Die Kitzbühelerin Andrea Ehn klärt darüber auf, wie Kinder den Verlust von Angehörigen oder auch Haustieren verarbeiten.
Der Opa schläft ganz tief und fest“, sagt man Kindern mitunter, wenn sie nach dem Großvater fragen, der nicht mehr da ist. Man will die Wörter „Tod“ und „sterben“ nicht in den Mund nehmen, um der Kinderseele nicht zu schaden. „Das ist der komplett falsche Ansatz“, weiß Andrea Ehn. Besser sei es, ihnen die Wahrheit zu sagen. Nämlich dass er gestorben und tot ist, dass er nicht mehr kommt und nicht mehr mit seinem Enkelchen spielen, keine Geschichten mehr erzählen kann.
Warum fällt uns schwer, etwas zu sagen, was doch unausweichlich ist? „Oft liegt es daran, dass wir mit unserer eigenen Trauer konfrontiert sind und deshalb nicht wissen, wie wir es den Kindern sagen sollen“, so Andrea. Die 43-Jährige war selbst schon öfter mit dem Tod konfrontiert: Ihr Vater starb, bevor sie geboren wurde. Als sie bereits Mutter war, verlor sie ein Baby während der Schwangerschaft, ein weiteres Baby – es war ein Mädchen – verstarb bei der Geburt. „Das Verdrängen funktionierte irgendwann nicht mehr, ich musste mich den Themen stellen“, erzählt sie. Sie absolvierte verschiedenste Ausbildungen, arbeitete an sich selbst und begleitet heute Menschen durch schwierige Lebensabschnitte.
Das eigene Auseinandersetzen mit dem Tod sei die Voraussetzung dafür, Kindern beim Verlust eines Angehörigen beistehen zu können. Erzähle man Kindern, dass beispielsweise der verstorbene Opa nur schlafe, können sie Ängste entwickeln – davor, selbst einzuschlafen oder davor, dass Mama oder Papa einschlafen. „Kinder nehmen alles, was wir sagen, wörtlich und für wahr. Die kindliche Phantasie tut ein übriges, um Schreckensszenarien zu schaffen.“
Rituale und gemeinsames Erinnern
Wichtig sei es, offen und ehrlich mit den Kindern über den Tod zu sprechen. Und zuzugeben, dass auch Erwachsene nicht alles darüber wissen. Sinn mache es, die eigenen Überzeugungen weiterzugeben. Zum Beispiel zu sagen: „Ich weiß nicht, wo der Opa jetzt ist. Aber ich denke, er wacht als Stern über uns.“ Dazu müsse man sich eben klar sein über die eigenen Überzeugungen, so Andrea. Kindern könne man auch von der unsterblichen Seele erzählen, die bei der Geburt in den menschlichen Körper eintritt und ihn nach dem Tod wieder verlässt. „Kinder haben da oft einen guten Zugang, sie spüren viel mehr als wir.“
Wie man einem Kind den Tod eines Angehörigen oder auch Haustieres vermittelt, hänge immer auch vom Alter des Kindes ab und davon, wie eng die Beziehung war.
Gemeinsame Rituale und das Pflegen von Erinnerungen seien gute Wege, den Verlust zu verarbeiten. „Man kann gemeinsam das Grab besuchen oder mit den Kindern den Weg gehen, bei dem der Hund der Familie immer vorausgelaufen ist. Oder die Erdbeerknödel kochen, die die Oma so gut gemacht hat und dabei an sie denken.“
Von Pfützen und Wellen
Kindertrauer unterscheide von Erwachsenentrauer, dass sie schubweise auftrete, so Andrea. Man sage, Kinder trauern in Pfützen. So habe es Astrid Lindgren zum ersten Mal formuliert, weiß sie. Die Kitzbühelerin erklärt, wie diese Aussage gemeint ist: „Wenn ein Kind in eine Pfütze springt, widmet es sich in diesem Augenblick nur der Pfütze und dem spritzenden Wasser. Doch schon im nächsten Moment kann es abgelenkt sein und weiterlaufen. So ist es mit der kindlichen Trauer: Sie kann ganz plötzlich, beispielsweise mitten im Spiel, auftreten und sehr intensiv sein. Doch schon nach kurzer Zeit kann sie wieder abflauen.“ Trauer bei Erwachsenen trete hingegen in Wellen auf.
Wichtig sei es auch, die Trauer der Kinder wahrzunehmen und Verständnis aufzubringen. „Wir Erwachsenen müssen nicht immer Lösungen und Antworten parat haben, Kinder halten das besser aus als wir.“ Nützlich könne es sein, das Kind zu fragen, wo es die Trauer verspüre, welche Farbe sie habe oder wie sie sich anfühle. Man könne es ermutigen, seine Gefühle über Bewegung, Singen, Tanzen oder Malen auszudrücken. „Jeder Eindruck braucht einen Ausdruck“, so Andrea.
Kinder würden vieles über das Spiel verarbeiten. Es sei deshalb wichtig, ihnen Raum und Zeit für das freie Spielen zu geben. „Mitunter wird dann die Puppe beerdigt, das hilft Kindern bei der Verarbeitung ihrer Gefühle.“ Gut gemeinte Ablenkung über den Fernseher oder Computerspiele sei hingegen nicht förderlich, sie würde das Verarbeiten nur aufschieben.
Wenn Haustiere versterben, rät Andrea dazu, Kinder in die Rituale einzubinden und sie Abschied nehmen zu lassen. „Wir haben für unseren verstorbenen Kater ein Grab ausgehoben und das Plätzchen schön hergerichtet. Zuvor konnte sich unser zweijähriger Sohn noch von ihm verabschieden, ihm übers Fell streichen. Das alles machte ihm den Abschied leichter.“
Wie der Apfel …
Kleine Kinder würden öfter fragen, was beispielsweise mit der verstorbenen Oma im Sarg passiert. Es biete sich an, so Andrea, hier ein Beispiel aus der Natur anzuwenden: Ein frischer Apfel sei saftig und knackig. Aber wenn man ihn liegenlässt, schrumpft er irgendwann und vergeht. „Wir brauchen keine Angst zu haben vor klaren Worten, Kinder können damit viel besser umgehen, als wir oft meinen.“ Wenn die Worte fehlen, können aber auch gute Bilderbücher helfen, das Thema aufzugreifen. Sie helfen Kindern – und oft auch den Erwachsenen (Tipps siehe linke Seite).
Sollten Eltern dennoch das Gefühl haben, dass ihr Kind professionelle Hilfe braucht – wenn es beispielsweise über längere Zeit unter Konzentrationsproblemen oder Schlaflosigkeit leidet, sich zurückzieht oder auch permanent aufgedreht ist – sollten sie unbedingt zuerst ohne das Kind Unterstützung suchen, rät Andrea. „Kinder haben sonst das Gefühl, dass mit ihnen etwas nicht stimmt und dass sie nicht ,richtig’ sind. Das ist kontraproduktiv.“
Oft würden sich vorab im Gespräch bereits wichtige Anhaltspunkte ergeben. Erst wenn weiterhin keine Besserung eintrete, solle man mit dem Kind zur Therapie. Man könne sich an Andrea wenden, oder auch an den Verein „Rainbows“, der sich auf die Arbeit mit trauernden Kindern spezialisiert hat.
Doris Martinz