Brigitte Staffner ist frisch gebackene „Master of Science Palliative Care“. Sie erzählt von ihrem Studium und ihrer täglichen Arbeit.
Sie habe schon immer einen Draht zu den Sterbenden gehabt, sagt Brigitte selber. Warum das so ist, wisse sie nicht. Doch dass dem so ist, stellte sich bald heraus, als sie als junge Frau ihre Arbeit als Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Klinik in Innsbruck antrat und später im Pflegeheim St. Johann tätig war. Krankheit, Tod, das Sterben, das sind für die heute 56-jährige keine Themen, die ihr Angst einjagen. Ganz im Gegenteil: „Für mich ist die Beschäftigung damit sinnstiftend“, erklärt sie. Inzwischen ist sie ausschließlich auf freiberuflicher Basis im Einsatz: Sie hält Seminare mit Titeln wie „Menschenwürdig leben bis zuletzt“, sie informiert über den richtigen Umgang mit Hausmitteln, Pflegemitteln und mehr, gibt Tipps und Ratschläge, wie man pflegebedürftige Menschen gut begleitet, lehrt die richtigen Handgriffe, um sie aufzusitzen, sie zu lagern und betten. Dass sie ihr enormes Wissen in diesen Belangen gerne teilt, ist für viele BesucherInnen ihrer Vorträge von großem Wert. Denn das letzte Stück des Lebenswegs ist für alle Beteiligten ein besonderer.
Gemeinsam mit Barbara Beihammer hält die St. Johannerin deshalb auch Seminare mit dem Titel „Kostbare Zeit – Sterben, Tod und Trauer“. „Ich konzentriere mich dabei auf den pflegerischen Teil, Barbara Beihammer bringt den spirituellen Aspekt ein“, erklärt Brigitte.
2020 wurden die meisten Vorträge und Seminare Corona bedingt abgesagt. Langweile kam dennoch nicht auf, Brigitte schloss im November vergangenen Jahres nämlich ihren Master in „Palliative Care“ an der Privatuniversität „Paracelsus“ in Salzburg ab. Die Wochen des Lockdowns im Frühjahr nützte sie, um ihre Masterarbeit zu schreiben. Das Thema: „Mein herzliches Beileid im Internet“.
Jede Kerze zählt
„Ich habe mich schon seit längerem gefragt, was Menschen – auch in meinem näheren Umfeld – dazu bewegt, auf entsprechenden Internetplattformen Kerzen für Verstorbene anzuzünden, Einträge in virtuellen Kondolenzbüchern zu formulieren, Gedenkseiten oder virtuelle Trauerforen zu besuchen.“ Das interessierte die zweifache Mutter schon, bevor die Pandemie das persönliche Kondolieren und den Besuch von Begräbnissen einschränkte. Noch im Februar letzten Jahres führte Brigitte zehn Interviews und fragte die Menschen in diesem Zusammenhang nach Motiven und Gewohnheiten.
Das Ergebnis ihrer Motivforschung zeigt: Soziale Beweggründe stehen über allem. Im Internet wollen Menschen den Angehörigen von Verstorbenen ein Zeichen geben, dass sie an sie denken, dass sie nicht alleine sind. Spiritualität nimmt hier einen großen Raum ein. „Ganz egal, welcher Religion die Menschen angehören, man spendet sich Trost, fühlt sich miteinander verbunden. Es gibt einen starken Glauben an ein Leben nach dem Tod und die Gewissheit: Der Tod beendet das Leben, aber nicht die Liebe“, erzählt Brigitte von ihren Recherchen. Für Angehörige sei jeder Eintrag, jede im Internet angezündete Kerze tröstend – sanft wie eine Feder, und doch spürbar und wichtig.
Weitere Motive sind Information aus beruflicher Notwendigkeit oder auch Neugierde. Auch der Zeitfaktor spielt eine Rolle: Surfen zum Beispiel auf der Trauerhilfe-Website ist für manche ein Zeitvertreib. Ein wesentlicher Aspekt ist jedoch die Möglichkeit, schnell und unkompliziert sein Beileid auszudrücken.
Gemeinsam erinnern
Anhand der Kondolenzeinträge sehe man, so Brigitte, wer von den Absendern schon selber Angehörige verloren habe. Es seien Menschen, die die Erfahrung gemacht haben, wie wohltuend tröstende Worte in dieser Situation sind. Dass sie es sind, ist unumstritten. Ein wunderbares Gefühl der Verbundenheit und des Trostes stelle sich bei Angehörigen zum Beispiel auch ein, wenn andere zum Geburtstag des/der Verstorbenen eine Kerze anzünden – vielleicht sogar noch nach Jahren. Das Gefühl zu haben, nicht alleine an den Verstorbenen zu denken, nicht alleine zu sein mit all den Erinnerungen, sei ganz wichtig für das Verarbeiten des Verlusts. Im Internet geht das ja ganz einfach: „Man kann sich an den Todestag oder Geburtstag erinnern lassen“, erklärt Brigitte. Denn wer hat heute schon noch Zeit, auf den Friedhof zu fahren und dort eine Kerze anzuzünden?
Emotionen zulassen
Brigitte betont in unserem Gespräch mehrfach, wie wichtig es ist, sein Beileid auszudrücken – in welcher Form auch immer. „Man muss nicht Angst davor haben, dass man nicht die richtigen Worte findet, „mein Beileid“ reicht schon, und am besten fragt man, ob man etwas tun, in irgendeiner Form helfen kann.“ Man müsse ja nicht unmittelbar nach dem Todesfall schreiben oder anrufen, in den Tagen rund um das Begräbnis herrsche oft Ausnahmezustand. Beileid werde auch nach Wochen oder Monaten noch gerne angenommen.
Wichtig, so Brigitte: Die Menschen weinen lassen. „Man darf keine Angst vor Tränen haben!“ sagt sie vehement. In ihrer Arbeit als Pflegegeld-Gutachterin kommt Brigitte in viele Familien und erlebt immer wieder, dass gerade Männer sich oft ihrer Tränen schämen oder Söhne mit einem weinenden Vater nicht umgehen können. Das ist schwierig, denn das Weinen ist wie ein Ventil, aus dem Druck entweicht, es ist wichtig für die physische und psychische Gesundheit. Auch nach Monaten und Jahren muss es erlaubt sein, um Verstorbene zu weinen, so Brigitte. „Die Seele muss den Tod erst begreifen“, sagt sie. Das brauche Zeit und hänge davon ab, wie das Abschiednehmen von sich ging. Je inniger und besser der Kontakt zum Sterbenden, desto leichter können Angehörige oft ihre Trauer verarbeiten. Dass in der ersten Corona-Welle 2020 Hinterbliebene sich nicht persönlich von ihren Lieben verabschieden konnten, bezeichnet Brigitte als absolutes Drama. Mittlerweile ist das möglich.
Auch wenn im Bezirk keine Übersterblichkeit zu verzeichnen sein sollte, ist der Tod in den aktuellen Zeiten der Pandemie doch präsenter als gewöhnlich. Das muss uns keine Angst machen, sondern kann eine Chance sein. Das Auseinandersetzen mit der eigenen Endlichkeit kann unser Leben zum Positiven verändern.
Brigitte hat als Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin in Krankenhaus und Pflegeheim und während ihrer Zeit als Hospiz-Mitarbeiterin bereits viele Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet. Auch sie weiß nicht, was nach dem Lebensende kommt. Sie hat aber erlebt, dass Augenblicke des Sterbens große Momente des Friedens sind. Diese Erfahrung gibt sie uns allen mit auf den Weg.
Doris Martinz