder Mahlzeiten bleibt keine Zeit und Energie. Letztere fehlt auch, wenn es gilt, Konflikte zu bereinigen. „Meine Sorgfalt mir gegenüber ändert sich, und auch jene gegenüber meinem Partner oder meiner Familie“, formuliert es Susanne.
Da jede und jeder versuche, sich den Freitag freizunehmen, könne auch die Gestaltung des stets langen Wochenendes stressen. „Der Körper ist permanent auf Powermodus, das schafft man irgendwann nicht mehr. Außerdem kostet viel Freizeit viel Geld, auch diese Tatsache kann irgendwann belasten.“
Was also tun? Susanne mahnt mehr Selbstfürsorge ein, ein verstärktes Hineinhören in uns selbst. „Wir sind so gesteuert von den Bedürfnissen, die von außen an uns herangetragen werden, dass wir unsere inneren, ganz individuellen Bedürfnisse vernachlässigen. Das neue Auto oder die neue Handtasche liefern nur kurz Befriedigung, sie machen uns nicht wirklich glücklich“, weiß sie. Es brauche mehr als die Verkürzung der Arbeitszeit, um das Stresslevel zu senken. Vor allem sollten wir unseren Lifestyle, unsere Art zu leben, überdenken. Und in uns hineinspüren, ob wir die Ski- oder Radtour in Angriff nehmen, weil wir im Prinzip unter – selbst auferlegtem – Leistungsdruck stehen, oder ob wir sie einfach genießen und dabei entspannen können – ganz egal, wie viel Zeit wir für die Höhenmeter oder Strecke benötigen.
Zu wenige und zu kurze Ruhephasen machen auf Dauer psychisch und physisch krank: „Der Körper kompensiert lange, aber irgendwann platzt die Bombe“, so drückt es Susanne aus. Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, empfiehlt sie ihren Klient:innen unter anderem ein bewusstes Energiemanagement, sich im Alltag „Inseln der Entspannung“ zu schaffen und am Wochenende hin und wieder eine halbe Stunde lang gar nichts zu tun, sondern einfach nur in den Tag hinein zu träumen. „Viele schaffen das gar nicht mehr.“
Als Arbeitnehmerin würde sich Susanne Wörgötter ohne Zweifel für eine 5-Tages-Woche entscheiden. „Um gelassener sein zu können, und um Zeit zu haben für Gespräche am Arbeitsplatz und zum Kochen daheim.“ Ein interessanter Standpunkt. Es schadet nicht, auch diesen Blickwinkel einmal in Betracht zu ziehen.
Doris Martinz